Doris Simon: Kinder können ihren vermuteten leiblichen Vater nicht in jedem Fall zum DNA-Test zwingen. Das hat heute das Bundesverfassungsgericht entschieden. Ein naheliegender Grund, nämlich wissen zu wollen, ob ein bestimmter Mann der eigene Vater ist, der reicht nicht aus für eine verpflichtende genetische Abstammungsuntersuchung. Die darf nur dann von einem Mann verlangt werden, wenn dieser dann auch für alle Rechten und Pflichten der Vaterschaft einstehen muss.
Für die Klägerin ist die Entscheidung ein Schlag. Sie hatte sich nach vielen Jahrzehnten endlich Gewissheit über ihre eigene Herkunft erhofft. Doch die Verfassungsrichter haben heute auch darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber überlassen ist, den Paragraphen zur Abstammungserklärung weiterzufassen als bisher. - Am Telefon ist Rechtsanwalt Wolfgang Schwackenberg. Er ist der Vorsitzende des Familienrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins und Mitglied im Arbeitskreis Abstammungsrecht. Dieser Arbeitskreis soll Bundesjustizminister Maas beraten, ob und wie das geltende Abstammungsrecht verändert werden muss. Guten Abend!
Wolfgang Schwackenberg: Guten Abend.
Simon: Herr Schwackenberg, halten Sie das Urteil für angemessen?
Schwackenberg: Das Urteil entspricht sowohl der positiven gesetzlichen Lage als auch der Verfassungssituation derzeit, so wie ich sie beurteile. Der Gesetzgeber hatte sich bei der Reform des Abstammungsrechts und Bestattungsverfahrens nicht entscheiden können, einen allgemeinen Abstammungsklärungsanspruch in das Gesetz aufzunehmen. Das heißt, einen folgenlosen Anspruch auf Klärung der Abstammung sieht das Gesetz nicht vor.
Simon: Herr Schwackenberg, unabhängig davon weiß man ja heute, wie wichtig es für Kinder ist, ihre Herkunft zu kennen. In diesem Fall erlaubt die aktuelle Gesetzeslage mit ihren Beschränkungen dies aber nicht. Die steht den berechtigten Interessen der Kinder genau entgegen.
Schwackenberg: Das kann man genauso beurteilen und das Bundesverfassungsgericht hat ja auch betont, dass das Grundrecht des Kindes aus seinem Persönlichkeitsrecht herauskommend, seine Abstammung zu kennen, ein sehr hochrangiges Recht ist. Es hat aber andererseits auch betont, dass das Recht desjenigen, der als biologischer Vater festgestellt werden soll, auch ein Persönlichkeitsrecht ist, wenn er darauf hinweist, ich möchte keine DNA-Analysen feststellen lassen. Das ist aber auch ein Recht, das seine Familie in Angriff nehmen kann, seine Familienmacht ist betroffen. All diese Rechte sind gegeneinander abzuwägen und das Bundesverfassungsgericht hat bei der Abwägung nicht zwingend erkannt, dass man zu Gunsten des Kindes eine Lösung schaffen muss, die über die Möglichkeit, die Vaterschaft feststellen zu können, hinausgeht.
Simon: Was ist mit Kindern aus Samenspenden, aus Leihmutterschaft zum Beispiel auch in gleichgeschlechtlichen Beziehungen? Muss es für die besondere Rechte geben?
Schwackenberg: Ich bin schon der Auffassung, wenn Sie zum Beispiel an die Reproduktionsmedizin denken und an die Samenspender, dass das Kind Kenntnis darauf hat, wer der Samenspender war, wo seine biologische Herkunft ist. Das Problem ist, wie bekommt dieses Kind eine Familie? Das heißt, es wird ja dann eine fremde Person als austragende Frau benötigt, und da haben wir das unter dem Stichwort der Leihmutterschaft fungierende Problem, das gelöst werden muss, das international gelöst werden muss. Ich will der sogenannten Leihmutterschaft gar nicht zwingend das Wort reden, aber ich will sagen, es kann nicht richtig sein, dass eine Person, die nach Florida fährt und eine Leihmutterschaft durchführen lassen kann, während eine Person, die hier in Deutschland bleibt, das gleiche Recht nicht haben soll. Man muss das international klären und man muss dann dafür Sorge tragen, dass dem Kind Rechnung getragen wird, indem man möglicherweise das Adoptionsverfahren noch etwas verbessert, damit auch die Kinder Gleichgeschlechtlicher dann zwei Elternteile haben, die nicht zwingend Vater und Mutter sein müssen, sondern zwei Elternteile.
"Abstammungstourismus schafft unterschiedliche Rechtsordnungen"
Simon: Wenn Sie sagen, in dem Fall zum Beispiel Leihmutterschaft muss man das international regeln, da wissen wir alle, wie schwierig das ist und wie langwierig das ist. Das werden doch viele gar nicht erleben.
Schwackenberg: Nein, das werden viele nicht erleben, und deswegen gehen sie derzeit auch den Ausweg - das ist die einzige Möglichkeit, die es zurzeit gibt -, in ein Land zu gehen, das die Leihmutterschaft erlaubt oder die Austragung durch eine fremde Person erlaubt, verschaffen sich dort eine gerichtliche Anerkennung und lassen diese gerichtliche Entscheidung in Deutschland wiederum anerkennen. Das ist ein Weg, der derzeit gangbar erscheint, aber schön ist das nicht. Man sollte dieses Problem anderweitig lösen. Wenn man das nicht national lösen möchte, nochmals, sollte man das international lösen oder dadurch, dass man beispielsweise für den Status des Kindes anknüpft an das Recht des Staates, in dem das Kind geboren ist. Es gibt da eine Vielfalt von Möglichkeiten. Auf jeden Fall muss es gelöst werden. Es kann nicht richtig sein, dass man durch einen Abstammungstourismus unterschiedliche Rechtsordnungen schafft.
Simon: Herr Schwackenberg, Sie haben es gerade gesagt: Es wird wahrscheinlich noch Jahre dauern, bis es da eine Veränderung gibt im Status, ob national oder international. Aber es gibt ja seit vielen Jahren Kinder, die aus solchen Verbindungen kommen. Wieso lässt der Gesetzgeber sich hier so viel Zeit?
Schwackenberg: Das ist schon ein sehr schwieriges Problem, denn es gibt ja vielfältige, medizinisch unterschiedliche Möglichkeiten. Wenn Sie an den Männerpart denken, das heißt die Samenspende denken, dann haben Sie die Samenspende unter medizinischer Aufsicht. Das erscheint mir ein durchaus gangbares und vernünftiges Modell zu sein. Sie müssen dann entscheiden, welche Rechte hat der samenspendende Mann. Hat er auch die Situation, dass er als Vater festgestellt werden kann, oder soll er sie nicht haben, wie es in Österreich beispielsweise schon geregelt ist. Was ist mit den Dingen, die anders laufen wie zum Beispiel sogenannte Becherspenden, das heißt dem privat verschafften Samen, der dann hoffentlich unter medizinischer Aufsicht noch verpflanzt wird?
All diese Dinge müssen erfasst sein und sind zum Teil auch geregelt im Embryonenschutzgesetz. Aber zum Teil bedürfen sie noch der Regelung und das muss schon sorgfältig abgewogen werden, und das gilt erst recht, wenn wir nun die Person der Mutter betrachten. Mutter ist nach deutschem Recht die Person, die ein Kind zur Welt bringt. Das ist eine vernünftige Formulierung, aber sie stimmt mit den medizinischen Möglichkeiten heute auch nicht mehr so überein. Wenn Sie etwa an Leihmutterschaften denken, dann haben wir eine medizinisch andere Situation und das ruft sehr starke und sehr schwierige Wertungsfragen hervor.
Simon: Das heißt, aus Ihrer Sicht ist es beinahe zwangsläufig, dass die rechtliche Entwicklung beim Abstammungsrecht immer hinterherhinkt hinter dem, was medizinisch und gesellschaftlich aktuell ist?
Schwackenberg: Ich denke, dass das genau im Abstammungsrecht so ist wie in fast allen anderen Situationen, in denen sich eine faktische Entwicklung ergibt und das Recht hinterherhinkt. Ich befürchte, das ist im Abstammungsrecht genauso. Aber ich halte es für ganz wichtig, wenn ich das noch sagen darf, dass das Abstammungsrecht nicht nur hinterherhinkt, sondern den Realitäten der Medizin jedenfalls insoweit Rechnung trägt, als sie sozialverträglich geregelt werden.
Simon: Wolfgang Schwackenberg war das, der Vorsitzende des Familienrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins und Mitglied im Arbeitskreis Abstammungsrecht, der Bundesjustizminister Maas beraten soll. Herr Schwackenberg, vielen Dank für das Gespräch.
Schwackenberg: Bitte!
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