Jasper Barenberg: Dass Flüchtlinge in Ellwangen die Abschiebung eines Mannes aus Togo verhindert haben, hat eine hitzige politische Debatte ausgelöst und zahlreiche Forderungen nach einer härteren Gangart, vor allem, wenn Straftaten im Spiel sind. Jetzt allerdings, wo sich der Staub ein wenig legt, zeigt sich auch: Von vielen Vorwürfen gegen die Migranten bleibt nicht allzu viel übrig, Angriffe auf Polizisten, Gewalt, versteckte Waffen, all das muss man etwa nach den Recherchen der "tageszeitung" doch ein Stück relativieren, weitere Ermittlungen laufen noch. Bei der Razzia nach dem Widerstand hat die Polizei den gesuchten Mann aus Togo inzwischen gefasst, er sitzt in Abschiebehaft, er soll Deutschland so schnell wie möglich verlassen, das wollen die Behörden in Baden-Württemberg. Auch dagegen allerdings wehrt sich der 23-Jährige mithilfe eines Anwalts. Mit Aussicht auf Erfolg? Eine der Fragen, über die ich jetzt mit Thomas Oberhäuser sprechen kann, Fachanwalt für Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein, Vorsitzender einer Arbeitsgemeinschaft zu dem Thema. Schönen guten Morgen, Herr Oberhäuser!
Thomas Oberhäuser: Guten Morgen!
Barenberg: Herr Oberhäuser, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will den 23-Jährigen aus Togo nach Italien abschieben, weil er dort als Flüchtling ursprünglich angekommen ist. Sein Anwalt hat dagegen jetzt geklagt. Hat er recht, wenn er die Verhaftung und die Abschiebung jetzt als rechtswidrig bezeichnet?
Oberhäuser: Da kenne ich den Fall natürlich nicht im Einzelnen. Grundsätzlich ist es so, dass in der Tat nach der Dublin-III-Verordnung Deutschland vermutlich nicht zuständig ist, wenn er zunächst mal in Italien registriert worden war. Deswegen ist wahrscheinlich auch Italien zuständig und deswegen die Verstellung dorthin grundsätzlich auch richtig. Ob es im Einzelfall Gründe gibt, die dagegensprechen, weiß ich nicht.
"Es gibt ganz viele Ausnahmen"
Barenberg: Nach den Regeln von Dublin - Sie haben es erwähnt - müssen Flüchtlinge ja dort Asyl suchen, wo sie zuerst in Europa einreisen. Aber gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel, wie man jetzt gelegentlich lesen kann?
Oberhäuser: Es gibt ganz viele Ausnahmen. Es gibt neben dem Selbsteintrittsrecht familiäre Gründe, warum es nicht gemacht werden, es gibt natürlich auch den Umstand, dass die Überstellungsfrist abgelaufen ist, die hält relativ kurz, ein halbes Jahr an. Das klingt erst mal lange, aber das ist für so eine Behörde, doch eine relativ kurze Zeit. Und wenn man das halbe Jahr verstreichen lässt, ohne dass er überstellt wurde, dann ist eben Deutschland zuständig für das Asylverfahren.
Barenberg: Das heißt, unter bestimmten Umständen kann es auch in diesem Fall sein - natürlich kennen Sie die Einzelheiten, die Details jetzt nicht, aber grundsätzlich kann es auch in diesem Fall sein, dass am Ende doch Deutschland für das Asylverfahren zuständig sein wird?
Oberhäuser: Das kann sehr gut sein. Abgesehen davon gibt es auch Gründe, die einer Überstellung entgegenstehen, wie zum Beispiel Abschiebungshindernisse in Form von Krankheit.
"Bestehende Regularien" reichen aus
Barenberg: Lassen Sie uns über die ganze Kaskade von politischen Forderungen nach mehr Härte sprechen, die jetzt im Raum stehen! CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert ja maximale Härte im Umgang mit Menschen, die er Abschiebeverweigerer nennt und Abschiebesaboteure. Wird die Wortwahl in Ihren Augen dem Problem gerecht?
Oberhäuser: Man muss sich als jemand, der in der Migration seit 20 Jahren tätig ist, nicht wundern, dass Politiker eigentlich schon immer diese Forderungen aufstellen. Immer wenn irgendwelche Straftaten begangen wurden von Migranten, dann ist die Forderung nach Gesetzesverschärfungen am nächsten Tag in der Welt. Und der Gesetzgeber hat in ganz vielen Fällen auch reagiert, wie es nicht nur die Köln-Geschichte, sondern auch die sexuellen Übergriffe in Freiburg und Ähnliches … Das hat alles Reaktionen des Gesetzgebers hervorgerufen, die dazu führen, dass Normen geschaffen wurden, die genau für so was vermeintlich gedacht sind, aber im Ergebnis völlig … eine Politik ist, die überhaupt nicht notwendig ist, also eine Schaufensterpolitik, weil, mit den bestehenden Regularien hätte man das genauso und kann man das genauso regeln.
Barenberg: Sie haben gesagt, es handelt sich in den meisten Fällen um so etwas wie Schaufensterpolitik, weil eigentlich alle rechtlichen Möglichkeiten schon auf dem Tisch liegen. Können Sie uns das noch ein bisschen erläutern?
Oberhäuser: Ja, es ist so, im laufenden Asylverfahren haben Schutzsuchende bestimmte Rechte und Schutzgarantien. Das heißt, im laufenden Asylverfahren kann man jemanden grundsätzlich nicht aus Deutschland rausschmeißen. Wenn er Straftaten gemacht hat, dann ist natürlich die Möglichkeit, dass man das Verfahren priorisiert, dass man es beschleunigt, dass man es voranzieht, einem anderen voranstellt, und dann kann man das schneller bearbeiten. Aber erst dann, wenn das Verfahren abgeschlossen ist, kann man auch tatsächlich an Aufenthaltsbeendigung denken. Davor ist immer das Risiko, dass ich jemanden in ein Land schicke, wo eben Folter und Tod droht, und das mache ich als Rechtsstaat nicht.
Abschiebungshaft: "Das Regularium ist da"
Barenberg: Also wenn jetzt Alexander Dobrindt sagt, wer seine Abschiebung verhindert, der gehört in Abschiebehaft, und wer Abschiebungen anderer behindert, der muss beschleunigt ausgewiesen werden, dann gibt es eigentlich keine rechtliche Grundlage für diese Forderung?
Oberhäuser: Da gibt es keinen rechtlichen Änderungsbedarf. Das kann man selbstverständlich so machen, die Abschiebungshaftregeln sind grundsätzlich so weit gefasst, dass man schon jemanden, der illegal nach Deutschland einreist, in Abschiebungshaft nehmen kann. Wenn dann ein weiterer Grund dazukommt, wird es auch relativ schnell verhältnismäßig, dann wird er auch in Abschiebungshaft genommen. Bayern ist momentan das Paradebeispiel dafür, dass diese Abschiebungshaftregeln extrem extensiv ausgelegt werden können bei den Behörden und extrem nachsichtig von Gerichten über solche Anträge geurteilt wird. Das heißt, in aller Regel wird jemand, den die bayrische Polizei oder Ausländerbehörde in Abschiebungshaft nehmen möchte, auch tatsächlich in Abschiebungshaft genommen, mit der Folge, dass die Abschiebungshaftanstalten in Bayern alle brechend voll sind. Also das Regularium ist da und man kann das nutzen. Ob das rechtmäßig ist, wird irgendwann der Bundesgerichtshof entscheiden. Aber in Bayern machen die halt in eine Praxis, die erst nach Monaten beim Bundesgerichtshof landen kann, und deswegen eine relativ erfolgreiche Abschiebungshaftausführungspolitik.
Barenberg: Aber Sie haben da Ihre Zweifel?
Oberhäuser: Ja, es ist immer ein Eingriff in ganz wesentliche Grundrechte. Und da muss tatsächlich mehr als bloß der Wunsch "Ich möchte ein Zeichen setzen" dahinterstehen.
Abschiebehaft: "gewichtige Gründe" müssen vorliegen
Barenberg: Wo sehen Sie die Grundrechte denn da in Gefahr?
Oberhäuser: Grundsätzlich ist es so, dass jemand, der ins Gefängnis kommt, seiner Freiheit beraubt wird. Und das ist grundrechtlich einfach geschützt, die Freiheit, und da müssen ganz gewichtige Gründe vorliegen, dass ich jemanden in Abschiebungshaft nehmen kann. Und jemand, der bei seiner eigenen Abschiebung nicht mitwirkt, das ist definitiv kein Abschiebungshaftgrund. Wenn sich jemand dagegen wehrt, dann ist es einer. Also das bloß Passive "Ich mache nicht mit", das reicht nicht aus, aber aktiv sich dagegen wehren, das ist dann schon ein Abschiebungshaftgrund. Aber auch da muss man eben die Verhältnismäßigkeit schauen. Es kann ja sein, diese Abschiebung des Togolesen, die Überstellung nach Italien, ist rechtswidrig. Dann hat er vielleicht auch guten Grund zu sagen, Moment, ich will erst einen Anwalt sprechen oder dies und das. Und das sollen wir auch respektieren und da müssen die Rechte entsprechend geltend gemacht werden können. Es ist nicht so einfach zu sagen, ich will den jetzt in Abschiebungshaft nehmen, dass ich ihn überstellen kann, und das mache ich dann auch.
Barenberg: Wir haben ja schon ein bisschen gesprochen über diese grundsätzliche Frage, über die ich noch gerne ein bisschen mehr sprechen würde: Verwirkt, wer eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begeht, seinen Anspruch auf Asyl oder eine Duldung in Deutschland, irgendeinen Aufenthaltstitel? Ist das damit zu Ende?
Oberhäuser: Das ist in der Tat etwas, was man genauer anschauen muss. Jemand, der im Asylverfahren ist und eine Straftat begeht, wird nicht deswegen asylunwürdig, es sei denn die Straftat ist so gewichtig, dass man sagt, dadurch ist auch gleichzeitig eine Gefahr für die Allgemeinheit verbunden und dem gebe ich auch keinen asylrechtlichen Schutzstatus. Da wird tatsächlich auch der Asylstatus durch eine Straftat relativiert oder gemindert. Aber es ist eben nur, wenn eine wirklich gewichtige Straftat, also Verbrechen oder drei Jahre Freiheitsstrafe. Das sind so Sachen, da sagt der Staat, da gebe ich ihm auch kein Asyl. Anders schaut es aus, wenn es um die Frage des Aufenthaltsrechts später geht, also wenn jemand anerkannt wurde oder wenn er aus sonstigen Gründen das Bleiberecht beanspruchen kann. Und da spielt dann immer die Frage die Rolle: Gibt es Ausweisungsinteressen, hat der Mensch Straftaten gemacht, droht eine Wiederholung der Gefahr? Und da schaut man natürlich, was für Straftaten das sind, wie gewichtig waren die? Und wenn sie hinreichend gewichtig sind, dann kann der Mensch eben auch ausgewiesen werden, mit der Folge, dass er kein Aufenthaltsrecht mehr bekommt. Und gerade diese Geschichte mit Ellwangen ist schlicht so: Der Gesetzgeber hat vorletztes Jahr eine Regelung geschaffen, dass jemand, der wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde, dass der eben besonders schwer ein Ausweisungsinteresse verwirklicht hat, also besonders einfach ausgewiesen werden kann. Auch nicht ohne Weiteres, muss man abwägen, aber grundsätzlich ist es so, dass wegen so einer Straftat die Hürde der Ausweisung quasi halbiert wird.
Barenberg: Ich habe Sie da richtig verstanden: Widerstand gegen Polizeibeamte, wie es jetzt im Raum steht bei den Ereignissen in Ellwangen, haben schon gravierende Konsequenzen für das Asylverfahren derjenigen, die da betroffen sind, die da beteiligt waren?
Oberhäuser: Die können für das Asylverfahren selber Konsequenzen haben, allerdings dann sind die vermutlich nicht so gewichtig, dass man die tatsächlich als Asylunwürdigkeit deklarieren kann. Aber später für das Aufenthaltsverfahren sind die extrem bedeutsam.
"Nicht jeder, der abgeschoben wird, ist auch ein Straftäter"
Barenberg: Der Vorgänger des neuen Innenministers Thomas de Maizière, also der Vorgänger, der hat bei Abschiebeflügen nach Afghanistan ja in den vergangenen Jahren immer betont, dass es sich dabei in der Regel um Straffällige, um Kriminelle also handelt. Gelten also für kriminelle Flüchtlinge andere Regeln als für die anderen?
Oberhäuser: Nein, die Abschiebeflüge nach Afghanistan, das sind ja alles Personen, die ausreisepflichtig sind, die also abgelehnt wurden, die kein Aufenthaltsrecht beanspruchen können, die also eigentlich auch selber ausreisen könnten, aber sagen, nach Afghanistan zurückgehen ist der völlige Wahnsinn. Und der Staat sagt, na ja, es ist völlig wahnsinnig aus deiner Sicht, aber wir sehen das schon als möglich an. Und dann gibt es eine Vereinbarung zwischen Europa und Afghanistan, die besagt, dass Straftäter, Gefährder und [unverständlich] abgeschoben werden können. Also jemand, der über seine Identität nicht die Wahrheit sagt, soll abgeschoben werden können. Das sind also nicht unbedingt Straftäter, sondern jemand, der eine unklare Identität hat oder tatsächlich eine falsche Identität angibt. Das muss nicht unbedingt strafbar sein oder auch zu einer strafrechtlichen Sanktion geführt haben, sondern der hat einfach über seine Identität getäuscht. Also nicht jeder, der abgeschoben wird, ist ein Straftäter, aber es gibt eben auch viele Straftäter darunter.
Barenberg: Sagt Thomas Oberhäuser vom Deutschen Anwaltverein. Danke für die Zeit und das Gespräch heute Morgen!
Oberhäuser: Ja, ich danke auch schön, schönen Tag noch!
Barenberg: Und die schlechte Tonqualität bitten wir zu entschuldigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.