Apartheid-Vorwurf
Warum Südafrika gegen Israel klagt

Bis 1994 herrschte Apartheid in Südafrika, eine rassistische Trennung von Schwarzen und Weißen. Aktuell wirft die südafrikanische Regierung Israel vor, ein Apartheidsystem gegenüber Palästinensern installiert zu haben. Was ist an dem Vorwurf dran?

06.07.2024
    Ein palästinensischer Junge schiebt am 3. Juli 2024 sein mit Brennholz beladenes Fahrrad auf der Salah-El-Din-Straße in Deir al-Balah im Gazastreifen.
    Ob Israels Politik gegenüber den Palästinensern völkerrechtswidrig ist, muss der Internationale Gerichtshof in Den Haag entscheiden. Ein Urteil ist erst in Jahren zu erwarten. (picture alliance / NurPhoto / Majdi Fathi)
    Menschenrechtsorganisationen und internationale Institutionen werfen Israel schon lange vor, die Menschenrechte zu verletzen. Palästinenser würden systematisch diskriminiert und unterdrückt. Zuweilen wird der Vorwurf laut, Israel habe ein System der Apartheid etabliert. Am 29. Dezember 2023 hat Südafrika einen Antrag gegen Israel beim Internationalen Gerichtshof eingereicht. In diesem wird Israel wegen des Kriegs im Gazastreifen des Genozids beschuldigt und als Apartheidregime bezeichnet. Was ist dran an den schweren Anschuldigungen?

    Inhalt

    Was ist Apartheid?

    Der Begriff Apartheid stammt aus der Sprache Afrikaans und bedeutet Getrenntheit. Afrikaans kam durch die niederländischen Kolonialisten im 17. Jahrhundert nach Südafrika und wird dort bis heute gesprochen. Apartheid beschreibt ein System der Unterdrückung der Schwarzen Bevölkerung in Südafrika von 1948 bis 1994.
    Zunächst war Apartheid ein politischer Slogan, der von der Nationalen Partei der Buren verbreitet wurde. Sie baute den Apartheidstaat auf und regierte ihn bis zu seinem Ende. Diskriminierung hatte es in Südafrika schon zuvor gegeben. Das Land stand seit dem 19. Jahrhundert unter britischer Kolonialherrschaft, die die Schwarze Bevölkerung ausbeutete.
    Die Apartheid sollte die Vorherrschaft der weißen Minderheit aufrechterhalten. Per Gesetz wurden Schwarze und andere Bevölkerungsgruppen wie Coloureds oder Menschen mit asiatischen Wurzeln benachteiligt.
    Die Trennung war im Alltag verankert. Es gab Krankenhäuser, die nur Weiße nutzen durften; es gab getrennte Eingänge für öffentliche Gebäude; die Strände waren weißen Menschen vorbehalten; Liebesbeziehungen zwischen Schwarzen und Weißen waren illegal.

    Juristische Definition von Apartheid

    Der Begriff Apartheid hat seinen Ursprung in Südafrika, kann aber auch auf andere Länder übertragen werden. Die Anti-Apartheidkonvention der Vereinten Nationen von 1973 liefert eine juristische Definition, die 1998 auch im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs übernommen wurde. Sie fußt auf drei Elementen. Zum einen muss es unmenschliche Handlungen geben, beispielsweise Freiheitsberaubung, Eigentumszerstörung oder Folter. Zweitens muss ein institutionalisiertes Regime eine rassische Gruppe unterdrücken, wobei der Begriff Rasse umstritten ist. Drittens hegen die Täter die Absicht, die Apartheid zu fördern und zu erhalten.
    Schwarze durften sich nicht frei bewegen und mussten stets ein Ausweis mit sich führen. In diesem war festgelegt, welche Gebiete, sogenannte Homelands, sie betreten duften. Linke Parteien und Bürgerrechtsbewegungen wurden verboten; Demonstrierende niedergeschossen.
    Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt Studierende bei einer Protestdemo gegen die Apartheid in Südafrika am 06.04.1979 in Bonn.
    Während die DDR den Kampf des ANC gegen die Apartheid unterstützte, protestierten in Westdeutschland Studierende gegen die Kooperation der Bundesregierung mit Südafrika. (picture alliance / Klaus Rose)
    1960 wurden viele afrikanische Länder unabhängig. Das südafrikanische Apartheidregime ging indes mit aller Härte gegen Oppositionelle vor. Dadurch konnte sie sich so lange an der Macht halten, erklärt die Historikerin Franziska Rüedi: Denn die Regierung "schlägt mit viel Gewalt und Brutalität außerparlamentarische Oppositionen nieder und erklärt jede Form des Widerstands für illegal“.
    Die Gewalt wurde auch international geächtet. 1973 beschlossen die Vereinten Nationen die „Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid“. Darin wird die Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
    Außerdem wurden Sanktionen gegen das Apartheidregime verhängt. Dadurch wurde Südafrika international isoliert und wirtschaftlich geschwächt. 1994 endete die Apartheid und Nelson Mandela wurde der erste Schwarze Präsident des Landes.
    Eine vertriebene palästinensische Frau bereitet am 2. Juli 2024 inmitten des anhaltenden Konflikts in den palästinensischen Gebieten zwischen Israel und der Hamas auf der Straße im Gazastreifen Fladenbrot zu.
    Die palästinensische Zivilbevölkerung ist im Gazastreifen der rigiden Politik Israels ausgeliefert: "Nirgendwo gibt es einen sicheren Ort", kritisiert José Javier De La Gasca Lopez Domínguez, der Ständige Vertreter Ecuadors bei den Vereinten Nationen. (picture alliance / NurPhoto / Majdi Fathi)

    Wer wirft Israel Apartheid vor?

    Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen gehört die südafrikanische Regierung weltweit zu den schärfsten Kritikern Israels. Ende 2023 hat Pretoria beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen Tel Aviv eingereicht.
    Südafrika wirft Israel einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen vor. Dieser stehe im Kontext der seit 75 Jahren andauernden Apartheid gegenüber den Palästinensern, der langjährigen Besatzung des palästinensischen Gebiets und der Blockade des Gazastreifens. Mittlerweile unterstützen weitere Staaten die Klage, darunter Spanien, Nicaragua, Kolumbien, Libyen und Mexiko.
    Südafrika und Israel haben eine gemeinsame Geschichte. Das südafrikanische Apartheidregime und Israel kooperierten schon in den späten 1970ern: Israel lieferte Waffen, Südafrika Uran. Es ist daher kein Zufall, dass Südafrika gegen Israel vor den Internationalen Gerichtshof klagt.
    Auch zwischen den Befreiungsbewegungen, der heutigen südafrikanischen Regierungspartei African National Congress (ANC) und der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), bestehen bis heute enge Verbindungen. Viele Südafrikaner erinnert die Unterdrückung der Palästinenser an die Apartheid in ihrem Land. Auch der südafrikanische Jurist Thamsanqa Malusi meint, die südafrikanische Geschichte spiegele sich in der israelischen wider.

    Wir wissen nur zu gut, dass unsere Freiheit unvollständig ohne die Freiheit der Palästinenser ist.

    Nelson Mandela, von 1994 bis 1999 Präsident Südafrikas, bei einer Rede im Jahr 1997 in Pretoria
    Südafrika sei ein Land, dass lange für die Menschenrechte kämpfte, sagt die Schweizer Historikerin Franziska Rüedi: „Das ist ein wichtiger Punkt, weshalb sich Südafrika international so stark für die Menschenrechte einsetzt.“
    Auch zahlreiche Einzelpersonen sprechen sich gegen den Krieg im Gazastreifen und das israelische Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung aus. Mehr als 400 internationale Philosophieprofessoren beschrieben im November 2023 die israelische Politik in einem offenen Brief als Apartheidsystem.
    Bei der Berlinale nutzte der israelische Journalist Yuval Abraham im Februar 2024 seine Dankesrede, um auf die Ungleichbehandlung von Israelis und Palästinensern aufmerksam zu machen. In dem Zusammenhang sprach er von Apartheid.
    Der Vorwurf der Apartheid ist nicht neu. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch haben Israel schon vor Jahren wegen seines Umgangs mit den Palästinensern kritisiert und dabei auch den Begriff Apartheid benutzt.

    Ist Israel ein Apartheid-Regime?

    Es lasse sich kaum abstreiten, dass es in den von Israel kontrollierten Gebieten „ein institutionalisiertes und auf Dauer angelegtes System der Diskriminierung“ gebe, erklärt die Politologin Muriel Asseburg von Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Damit verbunden seien eine "systematische Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser sowie unmenschliche Handlungen".
    Palästinenser würden vertrieben, der Zugang zu Land und Ressourcen werde streng reglementiert. Sie dürften sich nicht frei bewegen, seien in ihren politischen Rechten eingeschränkt, dürften ihre Meinung nicht frei äußern und seien unverhältnismäßiger Gewalt ausgesetzt.
    „Es kann Apartheid sein, aber es muss nicht Apartheid sein“, sagt der Rechtswissenschaftler Kai Ambos, Professor für Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Göttingen. Der Internationale Gerichtshof werde das klären. Das Verfahren könne aber Jahre dauern, denn es sei sehr anspruchsvoll, den Vorwurf der Apartheid zu beweisen.

    Knackpunkt ist die Frage des Rassismus

    „In objektiver Hinsicht können wir sagen, dass das, was im Westjordanland passiert, die Merkmale eines Apartheidregimes hat", erklärt Ambos, "in dem Sinne, dass die palästinensische indigene Bevölkerung gegenüber der zugezogenen Siedlerbevölkerung aus Israel diskriminiert wird.“ Der Jurist verweist zudem auf "ein duales Rechtsregime, was sehr typisch für Apartheid ist". So gebe es einerseits "israelisches nationales Recht, was auf die Siedler anwendbar ist", anderseits existiere "Besatzungsrecht".
    Knackpunkt ist laut Ambos das Element der rassistischen Unterdrückung: „Die Frage ist, ob man auch von einer rassisch begründeten Gruppendominanz sprechen kann, wenn es vielleicht im Kern nicht um die Rasse, also Rassismus geht, sondern zum Beispiel um Land und wer einen Anspruch darauf hat. Das ist sehr umstritten.“

    rey