In den Gehörgängen knispelt es. Jan Werner knibbelt den Stecker in die Buchse und schließt sein Tablet an die Monitorboxen des Computers an. Kabel defekt!
"Ich bin Musiker und Komponist und Produzent und kümmere mich um alles, was irgendwie mit Klang zu tun hat."
Ein splitterndes Störgeräusch, die verzerrte Wirklichkeit: Willkommen im offenen Musikverständnis von "Mouse On Mars".
"Erstmal muss man etwas verzerren. Damit man neues Material hat, was man neu verstehen lernen muss. Damit man eben auch etwas Neues erzeugen kann."
Als eine Hälfte des Berliner Musik-Duos "Mouse On Mars" macht Jan Werner seit mehr als 20 Jahren zwischen Pop und Avantgarde eine Gratwanderung. Absturz erwünscht! Der Fehler im Schaltkreis macht aus der Perfektion im Pop die Anarchie der Avantgarde: "Glitch" nannte das die Musikjournaille mal als Genre. Der Fehler als das eigentlich begehrte in der Komposition!
Holpern, Ruckeln und Zucken im Beat-Gerüst - leicht gemacht mit der von "Mouse On Mars" im Herbst 2016 veröffentlichten App "fluXpad". Befreundete Musiker haben damit schon komponiert:
"Das ist jetzt sozusagen ein Funkstörung-fluXpad-Song… Man kann jetzt natürlich in dem Funkstörung-fluXpad-Song selber rum malen, man kann die Klänge natürlich selbst neu setzen. Das heißt…"
Komponieren per Fingerstreich
Ja, richtig gehört: malen. Musik malen, Klänge kritzeln. Komponiert wird per Fingerstreich, über krumm-bunte Linien auf dem Display:
"Ich habe hier oben ein Feld und zeichne tatsächlich einfach so eine Linie rein: beginne diese Linie hier unten und gehe mit der Linie weiter nach oben. Ich mache das hier einfach mal so. Sieht jetzt aus wie so ein kleiner Berg, den man nach oben läuft. Und dann wird das Sample so abgespielt… Man merkt schon: Es fängt tief an und wird nach oben gepitched."
Mit "MoMinstruments" sind "Mouse On Mars" seit ein paar Jahren auch Entwickler von digitalen Instrumenten. Das "fluXpad" ist nach den Apps "Elastic Drums" und "WrachUp" die dritte von "Mouse On Mars" konzipierte App.
Waren es zuvor virtuelle Drumcomputer und Sequenzer-Sampler, so haben sie mit dem "fluXpad" nun ein sehr intuitives, kinderleichtes Instrument für das Tablet geschaffen.
"Wenn der hier auf Record steht, klar, dann nimmt er auf, wenn du hier aus machst, dann kannst du rumspielen. Ich mache dir den Loop jetzt mal an."
Autor: "Ok. dann male ich mal. Für Nicht-Musiker ist das Malen wahrscheinlich angebrachter."
Jan Werner: "Ich glaube man macht es so und so."
Autor: "Aber ich muss immer waagrecht malen."
Jan Werner: "Ne, das ist ganz interessant, dass du dieses vertikale Malen direkt ansprichst, weil es ist tatsächlich ein Problem in der Musik, dass man nicht vertikal komponieren kann. Daran hat sich auch Stockhausen schon die Zähne ausgebissen. Das kann man hier auf einfache Weise visuell wunderbar darstellen: Wenn du halt einen Strich nach oben machst, dann ist die Zeiteinheit so kurz, in der sich da klanglich was verändert, dass das menschliche Ohr das als einen ganz kurzen Klang wahrnimmt - als ein Pffft. Egal, was das Ausgangs-Sample war."
Den eigenen Namen gerasselt
Zwei blaue Rechtecke, treppenstufig versetzt: Klingt etwas unbeholfen. Im Rassel-Sound schreibe ich mit dem Zeigefinger meinen Namen auf das Display: A, N, D, I.
"Schauen wir mal, wie sich dein Name gerasselt anhört... Das Schöne ist ja auch, dass man spielt, dass man eben gleichzeitig malt und Musik macht, dass man das aktiv macht."
Ein spielerischer Zugang zur Musik: Björk und Brian Eno haben es mit interaktiven Musik-Apps vorgemacht. Das Album "Biophilia" von Björk beschreibt Naturphänomene als Kompositionen: Pro Track eine App zum tieferen Eintauchen in einen visualisierten Klangkosmos.
Mit "Scape" von Brian Eno komponiert der User einen endlosen Ambient-Track weiter - im Bauklötzchen-Prinzip.
Der große Unterschied zum "fluXpad" von "Mouse On Mars": Diese Anwendungen sind zwar kindlich verspielt und verwischen die Grenzen zwischen Künstler und Konsumenten, aber es sind keine wirklichen Instrumente.
Das "fluXpad" ist vielleicht Wegbereiter für einen neuen Instrumenten-Typus: keine Saiten, keine Tasten, nur ein Wischen und Tippen am Display - in bunten Farben und krummen Linien.
Die ersten Stars der Pop-Avantgarde zeigen sich begeistert: Bon Iver ist Fan der App und erfindet damit gleich eine neue Art der Rock'n'Roll-Pose:
Jan Werner: "Es gab ein Mouse-On-Mars-Stück 'Lichter', das wurde umorchestriert und da hat er das fluXpad gespielt und irgendwie ist es ihm da runter gefallen. Nach dem Gig hat man nur noch dieses zersplitterte iPad und da war fluXpad offen - richtig Rock'n'Roll. Also wer so ein zersplittertes iPad noch spielen kann, sich dabei die Finger aufreißt und mit blutverschmiertem Screen noch weiß, was er da zusammen malt: Das muss man erst mal toppen."