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Arabisch-evangelischer Theologe
"Die Religion darf nicht die Oberhand haben"

Der aus dem Libanon stammende evangelische Theologe Hanna Nouri Josua ruft auf, den säkularen Staat zu stärken. Religion dürfe nicht die Oberhand bekommen wie in vielen islamisch geprägten Ländern. "Orientalische Christen hierzulande fühlen sich im Stich gelassen", sagte Josua im Dlf.

Hanna Nouri Josua im Gespräch mit Andreas Main |
Auf einem Minarett der Moschee der Türkisch-islamischen Union Ditib steht am 06.06.2017 in Köln (Nordrhein-Westfalen) ein goldener Halbmond.
Für Hanna Nouri Josua gehört der Islam noch nicht zu Deutschland (dpa/Oliver Berg)
Andreas Main: Hanna Nouri Josua ist Christ und er hat arabische Wurzeln. Geboren 1956 im Libanon hat er in Beirut Politikwissenschaft und Geschichte des Islam studiert. Dann ging er nach Europa und studierte evangelische Theologie in Belgien und hierzulande. Seit 1980 lebt Josua in Deutschland. Er ist Pfarrer der Arabischen Evangelischen Gemeinde Stuttgart. Er ist mit einer württembergischen Orientalistin verheiratet und hat fünf Kinder. Hanna Nouri Josua hat nun ein schlankes Buch vorgelegt, das es aber bei aller Nüchternheit in sich hat. Es hat den Titel "Die Muslime und der Islam: Wer oder was gehört zu Deutschland?". Hanna Nouri Josua und ich, wir versuchen, gemeinsam eine Antwort zu finden auf diese Frage in einem Gespräch, das wir vor der Sendung aufgezeichnet haben. Herr Josua, danke, dass Sie sich aufgemacht haben ins SWR-Studio in Stuttgart. Guten Morgen, Herr Josua.
Hanna Nouri Josua: Ja, einen schönen guten Morgen und herzlichen Dank, dass ich mich mit Ihnen heute Morgen unterhalten darf.
Main: Herr Josua, Sie beschließen ihr Buch mit drei Wörtern. Wir beginnen dieses Gespräch mit drei Wörtern. Wissen Sie, welche Wörter ich meine?
Josua: Salaam.
Main: Schalom.
Josua: Schalom.
Main: Friede.
Josua: Friede.
Main: Ich muss dazusagen, Sie sind auch Geschäftsführer des Evangelischen Salam-Centers. Warum sind die drei genannten Wörter so wichtig für Ihr Buch, für Ihren Ansatz?
Josua: Die sind deshalb wichtig, weil ich der Ansicht bin, wenn wir miteinander leben wollen und diesen Planeten wirklich anvertraut sehen wollen, ihn richtig zu behandeln, dann brauchen wir das Grundprinzip und eine Grundeinstellung im Leben, nämlich Frieden. Frieden miteinander, Frieden in uns selber, damit wir dies bewerkstelligen können und bewältigen können.
"Großes Misstrauen in der Bevölkerung"
Main: Wenn Sie von Salaam, Schalom und Frieden sprechen und für gutes Zusammenleben aller plädieren, welche Haltung in der Mehrheitsgesellschaft, die aus Christen oder Ex-Christen besteht, missfällt Ihnen mit Blick darauf besonders?
Josua: Ich denke, dass es ein großes Misstrauen gibt in der Bevölkerung. In der Mehrheitsgesellschaft, aber auch in der Minderheitsgesellschaft gibt es ein gegenseitiges Misstrauen und es gibt sehr viele Vorurteile auf beiden Seiten, die nicht dienlich sind für den Frieden. Und die müssen natürlich auch irgendwie aufgearbeitet werden. Ich greife zurück auf meine drei Worte im Buch, die letzten drei Worte in Bezug auf Antisemitismus zum Beispiel. Deshalb habe ich geschrieben: Salam, Schalom, Friede – weil das für mich so wichtig ist. Ich bin aufgewachsen in einer Gesellschaft mit viel Misstrauen und gegenseitigen Aversionen. Und deshalb möchte ich, dass wir hier wirklich frei einander begegnen. Und damit dies gelingt, müssen wir einfach das Gute ineinander auch mal suchen und finden.
Main: Sie sprechen arabisch. Sie arbeiten in einer arabisch-christlichen Gemeinde. Viele, die sich in Islamfragen einmischen, die meisten, können das nicht von sich sagen, sind oftmals ahnungslos, was Islam und Christentum betrifft. Was erleben Sie, was die meisten mangels Zugang nicht erleben?
Josua: Information. Das ist eine Mangelware manchmal. Und vor allem dann, wenn man versucht, irgendwelche radikalen Sätze von hier und dort rauszupicken und die für bare Münze zu halten - als wäre das das alleinige Merkmal einer Religion, einer Glaubensgemeinschaft, eines Menschen, einer Einstellung. Damit tun wir jedem Unrecht, der zu dieser Gruppe gehört, ob das jetzt ein Christ oder ein Muslim ist.
"Religion kontrolliert Politiker und Staat"
Main: Nach dieser Ouvertüre, Herr Josua, vertiefen wir das mal. Es hat in der europäischen Geschichte lange gedauert, aber letztlich hat sich auf Basis des grundlegenden Jesuswortes "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" das durchgesetzt, was man als Trennung von Staat und Religion bezeichnet. Also, Kirche und Gesellschaft und Staat haben je ihre eigene Berechtigung und heben sich voneinander ab. Sie sagen wörtlich: Im Islam verlief die Geschichte anders. Mit welchen Folgen?
Josua: Mit den Folgen, dass die Religion ein Monopol hatte und kontrolliert im Prinzip das Verhalten der Politiker und des Staates, des Staatswesens und dass sie alle Lebensbereiche eines Menschen durchpulst, egal ob im Öffentlichen oder im Privaten: im Personenstandsrecht zum Beispiel, oder wenn Menschen versuchen, sage ich mal, weiter zu kommen als Nicht-Muslime im Haus des Islams, dann ist es für sie ziemlich schwierig, öffentliche Stellungen bekommen, öffentliche Ämter und so.
Main: Letztlich gehen Sie davon aus, dass der Islam im Kern auf eine Verschmelzung von Staat und Religion ausgerichtet ist. Verstehe ich Sie richtig?
Josua: Ja, gut, nach der Auswanderung des Propheten des Islams nach Medina ist er ja in Personalunion nicht nur Prophet geblieben, sondern auch Heeresführer, Richter, Legislative, Judikative, Exekutive, das Prophetische, alles in Personalunion. Und deshalb ist es sehr schwierig, in der Diskussion mit Muslimen diese Sachen auseinanderzutrennen, denn jegliche Kritik bedeutet eigentlich Kritik am Islam dann.
Die Miniatur aus dem Topkapi Museum in Istanbul zeigt den Propheten Mohammed vor der Kaaba in Mekka. Er legt den Hadschar (schwarzen Stein) in einen Teppich, damit er in den östlichen Teil der Kaaba gebracht werden kann. Mohammed, der Stifter des Islam, wurde um 570 als Abul Kasim Muhammad Ibn Abd Allah in Mekka geboren und ist am 8. Juni 632 in Medina gestorben.
Der Prophet Mohammed vor der Kaaba in Mekka (picture-alliance / dpa - Bildarchiv)
Deshalb ist es wichtig, dass wir heute im 21. Jahrhundert eine neue Lesart des Islams entwickeln, was ja ziemlich gute islamische Theologen momentan versuchen, die dafür plädieren, das auszuarbeiten. Und die müssen natürlich einen größeren Raum bekommen, um dies wirklich zu realisieren.
Main: Das ist Ihr Plädoyer für die Zukunft. Aber mit Blick auf die Geschichte sagen Sie letzten Endes, alle Komponenten eines theokratischen Staates sind im Islam von vornherein angelegt.
Josua: Das würde ich mal behaupten, ja.
Main: Sie nennen diesbezüglich auch das Argument, dass die Bildung eines theokratischen Stadtstaates in Medina der Beginn der Zeitrechnung für Muslime ist. Nicht die Geburt Mohammeds oder seine Berufung zum Propheten. Welche Schlüsse ziehen Sie hieraus?
Josua: Ja, hinter dieses Ereignis können Muslime gar nicht gehen - sozusagen zu dieser mekkanischen Zeit, als Mohammed der Prophet war, der Werte verbreitet hatte. Sondern: Da ist eine Sakralisierung des Verhaltens der Muslime dadurch. Und deshalb ist das im Prinzip die Schwierigkeit, mit der wir die ganze Zeit zu tun haben.
"Muslime sind gut beraten, Geschichte als Geschichte zu betrachten"
Main: Daraus dann folgernd Ihr Plädoyer, dass Sie sich als Mann der Religion für den säkularen und religionsneutralen Staat einsetzen. Mit welchen Argumenten können Sie Muslime überzeugen, damit sie rauskommen aus der von Ihnen eben beschriebenen historischen Falle?
Josua: Ich würde mal sagen, die Muslime sind gut beraten, die Geschichte als Geschichte zu betrachten. Und es gibt sehr viele Koranverse aus der mekkanischen Zeit, die im Prinzip diese Freiheit des Glaubens auch eindeutig, unmissverständlich äußern und besagen. Zum Beispiel, da heißt es: 'Es glaubt, wer glauben will und sei ungläubig, wer ungläubig sein will.' Also, das heißt, diese Freiheit, die existiert.
Natürlich kann man dann den Glauben als eine Privatsache erklären. Das Problem liegt nur darin, dass der Islam ein grundsätzliches Problem hat, in der Minderheit zu leben. Denn eben das, was man erlebt hatte in Medina, sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich und juristisch und politisch, ist so stark religiös geprägt, von Mohammed angeordnet, sodass dies alles quasi gelten will.
Das ist eben ein Problem, dass wir das 7. Jahrhundert nicht verlegen oder versetzen können in das 21. Jahrhundert. Und das merken wir am Verhalten vieler Menschen in der Arabellion, in der Auseinandersetzung momentan zwischen den verschiedenen Kräften in der arabischen Welt.
"Christenverfolgung? Das kann man so nicht sagen"
Main: Hanna Nouri Josua, arabisch evangelischer Pfarrer in Stuttgart. Ich möchte auf Ihre Erfahrung im Libanon kommen. Sie haben da eben auch schon drauf angespielt. Sie schreiben wörtlich: "Die systematische Diskriminierung von Nicht-Muslimen in islamisch dominierten Staaten kann durchaus als ein Grund für starke Abwanderung von Christen aus der islamischen Welt angesehen werden." Ist das aus Ihrer Sicht Christenverfolgung durch Muslime?
Josua: Das kann man so nicht direkt sagen – Christenverfolgung. Aber, wenn ich mich entfalten will und nicht entfalten darf, weil die Gesetze gegen mich sprechen, dann suche ich das Weite und versuche ich, woanders das zu realisieren, was ich an Träumen habe. Das gilt sowohl für mich als auch für viele andere. Ich als evangelischer Christ im Libanon bin ja so begrenzt, aufgrund dieser Religionsverteilung. Dieses Proporzsystem, das wir haben im Libanon, macht es für mich als evangelischer Christ unmöglich, irgendwo Möglichkeiten zu finden, um mich zu profilieren als ein evangelischer Christ in der Politik zum Beispiel.
Main: Sie schreiben irgendwo, dass Sie so etwas wie im Libanon, diese Dualisierung, dass Sie das im Westen nicht noch mal erleben wollen. Sehen Sie die Gefahr?
Josua: Ja. Die Gefahr darf nicht auftreten. Denn ich möchte nicht, dass die Menschen nach Religionszugehörigkeiten betrachtet werden, sondern nach ihren Kompetenzen und Fähigkeiten, Möglichkeiten. Und deshalb, die Demokratie hier, da haben wir zum Beispiel in Württemberg unsere Landtagspräsidentin. Und da bin ich als evangelischer arabischer Christ stolz auf sie als Türkin, dass sie diesen Landtag leitet. Das ist nur möglich in einem demokratischen Kontext, in einem Kontext, wo die Religion nicht die Oberhand hat. Das wäre vollkommen unmöglich, zum Beispiel in Ägypten einen Christen als Parlamentspräsident zu haben oder in irgendeinem anderen arabischen Land.
"Orientalische Christen fühlen sich im Stich gelassen"
Main: Nun hat es den Export bestimmter christlich-muslimischer Spannungen aus diversen Ländern nach Deutschland gegeben. Was bedrückt Ihre hierhin zugewanderten Gemeindemitglieder mit Blick auf den Islam? Wo drückt der Schuh bei orientalischen Christen in Deutschland?
Josua: Ja, gut, die orientalischen Christen fühlen sich im Stich gelassen, weil sie denken, wir kommen in einen christlichen Staat, weil sie dort immer denken, islamischer Staat und jetzt in christlichen Staat Deutschland, obwohl wir vom säkularen Staat sprechen müssen.
Main: Und dann werden sie für Muslime gehalten, weil sie schwarze Haare haben und einen dunkleren Teint.
Josua: Das ist das eine. Und das andere, sie sagen: Ihr seid nicht verfolgt in euren Ländern und …
Main: Wobei Sie ja eben auch gesagt haben, dass das keine Verfolgung ist.
Josua: Es ist nicht Verfolgung im herkömmlichen Sinne, sondern die sind Repressalien ausgesetzt und eine indirekte Verfolgung.
"Orientalische Christen werden missbraucht, um gegen Muslime zu polemisieren"
Main: Aber es ist ja auch wirklich so, dass quasi dauernd über den Islam in Deutschland gesprochen wird, und wenn man mal vergleicht, wie viel über orientalische Christen in Deutschland gesprochen wird, also ich sage mal, quasi gar nicht, da entsteht ja schon der Eindruck einer Schieflage.
Josua: Ja, gut, wir haben einen Informationstisch gehabt auf der Königstraße in Stuttgart. Und dann kommen Deutsche und sagen: "Seid ihr Muslime?" Dann sage ich: "Nein, wir sind evangelische Christen." "Aber hier steht "arabisch"." Und da habe ich gesagt: "Ja, arabisch ist nicht gleich Islam, sondern die Araber waren vor dem Islam da." Dieses Unterscheidungsvermögen ist manchmal schwierig für die Menschen. Wie Sie sagen, Araber ist gleich Muslim, ist gleich unerwünscht. Und das erleben unsere Leute hin und wieder. Aber gleichzeitig muss ich ganz ehrlich sagen, die Situation der orientalischen Christen wird auch häufig missbraucht, um zu polemisieren gegen Muslime.
Main: In welcher Form?
Josua: In der Form, dass man sagt: Ihr seid verfolgt und ihr seid durch die Muslime verfolgt, von Muslimen verfolgt und dadurch kriegen sie natürlich vom rechten Rand ziemlich guten Applaus dafür, dass sie sagen, wir sind verfolgt von Muslimen. Und natürlich hat auch der Rechtsradikalismus den Islam im Visier. Und darum werden orientalische Christen auch hierfür instrumentalisiert. Also, nicht alle natürlich, aber viele.
"Problem mit den Dachverbänden"
Main: Wobei es ja auch so eine Tendenz gibt bei den islamischen Dachverbänden, die Tendenz, jeden, der aus einem fremden Land kommt, zum Moslem erklären zu wollen.
Josua: Ja, das ist eben das Problem, das wir momentan haben mit den Dachverbänden. Und ich bedauere es außerordentlich, dass die Politik die drei Dachverbände genommen haben als das Nonplusultra für das Gespräch über christlich-islamische Begegnungen. Die große Mehrheit der Muslime, die im Prinzip anders denkt und anders handeln würde, die werden nicht gefördert und befördert, damit sie sich aufstellen können auf einer guten Art und Weise.
Main: Sie haben eben sinngemäß gesagt: nicht verallgemeinern, nicht alle in einen Topf werfen. Was Sie auch nicht wollen: Sie wollen nicht Angst schüren. Also, Ihre Kritik richtet sich gegen die Instrumentalisierung von Religion durch einen politischen Islam und versteht sich als konstruktiv. Wo sind für Sie die Grenzen der Islamkritik?
Josua: Das ist natürlich eine gute Frage. Wo sind die Grenzen? Ich denke, eine Religion bewährt sich, indem sie sich faktisch und auch sachlich gegen die Kritik behauptet. Aber wenn die Kritik berechtigt ist, dann muss sie sich das gefallen lassen, dass eine Veränderung ihrer Strukturen und auch ihrer Überzeugungen … müssen angeglichen werden an die moderne Zeit und an die hiesigen Verhältnisse.
Main: Herr Josua, bei Ihnen bekommen nicht nur bestimmte Islamverbände ihr Fett weg, sondern auch die Kirchen. Sie sagen, die Kirchen versuchen häufig, "ihre frühere privilegierte Stellung zu verteidigen, indem sie versuchen, Allianzen mit den islamischen Verbänden zu schmieden, um des generellen religiösen Einflusses innerhalb der Gesellschaft willen." Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Josua: Zum Beispiel islamischer Religionsunterricht. Sie verteidigen den christlichen Religionsunterricht in Berlin und wollen kein LER haben.
Main: Lebenskunde, Ethik als Fach, also Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde.
Josua: Genau. Und jetzt haben sie im Prinzip sich dafür eingesetzt, dass die islamische Föderation den islamischen Religionsunterricht anbietet, um zu sagen: Hier bilden die beiden Religionen quasi ein Bündnis gegen das säkulare Berlin.
Main: Was haben Sie dagegen?
Josua: In der Schule, Religion und Ethik – im ethischen Bereich würde ich mal sagen, die Religion gehört dazu. Die Religion ist nicht dazu da, um sozusagen den Glauben zu stärken in der Schule, sondern um etwas zu lernen, wie man mit den anderen umgeht und die ethischen Grundfragen dort zu eruieren. Und das kann durchaus in Ethik geschehen. Und, wenn ich, sage ich mal, meine Kinder christlich erziehen will, dann schicke ich sie in die Gemeinde und lasse sie konfirmieren und lasse sie sich engagieren in den Gemeinden vor Ort.
"Die Mehrheit der Muslime wird von Kirchen nicht genug gewürdigt"
Main: Sie bezeichnen Ihre Kirche als naiv im Umgang mit Islamverbänden. Was stört Sie am meisten?
Josua: Mich stört, dass sie sagen, wir halten fest am Dialog, ungeachtet, was der Staat sagt, was die Medien sagen, zum Verhalten zum Beispiel der Dachverbände, ob Ditib ein verlängerter Arm der türkischen Diyanet ist oder nicht. Das spielt keine Rolle. Sie haben 30 Jahre, 40 Jahre mit Ditib verhandelt und plötzlich zieht sich Ditib zurück zum Beispiel aus dem Dialog an vielen Orten oder an den meisten Orten in Deutschland. Und trotzdem sagt die Kirche, ungeachtet, ob der Dialog schwierig ist oder nicht schwierig ist, daran wollen wir festhalten. Die Mehrheitsgesellschaft unter den Muslimen, die im Prinzip bis heute nicht genügend gewürdigt wurde und nicht genügend befragt wurde, was sie eigentlich will, ist nicht im Blickfeld der Kirchen. Und das ist mein Problem.
Der evangelische Theologe Hanna Nouri Josua
Hanna Nouri Josua (Evangelische Verlagsanstalt )
Main: Zum Schluss noch mal zurück zur Ausgangsfrage. Was müsste geschehen, dass alle Islamströmungen in Deutschland vereinbar mit unserer Demokratie sind?
Josua: Ich würde mal sagen, Bildung und noch mal Bildung. Denn, als unsere Kanzlerin Angela Merkel sagte: "Wir schaffen das", hat sie das zwar mutig gesagt, aber sie hat die Instrumentarien für "Wir schaffen das" nicht schnell genug präsentiert, nämlich, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, auch beigebracht wird, dass demokratische Verhältnisse etwas anderes bedeuten als das, was sie mitgebracht haben an Ideen, Erfahrungen, Sozialisierung, die sie sozusagen gelebt haben und erlebt haben in der arabischen Welt.
"Wir brauchen ein inneres Ja zu dieser Gesellschaft"
Main: Noch mal ein Zitat aus Ihrem Buch. "Der Islam ist in Deutschland und er ist Teil von Deutschland, aber er gehört - noch - nicht zu Deutschland." Das schreiben Sie so. Wovon hängt es ab, ob er jemals zu Deutschland gehört?
Josua: Ich würde mal sagen, von einem inneren Ja zu dieser Gesellschaft und zu den demokratischen Strukturen, die wir hier in Deutschland haben. Dieses uneingeschränkte Ja muss irgendwann mal kommen. Und diese Bejahung - nicht nur 'Ja, wir glauben an Demokratie', sondern diese Bejahung bedeutet auch Integration.
Dann haben wir wirklich eine Gesellschaft, die nicht die Menschen nach ihrer Religion betrachtet, sondern ohne Ansehen der Person nach Qualifikation und nach seiner Menschlichkeit. Und ich als Theologe würde mal sagen, das Imago Dei, das Ebenbild Gottes, in dem wir erschaffen sind als Menschen, das ist für mich das Maß aller Maße. Das ist sozusagen für mich ein Grundstein, eine Basis für die Behandlung aller Menschen gleich.
Main: Der Mensch als Abbild Gottes, Hanna Nouri Josua, evangelischer Theologe aus dem Libanon und seit vielen Jahren Pfarrer der Arabischen Evangelischen Gemeinde Stuttgart. Sein Buch hat den Titel "Die Muslime und der Islam: Wer oder was gehört zu Deutschland?" Es ist erschienen in Leipzig bei der evangelischen Verlagsanstalt. 160 Seiten kosten 15 Euro. Herr Josua, danke für Ihren Besuch im Studio und danke für Ihre Eindrücke.
Josua: Herzlichen Dank.
Hanna Nouri Josua: "Die Muslime und der Islam: Wer oder was gehört zu Deutschland?"
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2019, Paperback, 160 Seiten, 15 Euro
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