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Fußball in Nahost (2)
Jahrhundertspieler auf der Terrorliste

In etlichen Ländern der arabischen Welt müssen politisch aktive Fußballer um ihre Sicherheit fürchten. Die anstehende Weltmeisterschaft in Katar lenkt die Aufmerksamkeit auch auf sie.

Von Ronny Blaschke |
Der australische Mittelfeldspieler Mark Milligan greift den syrischen Nationalstürmer Firas al-Khatib während eines WM-Qualifiktationsspiels an
Der syrische Stürmer Firas al-Khatib verdeutlicht die Last, die Spieler in Diktaturen schultern müssen. (imago / Action Plus / Nigel Owen)
Die Nationalmannschaft des Iran hat ihre große Zeit in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Damals ist Iran noch eine Monarchie. Der autoritäre Herrscher, der Schah, präsentiert sich mit Nationalspielern vor Kameras, doch einer verweigert ihm den Handkuss: Parviz Ghelichkhani. Immer wieder kritisiert Ghelichkhani Menschenrechtsverletzungen des Regimes. Dafür wird er vorübergehend inhaftiert. Ghelichkhani wechselt in die USA und sagt seine Teilnahme mit dem Iran an der WM 1978 ab, aus Protest gegen den Schah. Ein Jahr später: die Islamische Revolution. Eine Diktatur wird durch eine andere ersetzt. Ghelichkhani geht nach Paris, wo viele Iraner im Exil leben, und gibt dort ein Magazin für Politik und Kultur heraus. Inzwischen ist er 76 Jahre alt und für viele Iraner noch immer ein Vorbild. Gerade heute, da wieder Tausende Menschen gegen staatliche Gewalt protestieren.
Auch in Israel wirft der Fußball ein Licht auf Konflikte in der Gesellschaft. 20 Prozent der Menschen sind hier arabischer Herkunft, häufig fühlen sie sich von der jüdischen Mehrheit ausgegrenzt. Anfang des Jahrtausends gibt der Mittelfeldspieler Abbas Suan der muslimischen Minderheit eine Stimme. Suan stammt aus Sachnin, einer arabisch geprägten Stadt im Norden Israels. Als Kapitän führt er den Fußballklub Bnei Sachnin 2003 in die erste Liga. Und ein Jahr später zum Gewinn des israelischen Pokals. Bald darauf zählt Abbas Suan zu den Leistungsträgern im israelischen Nationalteam. Er unterschreibt Werbeverträge, wird in Filmen und Liedern beschrieben. Und so weckt Bnei Sachnin auch das Interesse jüdischer Fans. Abbas Suan bezeichnet sich als Palästinenser, weil er viele Verwandte und Freunde in der arabischen Welt hat. Und er bezeichnet sich als Israeli, wegen seiner Staatsangehörigkeit. Die israelische Hymne Hatikwa möchte er aber nicht mitsingen, weil darin nur das Jüdische betont werde. Auch deshalb wird er von Nationalisten beschimpft – bis heute.

Asienmeister mit Landkarte auf dem Arm

Spieler, die in ethnisch und religiös vielschichtigen Gesellschaften überall gut ankommen, sind selten, doch es gibt sie, siehe Irak. Im von Krieg und Terror gezeichneten Land mag in den Nuller Jahren kaum jemand an Fußball denken. Doch dann spielt die irakische Nationalmannschaft 2007 bei der Asienmeisterschaft groß auf, angeführt von ihrem Kapitän: Younis Mahmoud. Nach ihrem Sieg im Halbfinale strömen in Bagdad Zehntausende Menschen auf die Straßen. Während dieser Feiern töten Selbstmordattentäter mehr als fünfzig Menschen. Familien der Opfer überreden die Spieler, trotz ihres Schocks das Finale zu bestreiten. Und so gewinnt der Irak in Jakarta gegen den Favoriten Saudi-Arabien 1:0. Der Torschütze Younis Mahmoud ist sunnitischer Herkunft und stammt aus der nordirakischen Stadt Kirkuk, wo Araber, Turkmenen und Kurden oft im Konflikt stehen. Mahmoud tätowiert sich die irakische Landkarte auf den Arm, als Zeichen der nationalen Einheit. Selbst viele Kurden, die sich ihren eigenen Staat wünschen, können sich damit identifizieren.
Der irakische Fußballer Younis Mahmoud während eines Länderspiels beim Confederation Cup 2009
Younis Mahmoud tätowiert sich die irakische Landkarte auf den Arm, als Zeichen der nationalen Einheit. (imago sportfotodienst / Gribaudi/)
Auch in Ägypten melden sich Fußballer politisch zu Wort. Der bekannteste von ihnen: Mohamed Aboutrika. In seinen 100 Länderspielen schießt Aboutrika fast vierzig Tore und führt Ägypten zum Gewinn von zwei Afrikameisterschaften. Fast zehn Jahre, bis 2013, spielt er in Kairo für Al Ahly, jenen Klub, der seit mehr als hundert Jahren politisch vereinnahmt wird. Doch Aboutrika setzt sich über staatliche Linien hinweg. Er sammelt Spenden für benachteiligte Gruppen und sympathisiert offen mit der Bevölkerung im Gazastreifen. In den letzten Jahren seiner Laufbahn kritisiert er die Repression des ägyptischen Militärregimes. Sein Name wird auf einer Terrorliste geführt, seine Bankguthaben: eingefroren. Aboutrika lebt inzwischen in Katar und ist als Fernsehkommentator tätig. Aus Sorge vor Strafverfolgung unterstützen ihn öffentlich nur noch weniger Ägypter. Einer, der zu Aboutrika hält, muss wegen seiner Bekanntheit keine Strafe fürchten: Liverpool Stürmerikone Mohamed Salah.

Spieler in Haft und im Exil

In etlichen Ländern der arabischen Welt müssen Fußballer um ihre Sicherheit fürchten, zum Beispiel in Syrien. Auch deshalb zieht es den in Homs aufgewachsenen Firas al-Khatib früh ins Ausland. Er spielt in China und mehr als zehn Jahre in Kuwait. 2012, ein Jahr nach Beginn des syrischen Bürgerkrieges, verkündet al-Khatib seinen Rücktritt aus dem Nationalteam und bekennt sich zur Opposition. Ein Rückschlag für Diktator Baschar al-Assad.
Doch im Frühjahr 2017 kehrt Firas al-Khatib für WM-Qualifikationsspiele ins Nationalteam zurück. Seine Aussagen sind nicht mehr kämpferisch, sondern milde. In sozialen Medien wird diskutiert: Setzt die Regierung al-Khatib unter Druck? Ist seine Familie in Gefahr? Firas al-Khatib verdeutlicht die Last, die Spieler in Diktaturen schultern müssen. In Syrien werden Dutzende Spieler verhaftet, gefoltert, getötet. Viele von ihnen fliehen und leben nun im Exil. Die anstehende Weltmeisterschaft in Katar könnte die Aufmerksamkeit auch auf sie lenken.