Ein großes Einkaufszentrum am Stadtrand von Nazareth. Boutiquen reihen sich an einen Supermarkt, ein paar Cafés, dazwischen ein Laden mit den klassischen arabischen und ziemlich klebrigen Süßspeisen. Assem Zaroura ist gekommen, um ein paar Einkäufe zu erledigen. Der 36-Jährige ist Sportlehrer, verheiratet, hat zwei Kinder und ist politisch sehr interessiert:
"Am wichtigsten für uns Araber ist gerade die Sicherheitslage. Wir hatten immer mit Gewalt innerhalb der Gemeinschaft zu kämpfen, aber gerade erscheint die Lage hoffnungslos. Alle paar Tage, manchmal täglich, gibt es Gewalt. Für die, die uns politisch vertreten wollen, muss dieses Problem oberste Priorität haben."
Die Gewaltkriminalität unter Israels arabischen Einwohnern hat massiv zugenommen. Im vergangenen Jahr gab es mehr als 100 Morde. Es kam zu Schießereien auf offener Straße. Kriminelle Banden bekämpfen sich. Hinzu kommen blutige Fehden zwischen Familienclans.
Polizei und Politik bekommen Gewaltkriminalität nicht in den Griff
Die israelische Polizei bekommt die Lage nicht in den Griff. Der Regierung von Premier Netanjahu wird vorgeworfen, das Problem bewusst vernachlässigt zu haben. So sieht es auch Lehrer Assem. Er hatte große Hoffnungen in die Vereinte Liste arabischer Parteien, die bei der letzten Parlamentswahl vor rund einem Jahr ein Rekordergebnis erzielte, dann aber aus der Opposition heraus nicht effektiv Politik machte, sich intern zerstritt und in zwei Lager zerfiel. Lehrer Assem ist die Enttäuschung anzuhören:
"Ich bin mit der Arbeit der Vereinten Liste nicht zufrieden. Ich denke, die meisten von uns sind frustriert. Sie bekamen 15 Sitze. Das zeigt unser Vertrauen und ich hatte erwartet, dass sie sich sofort um die Lösung unserer Probleme kümmern: Gewalt, Bauplanung, Landverteilung. Unsere Kinder sollen sicher sein und sie brauchen Platz zum Leben. Unsere Solidarität mit den palästinensischen Autonomiegebieten ist wichtig, aber andere Themen, die uns belasten, sind gerade dringlicher. Unsere Vertreter müssen sich für uns einsetzen. Ich werde wieder für die Vereinte Liste stimmen, aber sie müssen mehr für uns tun."
Hohe Erwartungen an eigene politische Vertreter
Sami Abu Shehadeh kennt solche Vorwürfe. Er ist arabischer Israeli aus Jaffa, sitzt im israelischen Parlament und ist Vorsitzender der Balad-Partei, einer von drei Bewegungen in der Vereinten Liste:
"Die Erwartungen unserer Wählerschaft sind sehr hoch. Wir werden sie nie erfüllen können, denn politisch und ideologisch gesehen, lehnen wir die Beteiligung an einer Regierung ab, die unser Volk unter Besatzung hält und eine rassistische Politik uns gegenüber ausübt. Dafür wollen wir keine Verantwortung übernehmen.
Wenn Sami Abu Shehadeh "unser Volk" sagt, meint er damit die arabischen Israelis und die Palästinenser im Westjordanland und dem Gaza-Streifen. Balad und die zwei anderen Parteien, die noch zur Vereinten Liste gehören, Hadash und Ta’al, haben sich bewusst für die Oppositionsrolle entschieden – aus ideologischen Gründen.
Zweifel an Fundamentalopposition als Antwort
Diese Haltung ist innerhalb der arabischen Israelis, einer Gruppe die rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, zunehmend umstritten. Die arabischen Israelis fühlen sich im Land mehrheitlich als Einwohner zweiter Klasse, aber viele sind sich nicht sicher, ob Fundamentalopposition weiterhin die richtige Antwort ist.
Zur Vereinten Liste gehörte bei der letzten Wahl auch noch die Partei Vereinigte Arabische Liste. Sie ging auf Annäherungskurs zu Premierminister Netanjahus Likud-Partei, schied im Streit aus der Allianz mit den anderen arabischen Kräften aus und tritt nun alleine an.
Um Stimmen wirbt auch die politische Neugründung Ma‘an des Politologen Mohammad Darawshe.
Er wandte sich aus Enttäuschung von der Vereinten Liste ab und wirbt für mehr Pragmatismus. Er schließt eine Zusammenarbeit mit jüdisch israelischen Parteien nicht grundsätzlich aus:
"Ich bin bereit, über Fortschritte bei Gleichberechtigung und der Beendigung von Diskriminierung zu verhandeln. Wenn eine Regierung in diese Richtung gehen möchte, bin ich bereit zu Gesprächen. Einer Regierung, die das rassistische Wesen des Staates uns gegenüber beibehält, werde ich nicht angehören."
Kurswechsel in der Kampagne Netanjahus
Benjamin Netanjahu wirbt in diesem Wahlkampf offensiv um die Stimmen derer, gegen die er in vergangenen Kampagnen gehetzt hat. Israels Premier besuchte Nazareth und andere arabische Ortschaften, kündigte Investitionen und ein entschlossenes Vorgehen gegen die Kriminalität an.
Majdi Qassem, PR-Agent und 24 Jahre alt, hat Netanjahu überzeugt. Majdi will den Vorsitzenden der national-konservativen Likud-Partei wählen:
"Die jüdische Bevölkerungsgruppe wird Netanjahu wählen. Deshalb muss man sich mit ihm auseinandersetzen und mit ihm verhandeln, denn er vertritt sie. Das kann man sich nicht aussuchen. So ist es eben. Wir können nach dem Motto ‚Die oder wir‘ weitermachen oder wir reden mit ihnen. Das hat damals zwischen Israel und Ägypten trotz aller offenen Wunden und des Hasses auch zu einer Lösung geführt."
Majdi vertritt seine Meinung auch in den sozialen Medien. Er sei deshalb beschimpft und sogar bedroht worden, erzählt er.
Sehr viele Stimmen wird Benjamin Netanjahu unter Israels arabischen Wählern wohl nicht holen, die Vereinte Liste aber wird im nächsten Parlament voraussichtlich schwächer vertreten sein und weiterhin die Erwartungshaltung vieler ihrer Wähler nicht erfüllen können.