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Arbeit der Stasiunterlagen-Behörde "nicht so befriedigend"

Hubertus Knabe kritisiert anlässlich des Führungswechsels die Stasiunterlagen-Behörde: Zu teuer, zu komplizierte gesetzliche Vorgaben, Weiterbeschäftigung von Ex-Stasi-Mitarbeitern. Hoffnung setzt Knabe in den Birthler-Nachfolger Roland Jahn.

    Christoph Heinemann: Kurz vor ihrem Ausscheiden hat die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, mehr Einsatz bei der Aufarbeitung des SED-Regimes gefordert. Bei der letzten Vorstellung ihres Tätigkeitsberichtes sagte Frau Birthler gestern in Berlin, die DDR werde längst noch nicht als wichtiger Bestandteil der Nachkriegsgeschichte wahrgenommen. Sie kritisierte außerdem die mangelhafte finanzielle Unterstützung kleiner Institute, die sich mit dem Thema beschäftigten. Frau Birthler scheidet nach gut zehn Jahren turnusgemäß am Montag aus dem Amt. Vom Bundestag gewählter Nachfolger ist Roland Jahn. Über ihre Arbeit hat mein Kollege Martin Zagatta gestern mit Hubertus Knabe gesprochen, dem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Berlin-Hohenschönhausen, und ihn zunächst gefragt, ob er mit der Arbeit der Birthler-Behörde zufrieden sei.

    Hubertus Knabe: Ja, das ist so wie im richtigen Leben, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Für mich ist es doch eher halb leer. Wenn man bedenkt, dass in diese Behörde in den letzten 20 Jahren doch rund zwei Milliarden Euro reingesteckt worden sind und wir bis heute aber nicht wissen, wer in Deutschland eigentlich für die Stasi gearbeitet hat, und immer wieder neue Fälle dann an die Öffentlichkeit gezerrt werden, dann ist das Ganze nicht so befriedigend, wie es vielleicht von den Schöpfern dieser Behörde oftmals dargestellt wird.

    Martin Zagatta: Wenn man sich aber die Zahlen anschaut – seit 1991 haben 1,8 Millionen Menschen einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, im zurückliegenden Jahr noch fast 90.000 -, das klingt doch gar nicht so schlecht.

    Knabe: Ja, das ist auch sicherlich ein großer Erfolg und etwas Besonderes, dass die Verfolgten selbst die Möglichkeit hatten, in ihre Stasi-Akten einzusehen. Das haben auch sehr viele wahrgenommen. Ein Teil dieser hohen Ziffern ist aber auch darauf zurückzuführen, dass es sich hier um Wiederholungsanträge handelt, was wiederum damit zusammenhängt, dass die Akten dort nur sehr schleppend erschlossen worden sind, sodass man im Grunde genommen alle paar Jahre wieder einen Antrag stellen muss, um herauszufinden, ob vielleicht doch noch irgendetwas Neues aufgefunden worden ist.

    Zagatta: Die Bundesregierung argumentiert hier, dass wir einen verhältnismäßig offenen Umgang mit Spitzelprotokollen hätten. In Nachbarländern, also in ehemaligen kommunistischen Ländern wie Polen, wie Tschechien und Ungarn, sei es weit komplizierter, Einsicht in solche Dokumente zu bekommen. Ist das so?

    Knabe: Das kann man so generell nicht sagen. Da gibt es inzwischen doch einen ganz gehörigen Aufholprozess. In Bulgarien zum Beispiel ist es so, dass die Überprüfungen auf eine genau festgelegte Gruppe von Menschen ausgedehnt werden - zum Beispiel Chefredakteure sind darunter, die in Deutschland nicht überprüft werden -, und die Ergebnisse dann auch ins Internet gestellt werden, sodass das jeder nachlesen kann. Das machen wir in Deutschland auch nicht, sondern das passiert hinter verschlossenen Türen. Und so gibt es viele Details, die in dem einen Land so, in dem anderen Land so wahrgenommen worden sind. Auch das Verbot etwa der kommunistischen Symbole gehört dazu. In den meisten osteuropäischen Staaten ist die Verherrlichung des Kommunismus und auch das Tragen seiner Symbole verboten, in Deutschland nicht. Also da zeigt sich eher ein differenziertes Bild.

    Zagatta: Was konkret hätten Sie sich gewünscht, das da verändert wird an der Arbeit dieser Behörde?

    Knabe: Ja ich würde mir eigentlich wünschen ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis, und das liegt vor allem an dem sehr komplizierten Gesetz. Wir haben hier sehr komplizierte Bestimmungen geschaffen, wie Wissenschaftler hier etwa Einsicht nehmen können, oder wie Überprüfungen vonstattengehen müssen. Das alles ist sehr, sehr aufwendig und viele Hundert Menschen – es sind ja inzwischen, glaube ich, noch immerhin 1700 Mitarbeiter in dieser Behörde – sind damit beschäftigt, diese komplizierten gesetzlichen Vorgaben auszuführen. Das könnte man meines Erachtens auch einfacher haben. Da gibt es eine einzige deutsche Stadt, in der das anders gelaufen ist: in Halle an der Saale. Da sind sämtliche Stasi-Mitarbeiter seit Jahrzehnten bekannt. Da haben Bürgerrechtler damals einfach die Listen der Stasi im Rathaus ausgelegt, die Bildzeitung hat sie nachgedruckt und das gab einen großen Knall und dann war aber auch Schluss mit dem Thema.

    Zagatta: Nach Auskunft der Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigt sie immer noch – das musste sie einräumen – 50 ehemalige Stasi-Mitarbeiter, also in der eigenen Behörde. Wie erklären Sie sich, dass es dazu überhaupt gekommen ist?

    Knabe: Ja das ist wirklich aus meiner Sicht nach wie vor ein skandalöser Vorgang. Die sind anfangs hinzugenommen worden als angebliche Experten. Dann stellte sich heraus, dass auch viele einfache Wachdienste übernommen worden waren, weil das Innenministerium damals nicht wusste, wohin mit diesen Leuten, und dass dann aus den befristeten Verträgen auf einmal unbefristete wurden und dann auch, als das öffentlich wurde, eben nichts dafür getan worden ist, hier diese belasteten Mitarbeiter woanders einzusetzen. Sie müssen sich vorstellen: Wenn Sie in diese Behörde kommen als Opfer, der Mann, dem Sie dort am Eingang den Ausweis zeigen müssen, der hat früher selbst für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet, und das finde ich ist ein unhaltbarer Zustand.

    Zagatta: Da sagt aber Frau Birthler, das sei gar nicht zu ändern, da gebe es arbeitsrechtliche Grundlagen.

    Knabe: Ja, das ist natürlich das Problem. Wenn man wissentlich Stasi-Mitarbeiter beschäftigt, kann man sie nicht nach 20 Jahren auf einmal entlassen. Das macht kein Arbeitsgericht mit. Man kann aber natürlich versuchen, sie woanders einzusetzen, wo sie weniger auffällig werden, und wenn jetzt der neueste Fall bekannt geworden ist, dass der zuständige für die gesamte IT-Architektur in dieser Behörde, also die Datenverarbeitung, die elektronischen Datenbanken, früher für die Stasi gearbeitet hat, dann zeigt das, dass man hier nicht besonders sich darum bemüht hat, die Ex-Stasi-Mitarbeiter in weniger empfindlichen Bereichen einzusetzen.

    Zagatta: Herr Knabe, am Montag übernimmt der aus der DDR ausgebürgerte Dissident und spätere Fernsehjournalist Roland Jahn die Leitung der Stasi-Unterlagen-Behörde. Welche Erwartungen haben Sie an ihn?

    Knabe: Ja zunächst mal ist das ein wirklich schwieriges Päckchen, was er da auf die Schultern gelegt bekommt. Was ich an ihm sehr schätze, ist die Offenheit und die Bereitschaft zuzuhören und nicht Missstände noch im Nachhinein zu rechtfertigen, sondern ich erwarte mir, dass er hier wirklich mit der nötigen Offenheit herangehen wird und auch versuchen wird, Lösungen zu finden.

    Heinemann: Hubertus Knabe, der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Berlin-Hohenschönhausen. Die Fragen stellte mein Kollege Martin Zagatta.

    Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

    Stasiunterlagen-Behörde (früher Gauck bzw. Birthler-Behörde)