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Arbeit, nichts als Arbeit

Arbeit als Lebenssinn, als Mittel, um Geld zu verdienen, oder als krankmachende Belastung: Eine Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden beleuchtet das Thema Arbeit und Beruf von unterschiedlichen Seiten.

Von Alexandra Gerlach |
    "Ich arbeite sehr gerne und es ist sicherlich ein großer Teil meines Lebens, weil mir die Arbeit so viel Freude macht, Menschen zu helfen in meinem Beruf. Ja, ich denke, das sind schon im Schnitt auf jeden Fall so neun bis zehn Stunden. Ja, es ist schon einwichtiger Motor auch für mich."

    "Unterschiedlich! Muss ich ganz ehrlich sagen, manchmal zehn, zwölf Stunden, manchmal nur drei oder vier. Das bedeutet mir schon viel. Es ist schön, dass man seine Zeit als Selbstständiger selbst einteilen kann, und das macht richtig Spaß, ja!"

    Was ist Arbeit? Ist Arbeit ein Synonym für die Möglichkeit oder die Verpflichtung, etwas zu tun? Wenn heute die Rede von Arbeit ist, fallen einem zunächst zumeist Begriffe wie Flexibilisierung, Globalisierung, Arbeitszeitverkürzung, Kurzarbeit, Hartz IV oder Mindestlohn ein. Wie wichtig ist es für einen Menschen, zu arbeiten oder einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen? Geht es ihm in erster Linie um Beschäftigung oder um die Bezahlung, die am Ende der Arbeit winkt?

    Das sind einige der Fragen, die im Mittelpunkt der neuen Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden stehen. Zwei Jahre lang hat Daniel Tyradellis als wissenschaftlicher Leiter an dieser Exposition gearbeitet. Der studierte Philosoph hat sich durch Hunderte von Büchern gearbeitet, um das schier grenzenlose Thema wissenschaftlich fundiert zu erschließen. Tyradellis arbeitet täglich viel:

    "14 Stunden etwa. Ich dachte immer, es wäre viel. Nachdem wir für die Ausstellung mit über 100 Menschen Interviews geführt haben, stelle ich fest: Es ist gar nicht so ungewöhnlich."

    Und noch etwas hat Tyradellis in den Monaten der Ausstellungsvorbereitung erfahren. Die Arbeit, so Tyradellis über Tyradellis sei ihm viel zu wichtig:

    "Ja, weil dadurch der Rest des Lebens doch etwas ins Hintertreffen gerät. Das heißt: etwa meine Frau und - seit einem halben Jahr - auch mein Sohn. Es ist nicht so leicht, das Miteinander zu vereinbaren. Aber das ist ein Problem, das wahrscheinlich fast jeder kennt. Aber wenn man das dann live und in natura erlebt, stellt sich es dann doch immer anders dar, als man es vorher in Büchern gelesen hat."

    Ein wenig absurd ist es schon: Viele, die Arbeit haben, wissen nicht wohin vor Belastung, während andere verzweifelt nach Arbeit suchen und fast zugrunde gehen, weil sie keine finden. Was bedeutet Arbeit für uns wirklich? Ist Arbeit ein Wert an sich?

    "Wenn man anfängt, sich mit der Arbeit und der Geschichte der Arbeit zu beschäftigen, kommt man sehr schnell zu dem Punkt, dass die Tiere gerne als Vergleich herhalten müssen, wenn es darum geht, dem Menschen klar zu machen, wie fleißig er eigentlich sein müsste. Und da sind die Bienen neben den Ameisen die bevorzugten Objekte. Da heißt es immer: 'Schaut die Bienen, sie sind fleißig, sie opfern sich für die Gemeinschaft auf, sie sind nicht so egoistisch.' Aber wir hören den Bienenschwarm im Hintergrund deshalb, um diese Fleißigkeit der Bienen, die so ein moralischer Appell in unserer Gesellschaft ist, einfach in Erinnerung zu rufen."

    Das Surren der Bienen weckt beim Besucher zwiespältige Gefühle. Ein wenig bedrohlich ist es schon als Geräuschkulisse. Doch glücklicherweise grüßt gleichfalls am Eingang zur Ausstellung freundlich ein lebensechtes Faultier auf einem Baumast:

    "Und auch das ist natürlich ein beispielhaftes Tier - und es hat uns sehr erstaunt, bei der Recherche, zu hören von den Tierpflegern, dass diese Tiere fast immer Stars in den Zoos sind. Und wenn man dann einen Tierpfleger fragt, sagt der: 'Ja, ich verstehe das auch nicht. Die tun ja nichts.' Und genau das ist der Witz: Also die Tiere tun nichts; und man geht dahin und irgendwie beneidet man sie und man bewundert sie auch dafür, dass sie das einfach so können, und unsereins hat Schuldgefühle oder hat sonst wie irgendwie das Gefühl, er müsste etwas leisten, damit er auch wirklich am Ende davon etwas kaufen kann, oder so, während das Faultier denkt: 'Ach, das ist mir schnuppe. Ich hänge hier rum.' Und irgendwie findet man das so still, leise doch ganz toll!"

    Umso erstaunlicher fallen die Interviews aus, die fragen, ob man Langeweile kennt. Die Befragten antworten brüsk, wollen am liebsten schnell aus der Frage. Langeweile ist offenbar nicht gesellschaftsfähig:

    "Nein, Langeweile kenne ich nicht. Ich habe mich, glaube ich, noch nie in meinem Leben gelangweilt."

    "Dafür habe ich keine Zeit!"

    "Keine Langeweile, immer was zu tun."

    "Ich bin ein sehr viel beschäftigter Mensch."

    "Da weiß ich überhaupt nicht, was das ist! Wie heißt das Wort?"

    "Langeweile ist ein Fremdwort für mich."

    "Ich wäre froh, wenn ich mich langweilen könnte."

    "Ich kenne Langeweile, aber ich habe sie nicht."

    "Nein! Überhaupt nicht!"

    "Ja! Und die hasse ich!"

    "Dann lieber schlafen. Langeweile ist grausam!"

    Vor der Langeweile steht die Freizeit. Doch zunehmend wird es für Arbeitnehmer schwieriger, zwischen Arbeit und Freizeit zu unterscheiden. Dazu tragen auch die neuen Medien und die damit verbundene Flexibilität bei. Mal eben abends von zu Hause noch die Dienst-E-Mails checken, ein Fax absetzen oder Arbeit für morgen vorbereiten. Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen dem Dienstlichen und dem privaten, arbeitslosen Bereich. Für den wissenschaftlichen Leiter, Daniel Tyradellis, ist dieses Spannungsfeld ein ganz wesentlicher Bereich der Ausstellung:

    "Ein Schriftsteller, der schreibt, arbeitet der eigentlich? Oder jemand, der sich überlegt, wie schön es wäre, ohne Arbeit zu leben, schreibt das natürlich auf und verändert dadurch auch unser Verständnis von Arbeit."

    Und wie steht es um den, der am Abend eines langen Arbeitstages sich ausruht auf dem Sofa und den Tag Revue passieren lässt? Ist das auch Arbeit? Wie definiert man diesen Begriff? Wo fängt Arbeit an?

    "Aber man kann natürlich schon sagen, dass diese absolute Beleuchtung von Arbeit sich erst im 19. Jahrhundert herausgestellt hat; lustigerweise zu dem Zeitpunkt, als die Maschinen schon so stark waren in ihrer Aktivität und in ihrer Fähigkeit, den Menschen Arbeit abzunehmen, dass die Arbeit als Utopie, nämlich nicht mehr da sein zu müssen, entstand; und gleichzeitig aber auch dieses Gefühl und Wissen um einen Verlust, weil: Arbeit war und ist und sollte vielleicht sein: immer noch dasjenige Medium, mit dem Menschen aus eigener Kraft ihre Lebenssituation verändern können. Wenn man Menschen das nimmt, sieht es ziemlich düster aus."

    "Arbeit" hat durchaus auch eine christlich-religiöse Dimension. "Ora et labora" etwa, die Bete-und-arbeite-Haltung der Benediktinermönche. In der Dresdner Ausstellung steht ein Grabstein mit der Aufschrift "Arbeit war ihr Leben" für diese Haltung, die auch das Rückgrat des protestantischen Calvinismus bildet.

    Arbeit kann jedoch auch töten. Daran erinnert ein kleiner selbst geschnitzter Dominostein aus dem ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald. Die verheerende von den Nationalsozialisten missbrauchte Formel "Arbeit macht frei" hallt beim Anblick des unscheinbaren Exponats im Ohr des Betrachters nach.

    Die Ausstellung wirft auch einen Blick auf den Begriff Arbeit in verschiedenen politischen Gesellschaftssystemen. Ein kleines schwarzes Kohlebrikett der zwölften Best-Arbeiter-Konferenz symbolisiert den Umgang mit Arbeit in der DDR. Während Arbeit im Sozialismus in erster Linie als Dienst an der Gemeinschaft verstanden wurde, diente die Arbeit im vom Kapitalismus geprägten Westen der freien Welt vorrangig der Versorgung und des Fortkommens der Individuen.

    Der Lohn für harte Arbeit war auch eine Eintrittskarte in die glanzvolle Welt des Konsums mit seinen Glücksversprechen. Schillernd wird dieser Gedanke in der Ausstellung in Szene gesetzt. Eine silberne Glitzerdiscokugel funkelt in einem roten Salon, dessen Teppichboden und Wände in einer beweglichen Installation mit zahllosen flüchtigen Geldscheinen bespielt werden. Auf Leinwänden an der rechten und linken Seite des Raumes flackern Bilder aus vergangenen Wirtschaftswunderzeiten.

    Verführerische Werbespots für technische Errungenschaften, Pkw und Hausgeräte flimmern über die Leinwände, samtige Stimmen preisen die Produkte an. Dazwischen glückliche Gesichter der Konsumenten im Reklamespot: Die Ausstellungsmacher nennen diesen multimedial bespielten Saal mit seinen Beamern "Maschinenraum":

    "Dann kann man mitschauen; und wir alle erinnern uns, glaube ich, an viele dieser Bilder, was es über die Jahrzehnte hinweg für Glücksversprechen gab, wo denn der Fortschritt lag. Wenn man zum Beispiel hier nur solche Haushaltsgeräte sieht - oder sonst wie… Also dafür arbeitet man, damit man dann, wenn man nach Hause kommt, sich einen Raclettegrill mit Chrombeschichtung kaufen kann. Und man schaut sich das an und denkt: 'Stimmt!' Und je länger man sich das anschaut, desto mehr denkt man sich: 'Und das soll es jetzt gewesen sein?' Also, darum ging es jetzt? Und deswegen ist das für mich eine riesige Melancholiemaschine, weil ich natürlich wie alle anderen auch irgendwie diesem Konsumideal gehorche und ich irgendwie auch Spaß habe. Aber irgendwie hat man das Gefühl, in dieser immer sich schneller drehenden Schraube des Konsumierens und Genießens, geht einem so ein bisschen die Sinnfrage verloren."

    Dabei strebt der Mensch ständig danach, etwas Besonderes zu sein oder zumindest anders zu sein, als die anderen. In der Welt des Konsums eigentlich ein einfaches Unterfangen, sofern der Geldbeutel das hergibt. Doch genau hier geht die Schere auseinander. Harte Arbeit wird durchaus unterschiedlich entlohnt. Vielleicht reden Arbeitnehmer deshalb so ungerne über das, was sie verdienen:

    "Mein Einkommen? 1600."

    "1400 Euro."

    "830 Euro."

    "1500."

    "Da möchte ich nicht drüber reden."

    "100, 120 Euro."

    "900."

    "2200."

    "Irgendetwas um 800 oder 1000 Euro im Monat."

    "Wenig! Ganz wenig!"

    "Circa 2500 Euro."

    "6000 Euro."

    "12.000 Euro"

    "1200 brutto."

    "Das muss ich sagen, habe ich noch gar nicht so ausgerechnet. 50 Cent pro Woche!"

    Wie kommen wir zu unserem Bewusstsein für Arbeit? Wann entscheidet sich, welchen Beruf wir ergreifen wollen? Wie früh werden die Weichen tatsächlich gestellt und wie kann man Berufswünsche fördern und Irrtümer bei der Wahl des späteren Jobs vermeiden? Nicht für jeden ist die Frage der Berufswahl so klar, wie für den fünfjährigen Moritz:

    "Wenn ich größer bin, will ich Winzer werden. Und davor Feuerwehrmann. Und vor der Feuerwehr Krankenarzt."

    Ganze 696 verschiedene Berufe verzeichnet die offizielle Liste der Bundesanstalt für Arbeit. Doch der Vielfalt zum Trotz gehören gerade mal 25 von ihnen zu den beliebtesten Berufen in Deutschland.

    "Landbautechniker?"

    "Nein!"

    "Landmaschinenbauer?"

    ""Nein!"

    "Was wir hier zentral im Raum sehen, ist die Arbeit von Bärbel Freund: 'Kontinuum'. Und zwar hat Bärbel Freund da ihren jüngeren Bruder, der damals - glaube ich - 16 war, sämtliche Berufe, die die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet, vorgelesen und immer gefragt. Möchtest Du das werden oder nicht?"

    Die ablehnende Haltung des 16-Jährigen sei sichtbarer Ausdruck einer Überforderung, sagt Daniel Tyradellis, und weist darauf hin, wie schwierig es für viele junge Menschen heutzutage ist, schon in einem sehr frühen Stadium, oft schon in der Mittelstufe, sich für einen Berufsweg entscheiden zu müssen.

    Über 100 Interviews haben die Dresdner Ausstellungsmacher zur Frage der Berufswahl durchgeführt. Das Ergebnis: In 97 von 100 Fällen fiel die Entscheidung für einen bestimmten Beruf rein zufällig.

    "Ich bin Zauberer, Bauchredner und Komiker. Ich habe eine Zwillingsschwester und ich kann mich ziemlich genau erinnern, als sie so um die zwölf war, ich war auch um die zwölf natürlich, ja, kam sie nach Hause und konnte ein magisches Kunststück und das hat sie mir vorgeführt. Und das war für mich doch unglaublich, dass meine Zwillingsschwester ein Kunststück, einen Trick mit Karten konnte, den ich nicht verstanden habe, wo ich nicht wusste, wie es ging, und habe sie dann angefleht, mir es zu sagen: 'Bitte, bitte, sag mir, wie der Trick funktioniert.' Sie hat es mir verraten und ich habe mir gedacht: 'Davon will ich mehr wissen. So was will ich vormachen, und habe dann geübt und bin Zauberer geworden.'"

    Andere haben Berufe ergriffen, die es heute nicht mehr gibt oder die zu verschwinden drohen, und die deshalb gezwungen waren umzusatteln:

    "Ich bin ein Berufsberater, bei der Agentur für Arbeit. Ich habe die Schule nach der zehnten Klasse verlassen und habe eine handwerkliche Ausbildung gemacht, die auch sehr schön war. Ich habe damals Fernmeldehandwerker gelernt, bei der Post. Diesen Beruf gibt es schon nicht mehr. Die Post heißt jetzt auch anders."

    Doch wer weiß schon, was einen Beruf eigentlich ausmacht? Wer kennt den Alltag eines Fernfahrers, einer Künstlerin im Atelier, eines Chirurgen oder eines Gärtners? Wer kann ermessen, welche Arbeitsgeräte für den Einzelnen von schier unermesslichem Wert sind? Auch hierzu gibt die Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Anstöße und Aufschluss.

    Ein betagter kleiner, brauner Plüschaffe führt zu einem anderen Beispiel. Er baumelt in der Schlafkajüte im Lkw-Führerhaus eines Fernfahrers. Mehrere Minuten lang begleitet eine Kamera aus verschiedenen Perspektiven den Mann in seinem Fernfahreralltag mit all seinen Routinegriffen und Eventualitäten. Ist er zufrieden mit seiner Arbeit? Würde man selber diese Arbeit machen wollen?

    Menschen die Arbeit haben, haben eine gewisse finanzielle und soziale Sicherheit. Doch was passiert mit einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen nach bezahlter Arbeit suchen? Wer ist dafür verantwortlich und wer hat die Kraft, diese Lage zu verbessern?

    Unzählige Talkshowrunden der letzten Jahre haben sich dieser Frage angenommen. Das Konzentrat aus 100 Stunden Polittalk im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hört sich so an:

    "Der Staat hat ja schon eine bestimmte Funktion, den Schwachen zu helfen. Ich bin der Meinung, dass der Staat Signale setzen muss. Will ich, dass der Staat überall eingreift, auch etwa in Managergehälter? Nein, das will ich sicher nicht! Die beste staatliche Regulierung kann die moralische Bindung verantwortlich handelnder Menschen nicht ersetzen."

    Wie wird unsere Arbeit in Zukunft aussehen? Das ist Thema im letzten Saal der Ausstellung "Arbeit. Sinn und Sorge" im Dresdner Hygiene-Museum. Spielerisch und dabei doch bitterernst öffnet er zumindest schlaglichtartig eine Zukunftsprojektion, die in Japan heute schon Wirklichkeit ist. PARO - eine batteriebetriebene weiße Robbe aus Plüsch - präsentiert sich als Beschäftigungstherapeut der Zukunft sozusagen:

    "Das wird in Japan schon eingesetzt. Das wird verwendet, um alte Leute zu bespaßen. Er ist halt ein Roboter, der erkennt Leute wieder und hat ein bestimmtes Verhaltensrepertoire. Er quietscht und bewegt sich - und die Menschen bauen also wahnsinnige affektive Beziehungen dazu auf. Und es wird diskutierte, auch in Deutschland diskutiert, ob man solche Dinge ankauft, damit man den armen alten Menschen quasi irgendwie noch einen Rest des Sozialen leistet."

    Schick oder Schock - diese neue Arbeitswelt? In Dresden bleibt diese Fragen bewusst offen.