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Arbeiten in der Coronakrise
Die Belastung steigt

Die Pandemie hat für fast alle Menschen in Deutschland die Arbeit verändert – oft auf belastende Weise, zeigen erste Studien. Die SPD hat das Recht auf Homeoffice nicht durchsetzen können. Das ist sowieso in vielen sozialen Berufen keine Option, in denen auch noch erhöhte Ansteckungsgefahr herrscht.

Von Volker Finthammer und Manuel Waltz |
Ein Mann arbeitet in seinem Homeoffice (Symbolbild)
Wird wohl auch nach einem Ende der Pandemie bleiben: die Forderung der Arbeitnehmer nach mehr Flexibilität bei Arbeitszeit, -inhalt und -orten. (Pictura alliance/Keystone – Gaetan Bally)
"Infektionssorgen und wirtschaftliche Lasten sind mit Sicherheit die größten Herausforderungen, die die Menschen in ihrem Arbeitsalltag haben."
Hajo Holst hat eine Befragung unter 12.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durchgeführt, um herauszufinden, wie sich die Corona-Pandemie auf ihren Arbeitsalltag auswirkt. Nur etwa sieben Prozent der Befragten gaben an, dass Corona keine Auswirkungen auf ihre Arbeitssituation habe. Bei der übergroßen Mehrheit hat die Pandemie den Arbeitsalltag verändert: durch wachsende wirtschaftliche Unsicherheit, Einkommenseinbußen oder auch die Angst, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, so die Ergebnisse der Studie des Professors für Arbeitssoziologie an der Universität Osnabrück.
"Unsere Befragungen zeigen aber, dass die Herausforderungen durch Corona noch viel weiter gehen. Wenn wir uns anschauen: Was sind so generelle Trends, die im Grunde die gesamte Arbeitswelt betreffen, dann reden wir auch über steigende Arbeitsbelastung. Das ist ein Thema, das sich nicht auf einzelne Branchen und Berufsgruppen konzentriert, das aber natürlich in Berufsfeldern sehr unterschiedlich gespeist wird."
Reiner Hoffman (DGB-Chef): ″Das werden viele Menschen nicht durchhalten″
Die Bundesregierung habe bei den Corona-Hilfen rasch gehandelt, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, im Dlf. Doch besonders hart seien untere und mittlere Einkommen betroffen. Hier bedürfe es mehr Mut.
Das VW-Werk in Zwickau liegt derzeit in einem Corona-Hotspot. Noch läuft die Produktion, anders als im Frühjahr, als alle VW-Werke für sechs Wochen geschlossen wurden. Torsten Ullmann ist Betriebsrat. Er führt durch eine große Halle voller orangener Roboter, die Karosserieteile zusammenbauen.
"Es gibt eine generelle Betriebsvereinbarung bei Volkswagen zu dem Thema Corona-Pandemie. Da sind ja die verschiedenen Stufen festgelegt. Und da ist jetzt für alle Werke diese Stufe drei. Also Stufe vier wäre voll in Ordnung. Das ist die letzte, die es gibt, und wir sind jetzt in Stufe drei, da gibt es noch mit Homeoffice und so weiter und so fort."

Klagen über Maske-Tragen bei körperlich anstrengender Arbeit

Die Arbeiter hier können nicht ins Homeoffice, sie müssen die Maschinen und Roboter bedienen. Und dabei müssen sie auf dem gesamten Gelände, in den Hallen, an den Maschinen und auch in der Montage am Band Abstände einhalten, niemand darf dem anderen näher als 1,5 Meter kommen.
"Wenn der Anderthalb-Meter-Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, dann ist Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Haben wir dann gemeinsam mit dem Unternehmen geregelt, dass die Auslösezeiten kriegen. Weil, wie gesagt, es geht um eine Leistungsnorm. Wir arbeiten bei uns nach MTM Normalleistung. Das ist der Vereinbarungsstand. Die unterstellt dir theoretisch, wenn man es in Zeit umrechnen würde, dass du jede Schicht, also bei uns immer acht Stunden, 30 Kilometer laufen könntest. Dass Sie mal ein Gefühl haben, was eine Leistungsnorm ist."
Ullmann hört immer wieder von Kollegen, dass die Maske bei körperlich anstrengenden Arbeiten eine enorme zusätzliche Belastung darstellt, weil man einfach schlechter Luft bekäme.
"Die haben dieselbe Norm, aber die haben nochmal extra, also in den Teams, wenn es möglich ist, die müssen praktisch immer nach zwei Stunden auf einen Arbeitsplatz wechseln, wo keine Maske getragen werden muss."

Homeoffice versus Präsenzarbeit

Die Masken seien die eine Belastung, das dauernde Abstandhalten die andere. Es leide insgesamt die Kollegialität unter den Mitarbeitern, beobachtet Torsten Ullmann. Hajo Holst von der Uni Osnabrück hat in seiner Befragung festgestellt, dass die Pandemie auch für die Stimmung unter den Beschäftigten eine große Belastung sein kann. Gerade weil die Einschränkungen durch Corona unterschiedlich seien.
"Das ist natürlich auch eine Herausforderung, die in vielen Betrieben auftaucht, das haben wir häufig gehört. Aus dem Produktionsbereich: Die da in der Verwaltung, die haben es relativ einfach mit ihren Kindern, weil die ins Homeoffice gehen können. Wir haben es viel schwerer und das ist natürlich im Grunde eine Herausforderung, die auch Belegschaften auseinanderreißt."
Noch nie haben so viele Menschen im Homeoffice gearbeitet wie während der Pandemie. Bis zum Herbst wolle er einen Entwurf für ein "Mobile Arbeit Gesetz" mit einem Recht auf Homeoffice vorlegen, hatte Arbeitsminister Hubertus Heil im Frühjahr angekündigt. Anfang Oktober war es dann so weit.
"Was wir jetzt im Großversuch Corona erlebt haben, ungeplant, dass viel mehr an mobilem Arbeiten möglich ist als vorher gedacht. Und ich möchte, dass es Menschen, wo immer das betrieblich auch möglich ist, erhalten. Und deshalb gibt es die Möglichkeit nach meinem Gesetzentwurf zumindest mal 24 Tage im Jahr zu haben und auch mehr zu verhandeln mit dem Arbeitgeber, wenn nicht betriebliche Gründe dagegen sprechen. Ich halte das für einen vernünftigen Weg."
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) (dpa/Danny Gohlke)
Vor der Corona-Krise haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes insgesamt 12,9 Prozent aller Beschäftigten zumindest teilweise im Homeoffice gearbeitet. Im April dieses Jahres hat sich der Anteil Umfragen zufolge auf 24 Prozent verdoppelt. Und eine Studie im Auftrag des Arbeitsministeriums kam im Frühsommer sogar auf 36 Prozent der abhängig Beschäftigten im Homeoffice.
"Es gibt Bereiche, in denen ganze Berufe mobil arbeiten können oder zumindest ein paar Tätigkeiten. Eine Arzthelferin zum Beispiel muss meistens in der Praxis Patienten annehmen, kann aber zum Beispiel auch mal Abrechnungen von zuhause aus machen. Das möchte ich ermöglichen. Aber der Grund, dass es in jedem Beruf nicht geht, kann ja keiner sein, das anderen zu verwehren. Das wäre ja unlogisch."
Anspruch auf Homeoffice - Heil (SPD): Mobiles Arbeiten macht Menschen zufriedener
Mehr Selbstbestimmung und Flexibilität: Das will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Arbeitnehmern mit einem Gesetz für mobiles Arbeiten ermöglichen. Es sei an der Zeit, für eine sich wandelnde Arbeitswelt einen modernen arbeitsrechtlichen Ordnungsrahmen zu schaffen, sagte Heil im Dlf.
Ein Arbeitgeber dürfte demnach den Wunsch nach mobiler Arbeit nur ablehnen, wenn er nachvollziehbare organisatorische oder betriebliche Gründe anführt. Doch aus dem CDU-geführten Wirtschaftsministerium kam umgehend Widerspruch. Zu viel überflüssige Bürokratie, kritisierte Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Und auch aus der Bundestagsfraktion kamen deutliche Ansagen:
"Homeoffice ist eine große Chance für die Wirtschaft. Aber der Rechtsanspruch ist Quatsch", sagt CDU-Sozialpolitiker Thomas Heilmann. Im Kanzleramt wurde der von Hubertus Heil vorlegte Entwurf gar nicht erst in die weitere Ressortabstimmung gegeben:
"Bei dem Entwurf gibt es noch eine ganze Menge Gesprächsbedarf, um das mal vorsichtig anzudeuten", so Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und Kanzleramtsminister Helge Braun lieferte wenig später die Begründung für den zurückgehaltenen Gesetzentwurf:
"Weil er auch nicht dem Koalitionsvertrag entspricht und weil er im Grunde genommen die Basis für neue Streitigkeiten ist und wir uns dann endlos im Gesetz überlegen, ob das jetzt für den Tankstellenwart oder für die Krankenschwester gilt. Wie soll denn das funktionieren?"

Hubertus Heil: "Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein"

Auch die Wirtschaftsverbände lehnten den Rechtsanspruch ab. Dagegen war den Gewerkschaften der geplante Anspruch auf bis zu 24 Tage eindeutig zu wenig. Das bedeute gerade einmal einen Tag mobile Arbeit alle zwei Wochen, rechnete DGB-Chef Reiner Hoffmann vor und werde so dem Bedürfnis vieler Beschäftigter kaum gerecht. Im Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD lange vor Corona festgelegt:
"Wir wollen mobile Arbeit fördern und erleichtern. Dazu werden wir einen rechtlichen Rahmen schaffen. Zu diesem gehört auch ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung sowie Rechtssicherheit für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber im Umgang mit privat genutzter Firmentechnik. Auch die Tarifpartner sollen Vereinbarungen zu mobiler Arbeit treffen".
Doch ein Auskunftsanspruch war für Hubertus Heil zu wenig. Die Union müsse verstehen, dass die Welt sich weiter drehe, konterte der Arbeitsminister.
"Ich will, dass das kommt. Und wir haben ja schon ganz andere Dinge in der Koalition auch strittig beraten. Am Ende war diese Koalition immer zu Lösungen bereit und ich setze auf konstruktive Gespräche."

Recht auf ein Gespräch über Homeoffice

Zu den Dingen, die in der Koalition lange umstritten waren gehörte die Grundrente, die mit dem kommenden Jahr in Kraft treten wird. Was aber in der Union auch zu der Haltung geführt hat, dem Koalitionspartner keine Zugeständnisse mehr in weiteren umstrittenen Punkten einzuräumen. Mitte November zog Hubertus Heil die Konsequenzen:
"Mein ursprünglicher Vorschlag war tatsächlich, zumindest einen Rechtsanspruch auf 24 Tage auf Homeoffice zu schaffen, da wo das möglich ist im Jahr. Aber ich muss feststellen, dass die Union noch nicht so weit ist."
Der korrigierte Entwurf beinhaltet jetzt nur noch das Recht auf ein Gespräch mit ihrem Arbeitgeber zum Thema Homeoffice.
"Und wenn dann betrieblich nichts dagegen spricht, es auch zu vereinbaren. Es soll deutlich besseren Unfallversicherungsschutz im Homeoffice geben. Es soll auch die Möglichkeit geben, dass Homeoffice nicht ins Gegenteil umschlägt, nämlich dass Arbeit zu Hause entgrenzt wird. Also zu Deutsch, auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein. Ich hätte mir durchaus mehr gewünscht, aber ich bin Realist, das, was machbar ist, das sollte man jetzt vereinbaren."
Bei der Union bleiben die Zweifel bestehen. Es sei zum Thema Homeoffice alles gesagt, meint Wirtschaftsminister Altmaier:
"Wir haben jetzt keinen Bedarf, diese Diskussion, die nicht zielführend ist, weiterzuverfolgen."

Schutz vor Einkommenseinbußen und Infektionssorgen

Zum Jahresende, in dem sich gerade angesichts steigender Infektionszahlen wieder mehr Menschen im Homeoffice befinden dürften als noch im Herbst, wird sich das Kabinett nicht mehr mit dem Thema befassen. Und ob das Ende Januar gelingt, worauf das Arbeitsministerium noch hofft, entscheidet sich im neuen Jahr. Die Studie von Professor Hajo Holst jedenfalls zeigt: Homeoffice sei ein entscheidender Schlüssel für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um einigermaßen gut durch die Coronakrise zu kommen. Es schützt vor Einkommenseinbußen und vor Infektionssorgen, das zeigten die Daten. Anders als bei Dienstleistungsberufen, in denen kein Homeoffice möglich ist, so Hajo Holst.
"Und besonders betroffen sind die, sagen wir mal, einfacheren Dienstleistungstätigkeiten, also Ausbildungsberufe und Anlerntätigkeiten, in denen es dann zum Teil 50 Prozent der Menschen sind, die sich explizit Sorgen vor einer Ansteckung machen und das liegt natürlich in der Natur dieser Jobs begründet. Im Kontakt mit Menschen, Arbeit mit und an Menschen, die sich im Grunde nicht auf Distanz ausführen lässt, da sind die Infektionsrisiken natürlich auch objektiv höher und das spüren die Menschen auch. Und das sind auch die Bereiche, in denen die Schutzmaßnahmen der Arbeitgeber häufiger als unzureichend bewertet werden als in anderen Bereichen."

Risiko für Erzieherinnen

Dazu zählen die Pflege in Krankenhäusern und Heimen, aber auch andere soziale Berufe wie in Kindertageseinrichtungen oder in der Behindertenbetreuung. Elke Alsago ist im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für genau diese Berufsfelder zuständig.
"Gerade in der Anfangsphase und auch jetzt wieder, wo das Pandemiegeschehen stärker ist, bezeichnen sich viele Kolleginnen als Kanonenfutter."
Beispiel Erzieherinnen: Die Kinder in Krippen und Kindergärten können keine Maske tragen und Abstand halten ist auch nicht möglich. Hinter jedem Kleinkind steht dann die Infektionsgefahr einer ganzen Familie. Und deren Kontaktketten können die Erzieherinnen nicht überblicken. Das sei gerade für gefährdete Personen eine enorme Belastung, sagt Elke Alsago. Gesetzlich vorgesehen ist eigentlich, dass der Träger zum einen für das gesamte Personal ein angepasstes Schutzkonzept erarbeitet. Für besonders gefährdete Personen, die zum Beispiel eine Vorerkrankung haben, muss dann noch einmal ein individuelles Konzept erarbeitet werden. Diese müssen dann im Zweifel aus den Kindergruppen herausgenommen werden und andere Aufgaben in der Einrichtung übernehmen.
"Genau das passiert aber nicht. Wir sehen, dass das bei den großen Trägern klappt mit diesen Arbeitsschutzverfahren. Bei den kleineren Trägern klappt das meistens nicht und die Kolleginnen sind einfach schutzlos der Situation ausgeliefert."
Arbeitsbedingungen in der Coronakrise - Wenn der Job zur Gefahr wird
Wer im Homeoffice arbeitet, kann soziale Kontakte vermeiden und das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus verringern. Auf dem Bau, den Feldern und in Krankenhäusern aber ist das unmöglich. Die migrantische Bevölkerung und Frauen trifft das besonders.
Auch Joseph Steinkogler hat zu Beginn der Pandemie im März ähnliches erlebt. Er geht gerade in Lindenau, einem Viertel im Westen von Leipzig, mit seinem Sohn spazieren. Steinkogler arbeitet in einer Einrichtung für Jugendliche, die nicht mehr bei ihren Eltern leben können. Dort betreuen er und seine Kollegen die Jugendlichen in WGs. Im Moment ist er aber in Elternzeit, sein zweites Kind ist im Sommer zur Welt gekommen. Jetzt, wo Sachsen gerade in einen härteren Lockdown geht, kann er zu Hause bleiben. Das war im Frühjahr anders.
"Und was halt dazu kommt, dass die Kinder, die in der Form betreut werden, Großteils oder in der Regel komplex traumatisiert sind und die ganze Situation die einfach total aus der Bahn geworfen hat. Die hatten einfach Angst, was das alles bedeutet."
All das mussten er und seine Kollegen auffangen. 50 Stunden und mehr pro Woche habe er gearbeitet.
"In der WG mussten wir halt schauen, dass das so... tatsächlich auch so nah wie möglich war, weil das den Kindern auch gefehlt hat, dieser Körperkontakt. Die sind da auch noch viel mehr darauf angewiesen."
Joseph Steinkogler fühlt sich nicht besonders durch Corona gefährdet, aber…
"…mein Sohn hat eine Muskelkrankheit, deswegen müssen wir da einfach sehr, sehr vorsichtig sein, was den Corona-Kram betrifft."
Die Arbeitsbelastung, erzählt Joseph Steinkogler war in seinem Beruf schon immer hoch, die Arbeit mit schwer traumatisierten Kindern sei sehr herausfordernd. Die Zeit des Lockdowns und danach aber war der Wahnsinn, sagt er. Beim Gehalt spiegle sich das nicht wider und einen Bonus wie in anderen Berufen gab es nicht. Gudela Grote ist Professorin für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich. Sie hofft, dass auch langfristig erkannt wird, wie wichtig soziale Berufe für die Gesellschaft sind.
"Und was im Moment ja eher passiert, dass die Leute jetzt erst recht eigentlich diese Berufe verlassen, weil es eine unendliche Belastung ist und dieses zwischendrin auf den Balkonen stehen und für die klatschen für die, die in den Krankenhäusern arbeiten, das hilft glaube ich nicht so wirklich viel."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

In ihren Augen muss die Bezahlung deutlich angehoben werden, denn das ist nach wie vor der Indikator dafür, wie gut eine Arbeit gesellschaftlich anerkannt wird. Und hier liegen soziale Berufe nach wie vor sehr weit unten. Ändert sich nichts, drohe ein Teufelskreis: Die Menschen verlassen diese Berufsfelder und dadurch wird die Belastung für die Bleibenden noch höher.
"Und wenn man sich Lohnsysteme anschaut, dann wird vor allem belohnt, dass man ganz lange sich hat ausbilden lassen. Dass man dann eine kognitiv herausfordernde Arbeit macht und dass man Führungsverantwortung hat. Und das ist letztlich der Maßstab, was Wertschätzung in einer Gesellschaft heißt. Und solange wir das nicht ändern, wird das in all diesen Berufen auch weiter schwierig bleiben und die Menschen werden sich, auch wenn wir zwischendrin sagen, dass wir sie ganz wichtig finden, nicht wirklich wertgeschätzt fühlen."

Positiver Effekt von staatlichem Zuschuss für ausbildende Betriebe

Während in vielen sozialen Berufen Mangel an Beschäftigten herrscht, ist es in anderen Bereichen anders herum. In der Gastronomie, dem Messebau, der gesamten Kultur- und Freizeitwirtschaft. In vielen Branchen sind ganze Belegschaften auf Kurzarbeit oder als Selbständige von den staatlichen Coronahilfen abhängig. Selbst auf dem Bau, der bisher gut durch die Krise gekommen ist, sieht Kristian Kirpal, der Präsident der Industrie und Handelskammer Leipzig, bereits dunkle Wolken am Horizont. Weil wegen der Krise Investitionen verschoben würden. Vor allem seit klar ist, dass die zweite Welle Deutschland voll erfasst hat.
"Fassungslosigkeit herrscht in den Unternehmen und Perspektivlosigkeit. Also keiner weiß momentan, wie es wirklich weitergeht."
Und das spüren auch die Beschäftigten. Zuversichtlich stimmt Kirpal allerdings, dass nach wie vor kein Rückgang bei der Zahl der Ausbildungsplätze zu sehen sei und auch keine Auszubildenden in einer nennenswerten Zahl gekündigt wurden. Das liege auch am staatlichen Corona-Zuschuss, den jeder ausbildende Betrieb im Moment bekomme, das bestätigen viele Unternehmen der IHK. So könnten selbst Betriebe, denen gerade das Wasser bis zum Hals steht, die Ausbildung weiterlaufen lassen. Dennoch fordert er die Möglichkeit, Kurzarbeit auch für Auszubildende einzuführen. Insgesamt wünscht er sich mehr Planungssicherheit, welche politischen Maßnahmen wann einsetzen und weniger kurzfristigen Aktionismus.
"Ja, den Sommer haben wir ganz klar verschenkt. Wir hätten im Sommer diese Sachen diskutieren können, kritisch diskutieren können. Es hätten im Sommer auch die Parlamente mit einbezogen werden können. Da hätte man ganz klar Maßnahmen besprechen können, auch mit der Wirtschaft besprechen können."
Die fehlende Planungssicherheit, so Kristian Kirpal, sei für viele derzeit ein großes Problem, vor allem in der Gastronomie, dem Einzelhandel und in der Kultur- und Freizeitwirtschaft. In vielen Betrieben – auch in solchen denen es bis vor kurzem noch sehr gut ging – ist die Krise schon voll angekommen. Ein Beispiel ist der Flugzeugbau. Elke Alsago von Verdi lebt im Alten Land bei Hamburg. Das Airbus-Werk spiele dort eine große Rolle. Zulieferfirmen, die jetzt keine Aufträge mehr von Airbus bekommen, stünden vor dem Aus.
"Die Firmen, die ich jetzt so kenne, die versuchen alle möglichen Aufträge heranzuziehen, um auch die Kollegen, die in Kurzarbeit sind, immer mal wieder zu beschäftigen und denen auch Möglichkeiten anzubieten. Airbus zum Beispiel, also da ist die Kurzarbeit glaube ich überhaupt gar kein Problem, die machen ganz viel Fortbildung, und so. Die nutzen diese Zeit, um ihr Personal weiter zu qualifizieren. Die Zulieferer versuchen das über andere Projekte. Also mein Sohn zum Beispiel, der ist eigentlich eben auch im Flugzeugbau und die machen eben jetzt Ladenausbau."
Viele, die in Kurzarbeit sind, wüssten nicht ob sie jemals wieder zurückkommen. Auch Kündigungen habe es schon gegeben, berichtet Elke Alsago. Um irgendwie zu überleben, müssten die Firmen kreativ und findig sein - auch die Mitarbeiter. Damit verstärke sich ein Trend, den Hajo Holst von der Universität Osnabrück schon vor der Corona-Krise beobachtet hat.
"Der Trend zur Flexibilisierung, der vollzieht sich seit mehr als zwei Jahrzehnten, und Krisen sind in der Regel nochmal besondere Treiber von Flexibilisierungsprozessen. Unternehmen, die die Krisen überleben, werden sicherlich nach der Krise deutlich flexibler sein, ihren Beschäftigten deutlich mehr Flexibilität abverlangen, in allen Dimensionen. Das ist sicherlich ein Trend, der auch in Corona greifen wird. Und da sehen wir auch die ersten Tendenzen: Größere Arbeitszeitflexibilität, mehr Flexibilität bei Arbeitsinhalten, Flexibilität bei Arbeitsorten und wenn wir das Thema Homeoffice jetzt nehmen, natürlich Arbeitszeiten. An der Stelle ein ganz wichtiger Punkt."
Damit, sagt Hajo Holst, zeige sich einmal mehr, dass Corona wie ein Brennglas wirke, das bereits bestehende Entwicklungen massiv verstärkt in vielen Bereichen der Arbeitswelt.