"Das ist schon ein ziemlich beeindruckender Gebäudekomplex und dass die Arbeitersportler in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts so ein Gebäude errichtet haben, das war ein Fanal, das war die Botschaft: Wir sind eine starke Gemeinschaft." Aiko Wulff ist Direktor des zukünftigen Leipziger Sportmuseums. Größter Hemmschuh des geplanten Projekts sind seit Jahren fehlende Räumlichkeiten.
Wulff steht vor dem Hauptsitz des ehemaligen Arbeiter-Turn- und Sportbunds in der Leipziger Südvorstadt. Heute eine noble, durch massive Zäune geschützte Wohnanlage. Das Baujahr 1926 wurde auf den Putz gemalt - ansonsten erinnert hier nichts an die Bundesschule des Arbeiter-Turn- und Sportbundes. "Es gab eine Turnhalle, es gab eine Schwimmhalle, es gab sogar eine Indoor-Ruderanlage, also hochmodern in der damaligen Zeit. Und das wurde genutzt für die Ausbildung der Vorturner, heute würde man sagen: Trainer."
Sport-Serie zur Dlf-Denkfabrik "Auf der Suche nach dem 'Wir'"
- Der Sport auf der Suche nach dem "Wir" (1) Fundament der Ausgrenzung
- Der Sport auf der Suche nach dem "Wir" (2) Das alternative Olympia der Frauen
- Der Sport auf der Suche nach dem „Wir“ (3) Spielfeld für Separatismus
- Der Sport auf der Suche nach dem "Wir" (4) Geflüchtet in den deutschen Spitzensport
- Der Sport auf der Suche nach dem Wir (5) Fußball in Nordirland: Symbol der Spaltung
Über eine Millionen Mitglieder hatte der Arbeiter-Turn- und Sportbund in der Weimarer Republik und war somit eine der erfolgreichsten Organisationen der proletarischen Bewegung. Historikerin Jutta Braun, Vorsitzende des Zentrums deutsche Sportgeschichte in Potsdam: "Das war alles der Versuch, eine eigene proletarische Kulturbewegung zu erschaffen, die von Anfang an eine ganz klare politische Zielrichtung hatte. Also es ging nicht nur um Leibesübungen, es ging nicht nur um Körperkultur, sondern es ging auch darum, sich politisch seiner eigenen Lage bewusst zu machen, sich zu stärken und eben den Klassenkampf entsprechend fortzuführen."
Unter dem Dach des Verbands organisierten sich Vereine von und für Arbeiter und Arbeiterinnen. Dass Frauen mitmachen durften, war Ende des 19. bis ins 20. Jahrhundert keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sagt Braun: "Im Unterschied zum bürgerlichen Turnen und bürgerlichen Sport war die Selbstbestimmung der Frau von Anfang an eben auch ein Anliegen des Arbeitersports. Man muss aber sagen, dass es für die werktätigen Frauen ungleich schwieriger war Sport zu treiben, denn die waren eben berufstätig, die hatten in der Regel wenig Geld und auch im Arbeitersport dominierten Männer im Funktionärswesen."
Konkurrenzkampf als "kapitalistisches Prinzip" abgelehnt
Noch etwas war besonders am Arbeitersport: Konkurrenzkampf und sportliche Wettbewerbe lehnten Arbeiterinnen und Arbeiter anfangs als kapitalistische Prinzipien ab. Georg Benedix erinnert sich in einem Grußwort anlässlich des Deutschen Turn- und Sportfests 1963 in Leipzig: "So ist es zu erklären, dass wir im Arbeitersport bis zum Verbot unserer Organisation durch die Faschisten 1933 keinerlei Pokale oder andere künstlerischen Sportgewinne besitzen. Und ich gestehe, dass wir "Alten" entsetzt waren, als nach 1945 die "Leipziger Volkszeitung" zu einem Pokalspiel aufrief. Die Jugend freute sich. Wir sahen ein, dass in jeder Hinsicht eine neue Zeit begonnen hatte."
Georg Benedix war zudem Ausbilder der Vorturner, bis die Einrichtung durch die Nationalsozialisten 1933 geschlossen wurde. Der Sozialdemokrat überstand den Nationalsozialismus mit einer Anstellung an der Universität - trotz kurzzeitiger Inhaftierung - glimpflich. In der DDR wurde er im Rentenalter als Arbeiterveteran verehrt.
Der sozialistische Staat knüpfte aber nicht an die alten Arbeitertraditionen an, sondern förderte die sportliche Elite und organisierte die restlichen Sportbegeisterten über Betriebssportgruppen. Alles nach staatlichen Vorgaben. Dabei hatten SPD und KPD in der Weimarer Republik erbittert darüber gestritten, wie die zukünftige klassenlose Gesellschaft aussehen könnte und wie man da hinkommt.
Sozialdemokraten gegen Kommunisten
Die politischen Auseinandersetzungen prägten den Arbeitersport nicht nur, sie spalteten ihn. 1928 schloss der Arbeiter-Turn- und Sportbund alle KPD-Anhängerinnen aus. Die gründeten daraufhin die "Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit". Der Riss in zwei Lager zog sich durch den gesamten Arbeitersport. Selbst durch Kleinstädte wie Brandis, 20 Kilometer östlich von Leipzig.
"Das hat mich schon überrascht, das mit dem kommunistischen Verein habe ich auch überhaupt nicht gewusst, dass nicht alle zusammen gespielt haben die Arbeiterklasse, oder die arbeitende Bevölkerung." Frank Mittag ist gelernter Dachdecker und im Ruhestand Archivar des FSV Brandis. Der Verein feiert dieses Jahr sein hundertjähriges Bestehen mit einer Ausstellung zur Geschichte des Vereins. Erst bei diesen Recherchen ist Mittag auf die doppelte Vergangenheit des Arbeitersportvereins gestoßen: Nebeneinander lagen die Fussballplätze der Sozialdemokraten und Kommunisten.
Auch der FC St.Pauli widmete sich letztes Jahr in einer Ausstellung seinen Wurzeln im Arbeitersport. Nach 1945 gründeten sich in den westlichen Besatzungszonen zwar etliche Arbeitersportvereine neu, allerdings unter anderen Vorzeichen: Sport sollte unpolitisch sein. Jürgen Mittag, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln: "Das war ein Anliegen, was von allen Westalliierten sehr stark verfolgt worden ist. Es ist sehr stark Wert drauf gelegt worden bei den ganzen Lizenzierungen, dass die gesellschaftliche Aufspaltung nicht mehr zum Tragen kommt und hat deswegen auch auf den Arbeitersport, auf die Arbeitersportvereine und auf die anderen Vorfeldorganisationen der Sozialdemokratie, der Arbeiterbewegung in nicht unerheblichen Maße Einfluss genommen."
Werks- und Betriebssport für das Gemeinschaftsgefühl
Die Politisierung und Vergemeinschaftung nach sozialer Zugehörigkeit im Sport, wie im Kaiserreich und der Weimarer Republik, sollte es nicht mehr geben. Sportvereine in der Bundesrepublik stellten zunächst die Leistung in den Vordergrund, so Mittag. Gleichzeitig blühte der Werks- und Betriebssport, den die alte Arbeiterbewegung kritisch beäugt hatte, neu auf.
"Weil das eben auch Formen der Vergemeinschaftung waren, die von den Betrieben gefördert wurde", erklärt Mittag. "Man hat Sportstätten zur Verfügung gestellt, Leverkusen hat bei Bayer ein eigenes Schwimmbad gehabt, eigene Turnstätten gehabt und so weiter. Die dann aber sukzessive in den 80er- oder 90er-Jahren abgebaut wurden. Im Zuge von Externalisierungsprozessen, Outsourcing-Prozessen, Kostensparungsprogrammen."
Mittlerweile gebe es eine Trendwende, so der Sportwissenschaftler. Moderne Unternehmen setzten auf betriebliches Gesundheitsmanagement um die Folgen von Stress, Zeit- und Leistungsdruck zu kompensieren. Zugang und Teilhabe an Betriebssport und Gesundheitsmanagement ist in der Arbeitswelt höchst unterschiedlich. Angebote die beispielsweise ein Automobilhersteller seiner Stammbelegschaft macht, gelten nicht automatisch für Leiharbeiter und Zulieferer im Betrieb.