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Arbeiter und Bauern

Das Staatliche Kunstmuseum Schwerin, gegenüber dem herzöglichen Schloss und hart neben dem Fürstlichen Theater gelegen, trumpft zwar äußerlich mit einer pompösen klassizistischen Freitreppe auf, doch im Inneren stößt der Besucher auf eine geradezu kammermusikalische Bildersammlung. Die Mecklenburger Herzöge bevorzugten das kleine Format, und so findet man heute kaum sog. "Ölschinken" dort, wenig barocken Pomp sondern gezügelte Strenge. Dies zeigt sich vor allem an den Alten Niederländern. Im Zweifelsfall entschied man sich in Schwerin nicht für die großflächigen Bilder der Gegenreformation, also Rubens' und seiner Schüler, sondern fürs kleine Format der frühbürgerlichen Nordprovinzen. Gero Seelig, Kurator in Schwerin, hat – nachdem vor zwei Jahren die knapp 400 holländischen Meister neu gesichtet wurden – nun die ca. 120 flämischen Gemälde in Augenschein genommen; vorwiegend kleinere Genrebilder und wunderbar kleinteilige, intime Landschaften:

Rainer-Berthold Schossig |
    Durch die kirchengeschichtliche Spaltung der Niederlande in den nördlichen, calvinistischen Teil und den südlichen, katholisch gebliebenen, gibt es diesen großen Unterschied der Themenwahl. Wir haben im Süden viel mehr christliche Bildthemen, und die Mythologie, die humanistische Überlieferung, spielt eine viel wichtigere Rolle. Das liegt auch an der Struktur der Märkte, bzw. der Auftraggeber. Die Kirche fällt weg im Norden, während sie im Süden sehr wichtig ist. Rubens wäre nicht Rubens, wenn er nicht die vielen südniederländischen Kirchen bestückt hätte. Auch der Adel dort ist kaufkräftiger, während im Norden im Norden der offene Kunstmarkt, wo der Maler für einen anonymen Käufer produziert, viel stärker eine Rolle spielt.

    Ungeschminkte Alltagsdarstellungen sind im Süden eher die Ausnahme; man inszeniert, drappiert gern. Dennoch gab es im Goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei weiter enge Beziehungen zwischen den flämischen Malern und ihren Kollegen in den nördlichen Provinzen. So ist es für den Laien oft ebenso schwierig, flämische von holländischen Malern zu unterscheiden, wie einzelne Künstlerprofile zu erkennen. Da ist es beruhigend zu erfahren, dass viele Zuschreibungen auch unter Fachleuten bis heute kontrovers sind. So hat Gero Seelig gerade darauf viel Mühe verwandt und wartet nun mit überraschenden Neu- bzw.- Rückzuschreibungen auf, so etwa bei einer kleinteiligen, locker komponierten Stadtansicht:

    Der 'Fischmarkt vor einer großen Stadt' ist bis 1882 als Brueghel bezeichnet worden, dann von Wilhelm von Bode abgeschrieben worden, und seitdem hat er ein Schattendasein geführt. Wir haben das Bild gereinigt, und ich habe in den Fotoarchiven den Vergleich in Brueghels eigenhändigen Werken gesucht und auch gefunden! Ich glaube, die Zuschreibung wird wenig Widerspruch erregen.

    "Jan Brueghels Antwerpen" – so das Motto der überraschend bunten Ausstellung, ein Verweis auf die vielfältigen, z.T. arbeitsteiligen Vernetzungen der Künstler jener Zeit. Besonders stolz ist man in Schwerin auf ein kleines Gemälde, an dem Jan Brueghel und Peter Paul Rubens zusammen arbeiteten: Dieser malte die dralle Nymphe und den zottigen Pan, der sie bedrängt, jener steuerte auf seine subtile Weise eine tiefgestaffelt grüne arkadische Landschaft bei. Doch nicht immer haben die großen Namen Bestand; so z.B. bei der beliebten Schweriner Allegorie "Die Geburt der roten Rose", wo Venus – umrahmt von Putten und einem Blumenkranz – mit einem ihrer Blutstropfen eine weiße Rose färbt, auch ein gemeinsames Werk zweier Künstler:

    Die Figurenmalerei wurde Jacob Jordaens zugeschrieben. Schon Schlie hat in seinem Katalog 1882 daran gezweifelt, und seitdem ist die Verwirrung noch gewachsen, weil dann auf einmal der Blumenkranz drumherum als Jan Brueghel galt, also der 'Blumenbrueghel'. Das war ganz ausgeschlossen.

    Gero Seelig ging Hinweisen nach, dass es sich um den Antwerpener Kleinmeister Frans Ykens handelt, und er möchte die rosige Figurenmalerei dem späten Rubensschüler Cornelius Schut zuschreiben. Gerade weil in Schwerin große flämische Namen – wie Jordaens, van Dyck oder Rubens – rar sind, scheint die Sichtung dieses Bestandes ein kriminalistisches Vergnügen. Es gehört fundiertes kunsthistorisches Wissen aber auch Fingerspitzengefühl und vielleicht ein Schuss Intuition dazu, aus der Fülle der Möglichkeiten die richtige Zuschreibung herauszufiltern, eine Aufgabe, die der Schweriner Kustos jedoch nicht allein im stillen Kämmerlein lösen kann. Noch einmal Gero Seelig:

    Das wichtigste ist tatsächlich das Reisen, weil wir an den großen Zentren, z.B. im Fotoarchiv Den Haag, in Brüssel oder anderen großen Museen, Kollegen treffen, die wirklich etwas Substanzielles beitragen können; zum Teil auch durch Korrespondenz, dass man Fotos schickt und Antworten kriegt. Besser ist es natürlich, wenn man selber dort ist und ausführlich darüber sprechen kann. Und der Idealfall: Dass Kollegen hierher ins Museum kommen und man mit ihnen zusammen vor den Originalen steht; auch das habe ich in manchen Fällen tun können.

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