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Arbeiterwohlfahrt
AWO-Skandal belastet Hessens SPD

Teure Dienstwagen, überaus üppige Gehälter und Honorare, Übernachtungen in Luxus-Hotels: Der Verdacht gegen mehrere Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt in Südhessen wiegt schwer. Und auch die hessische SPD ist unter Druck, ist sie doch mit der AWO traditionell und personell eng verbunden.

Von Ludger Fittkau |
Das Logo der Arbeiterwohlfahrt an einer Pflegeeinrichtung in Stuttgart
Skandal! Verbandsgliederungen der AWO in Rhein-Main sollen Gelder veruntreut haben (www.imago-images.de)
Eine Razzia – vorgestern, an gleich 14 Adressen im Rhein-Main-Gebiet, die alle mit der Arbeiterwohlfahrt in Zusammenhang stehen: Büros, Sozialeinrichtungen, Wohnungen. Während Ermittler Kartons in die Räume tragen, um darin Akten zu verpacken und sie herauszuschleppen, erklärt die Frankfurter Oberstaatsanwältin Nadja Niesen im Fernsehen des Hessischen Rundfunks, dass insgesamt sechs Mitarbeiter der AWO in Verdacht stehen, Beträge im höherem sechsstelligen Bereich* in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Das Geld war für Sozialprojekte vorgesehen:
"Und zwar soll es im Zusammenhang mit dem Betrieb von zwei Flüchtlingsunterkünften der AWO zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Es sollen überhöhte Personalkosten abgerechnet worden sein. Und hierdurch soll der Stadt Frankfurt ein immenser Schaden entstanden sein. Der weitere Vorwurf ist der der Untreue. Da geht es darum, dass satzungswidrige Vergütungen und ungerechtfertigte Honorarzahlungen geleistet worden sein sollen. Und es soll außerdem eine überhöhte Dienstwagenpauschale gewährt worden sein."
Hessen-SPD unter Druck
Wegen dieser Ermittlungen ist Christoph Degen um seinen neuen Job wahrlich nicht zu beneiden. Erst im Spätherbst 2019 wurde der gelernte Förderschullehrer und Landtagsabgeordnete zum neuen Generalsekretär der Sozialdemokraten in Hessen gewählt. Also in dem Bundesland, dessen Politik sie jahrzehntelang prägten. Doch längst haben CDU und inzwischen auch die Grünen der hessischen SPD den Rang abgelaufen. Die einst so stolze Partei ist nur noch dritte Kraft im Land. Ihre Abgeordneten drücken seit rund zwei Jahrzehnten die Oppositionsbank im Wiesbadener Landtag.
Nun kommt auch noch der "AWO-Skandal" hinzu: Jahrelang hatten sich, so der Vorwurf, hauptamtlich Beschäftigte den SPD-nahen Wohlfahrtsverband in Frankfurt am Main und Wiesbaden zur Beute gemacht. Sie genehmigten sich Gehälter von wohl teilweise mehreren hunderttausend Euro pro Jahr, buchten auf Kosten des Verbandes Luxushotels wie das Berliner Adlon, fuhren Dienstwagen bis zu einem Wert von 80.000 Euro.
Versuch der Schadensbegrenzung
Dass dies möglich war, liegt auch an SPD-Politikern, die die Kasse prüfen sollten, es aber offensichtlich nicht taten. Der neue hessische SPD-Generalsekretär Christoph Degen steht gleich nach Amtsantritt vor einem politischen Scherbenhaufen und versucht sich in Schadensbegrenzung.
Er will in diesem Vorgang lediglich eine lokale Dimension erkennen: "Ich glaube, man muss deutlich machen, dass das ja jetzt ein Thema ist, was sich vor allem in Frankfurt und Wiesbaden abspielt. Aber dass wir darüber hinaus ja ganz viele andere AWO-Gliederungen haben, die davon glücklicherweise nicht betroffen sind. Wo ja auch vor allem Ehrenamtliche sind, die da eher noch Geld reinstecken, als dass sie was rausbekommen für Senioren-Weihnachtsfeiern, Kinder-Vorlesestunden, wo ganz viel Gutes getan wird und die sich da zum Glück nicht aus der Ruhe bringen lassen."
Verbindung zu Frankfurter OB
Beunruhigt ist vor allem die SPD in Frankfurt am Main. Denn auch die Frau des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Peter Feldmann profitierte als Angestellte der Arbeiterwohlfahrt mit Dienstwagen und üppigem Gehalt von der Selbstbedienungsmentalität der AWO-Oberen.
Zunächst wollte der Oberbürgermeister von den Privilegien seiner Frau nicht viel gewusst haben, später gab sich Peter Feldmann bei einer Sitzung des Frankfurter Stadtparlaments zerknirscht: "Ich denke, dass ich selbst in der Frage des Dienstwagens innerfamiliär rückschauend sagen könnte: Da wäre sicherlich mehr Sensibilität angebracht gewesen. Und ich kann auch meinerseits sagen, dass ich in der Frage der Gewährung eines Dienstwagens meiner Frau der Auffassung bin, dass man auch dort die Richtlinien überarbeiten muss."
Peter Feldmann selbst hatte vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Frankfurt am Main bei der Arbeiterwohlfahrt gearbeitet. Die Kasse des Wohlfahrtsverbandes prüfte jahrelang die Frankfurter SPD-Bundestagabgeordnete Uli Nissen. Erst als die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen die AWO in Frankfurt aufgenommen hatte, trat Nissen von ihrem Amt als Kassenprüferin des Wohlfahrtsverbandes zurück.
SPD-Bundestagsabgeordnete in der Kritik
Für ein Interview mit dem Deutschlandfunk hatte die Bundestagabgeordnete keine Zeit. Stattdessen antwortet SPD-Landesgeneralsekretär Christoph Degen auf die Frage, ob Ulli Nissen nach ihrem offensichtlichen Versagen bei der AWO nicht auch von ihren Parteiämtern zurücktreten müsse: "Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun. Ich habe erst mal Respekt davor, dass Ulli Nissen eingestanden hat, dass aus dem Ehrenamt heraus - und eine Revisorin in dem Fall war ehrenamtlich tätig - neben allen anderen Aufgaben, die man ja hat, zu sagen: Das kann man nicht mehr leisten. Und da hat auch eine AWO einfach durch die, ja Bedeutung, die ihr die letzten Jahre zugekommen ist, durch gestiegene Aufgaben und Leistungen, dass kam, das da andere Kontrollmechanismen nötig sind, als das bei einem am Ende Schützenverein der Fall ist."
Reporter: "Ein bisschen spät die Einsicht von Frau Nissen, oder?"
Degen: "Das kann ich mir nicht anmaßen, darüber zu urteilen."
Finanzielle und personelle Konsequenzen
Das Urteil über die Rolle bekannter sozialdemokratischer Funktionsträger im AWO-Skandal sprechen aber inzwischen andere. Etwa der AWO-Bundesverband. Er fordert Gelder zurück, die von den Verbandsgliederungen in Rhein-Main möglicherweise veruntreut worden sind und er begrüßt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Oder auch die CDU in Frankfurt am Main: Sie regiert im Rathaus der Stadt mit der SPD und den Grünen in einer Koalition und verlangt auch von SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann weitere Aufklärung über seine Rolle im AWO-Skandal.
Oder auch die Basis der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt am Main: Sie will am kommenden Samstag einen vollständigen personellen Neuanfang machen. Der hessische SPD-Generalsekretär Christoph Degen unterstützt das: "Ja, es ist natürlich richtig und gut, dass es da zu einer personellen Neuaufstellung kommt, auch dass der Vorstand zurückgetreten ist und da den Weg freigemacht hat und da auch deutlich mit gemacht hat, dass es ist nicht akzeptabel war, wie die Zustände vorher waren."
*Ursprünglich wurde an dieser Stelle eine falsche Summe genannt.