Änne Seidel: Und damit zu einem Mann, der keine Lust hat auf einen Tinnitus und außerdem gern noch seinen 40. Geburtstag erleben würde. Der Schauspieler Shenja Lacher. Vergangene Woche hat er in einem Zeitungsinterview ordentlich auf den Tisch gehauen und seinem Ärger über die schlechten Arbeitsbedingungen am Theater Luft gemacht. Vom rauen Ton, der dort herrsche, von dem bekomme er so langsam einen Tinnitus, sagt Lacher, und überhaupt seien ihm die Strukturen im Theater zu autokratisch, ja fast noch feudalistisch. Er möchte nicht völlig verbrennen, so Lacher weiter, und außerdem, wie gesagt, noch ein paar Geburtstage feiern, und deshalb kehrt er dem Theater jetzt den Rücken. Seinen Vertrag am Münchener Residenztheater, wo er seit fast zehn Jahren arbeitet, hat Lacher gekündigt. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Schauspieler über schlechte Arbeitsbedingungen beklagen. Grund für uns, heute mal nachzuhaken bei Daniel Ris, Schauspieler und Regisseur und Vorstandsmitglied der Initiative "art but fair", die sich, wie der Name schon sagt, für faire Arbeitsbedingungen an deutschsprachigen Bühnen einsetzt. Ich habe Daniel Ris gefragt, autokratische Strukturen, rauer Ton – wie häufig hören Sie solche Klagen?
Daniel Ris: Die hören wir natürlich sehr oft, und die habe ich in 25 Jahren Theaterpraxis sehr viel erlebt und nicht zuletzt deswegen mich auch der Initiative angeschlossen oder die mit begründet. Uns geht es um zwei Dinge im Prinzip, um faire Gagen und um faire Arbeitsbedingungen. Das ist beides gleichwertig wichtig, weil sich eine Spirale dreht in den letzten 25 Jahren, die bedeutet, dass die Theater immer mehr produzieren in immer kürzerer Zeit und dafür immer schlechter bezahlen. Und diese Spirale ist immens, und der entgegenzuwirken, ist ein dickes Brett zu bohren, und das versuchen wir.
Künstler wollen "ein Maß an Mitbestimmung haben"
Seidel: Über die Gagen können wir gleich noch mal sprechen. Bleiben wir noch einen Moment bei den autokratischen Strukturen, die Shenja Lacher da anprangert. Was genau beklagen die Schauspieler, mit denen Sie sprechen, da?
Ris: In normalen Betrieben, sage ich mal, sind ja mittlerweile so was wie Partizipation und flache Hierarchien was ganz alltägliches, und das Bewusstsein, dass das die Motivation und auch letzten Endes die Leistungsfähigkeit steigert. Was die Künstler jetzt wollen, auch zum Beispiel die, die sich im Ensemble-Netzwerk zusammengeschlossen haben, ist im Prinzip gar nichts Ungewöhnliches. Die wollen ihrer Kunst nachgehen können und wollen da sozusagen ein Maß an Mitbestimmung haben, was ich sehr einleuchtend finde. Das bedeutet nicht, dass die Souffleuse künftig den Spielplan macht oder die Garderobenschließerin, aber dass sozusagen man partizipiert an dem, was direkt den Arbeitsinhalt betrifft, das ist, finde ich, ein ganz normaler Anspruch. Und darüber hinaus soll man das dann zu Bedingungen tun können, die sozusagen ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit bieten.
Seidel: Um jetzt mal im Bild zu bleiben, das heißt, die Feudalherren im Sinne von Shenja Lacher, das sind dann die Intendanten, die Regisseure?
Ris: Ja, richtig. Das ist so, der Intendant hat im deutschen Stadttheater die absolute Gestaltungsmacht, sage ich jetzt mal. Das betrifft Verträge, das betrifft Finanzen, das betrifft die inhaltliche Gestaltung, die Ausrichtung des Spielplans. Wenn er das möchte, dann kann er das alles komplett allein entscheiden, in jeglicher Hinsicht. Es gibt Tendenzen wie zum Beispiel Markus Müller in Mainz, der sagt, ich bin ein Teamchef, ich habe fünf gleichberechtigte Hausregisseure, das ist eigentlich die Leitung des Theaters. Es gibt in Mannheim mittlerweile ein Fünferdirektorium aus fünf gleichberechtigten Köpfen. Diese Bewegung, die findet statt. Es ist auch wunderbar, dass die stattfindet, aber an den anderen Häusern ist es immer noch so, das ist eine Person, die entscheidet, und damit ist man natürlich auch vom Gelingen, sage ich mal, und auch von der Persönlichkeit dieser Person komplett abhängig. Das kann jemand sein, der Mitbestimmung zulässt, das kann jemand sein, der einen freundlichen, respektvollen Umgang mit seinen Mitarbeitenden pflegt. Das kann aber eben auch das Gegenteil sein, und dann kriegt man den Tinnitus.
"Wir müssen ein bisschen weg von diesem vorne hui, hinten pfui"
Seidel: Und Sie würden sagen, dass es sich dabei tatsächlich um ein flächendeckendes, vielleicht sogar auch um ein strukturelles Problem an deutschen Bühnen handelt?
Ris: Ich würde sagen, das ist ein Problem des Umdenkens und der Modernität. Und wir müssen ein bisschen weg von diesem "vorne hui, hinten pfui". Das macht die Theater furchtbar unglaubwürdig. Auf der Bühne Demokratie, Gleichberechtigung, Mitbestimmung in die Welt zu posaunen, und in den Betrieben – die Theater – ich kenne keinen Intendanten, der mir wirklich reinen Gewissens in die Augen guckt und sagen kann, dass bei ihm die Frauen für gleiche Arbeit so viel verdienen wie die Männer. Das ist ungesetzlich seit 2006, das wird auch von den Gemeinden, von den Trägern der Theater gedeckt. Das sind alles Zustände, die eigentlich nicht haltbar sind. Die Intendanten sind unter starkem Druck. Ich möchte jetzt auch nicht das Intendanten-Bashing sozusagen hier betreiben. Die geben auch viel von dem Druck einfach weiter, weil die Zuschüsse sind eingefroren im Prinzip seit 20 Jahren, und sozusagen die Fixkosten der Theater steigen aber durch die Tariflöhne der nicht künstlerischen Mitarbeiter. Das heißt, für die Kunst ist immer weniger Spielraum. Und das ist ein strukturelles Problem. Das andere, das mit den Hierarchien, das ließe sich ja von innen auch auflösen, wie man in Mainz oder in Mannheim zum Beispiel sieht. Man könnte die Struktur von heute auf morgen anders nutzen, wenn man das will.
Seidel: Meint Daniel Ris von der Initiative "art but fair". Mit ihm habe ich gesprochen über die Arbeitsbedingungen an deutschen Theatern.
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