Catalin Mihai ist müde, erschöpft und dennoch ziemlich aufgebracht. Gerade ist er von der Frühschicht in der Fleischfabrik von Tönnies nachhause gekommen, von vier Uhr früh bis eins am Mittag hat er am Schlachtband gestanden. Nun erzählt er am Telefon, wie sich die Arbeit aus seiner Sicht in den letzten Wochen verändert hat.
"Es ist alles wie vorher: Wenn du Urlaub willst, bekommst du keinen, wenn du einen Tag frei nehmen willst, sagen die Vorarbeiter geht nicht, wenn du krank wirst, drohen sie dir, wenn du nicht kommst, wirst du rauschgeschmissen", sagt Mihai.
Tönnies bestreitet das. Unternehmenssprecher André Vielstädte schreibt auf Anfrage des Deutschlandfunks: "Alle Mitarbeiter haben einen deutschen Arbeitsvertrag im deutschen Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht. Dazu gehört unter anderem die Arbeitszeiterfassung, Urlaubstage und Krankheitsschutz. Drohungen, Urlaubsverweigerung oder ähnliches akzeptieren wir gegenüber unseren Mitarbeitern nicht. Solche Behauptungen müssen gemeldet und geprüft werden, wofür es im Unternehmen, beim Betriebsrat oder beispielsweise der Ombudsstelle Anlaufpunkte gibt."*
Mihai heißt eigentlich anders, er will seinen wahren Namen hier nicht nennen – er will keinen Ärger. Fünf Jahre lang hat er für verschiedene Subunternehmer als Schlachter bei Tönnies gearbeitet. Seit Dezember ist er bei der Firma fest angestellt, erzählt er. Eine Folge der gesetzlichen Änderungen: "Die Arbeitsverträge sind genau wie die alten. Ich verdiene Mindestlohn 9,35 Euro. Wenn ich 200 Stunden pro Monat arbeite, bleiben vielleicht 1.300 Euro übrig. "
Weniger Mitarbeiter für dieselbe Arbeitsmenge
Die Arbeitsbedingungen hätten sich seitdem nicht verbessert. Im Gegenteil, sagt der 25-Jährige. Auch weil Tönnies im Betrieb offenbar mit weniger Mitarbeitern auskommen muss. "Es ist viel härter geworden, sie haben viel weniger Leute, aber genau so viel Arbeit. Die gleiche Menge Schweine", sagt Mihai.
"Das Schlachtband läuft fast genauso schnell wie immer, 73 Schweine pro Stunden müssen wir zerlegen. Mit viel weniger Leuten. Und wenn die Frauen schwere Palletten nicht heben können, sagen die Vorarbeiter – scheißegal. Weg, hau ab. Die Chefs, die Vorarbeiter sind genau dieselben, nur dass sie jetzt bei Tönnies arbeiten – solange die nicht gehen, wird sich nichts ändern."
Auch Mihais Kollege, der ebenfalls anonym bleiben möchte, hatte auf bessere Arbeitsbedingungen gehofft – bislang vergeblich: "Jeden Tag neun Stunden, bei vier Grad über Null." "Wir müssen sehr schnell am Band arbeiten – jeden Tag neun Stunden, bei vier Grad über Null. Und Pausen gibt es kaum. Zwei Mal 15 Minuten pro Schicht, mehr nicht", sagt der Fleischarbeiter.
Politologe: "Oft erniedrigende Behandlung"
Stanimir Mihaylov bestätigt diese Eindrücke. Er ist Berater im Projekt "Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten" bei Arbeit und Leben NRW, einer Weiterbildungseinrichtung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Volkshochschulen in Nordrhein-Westfalen. Der Politologe hat sich in den vergangenen Wochen die neuen Verträge der osteuropäischen Schlachter angeschaut.
"Manche haben keine Veränderung bemerkt, weil dieselben Vorarbeiter wieder da sind, mit denen sie unzufrieden waren. Die wurden aus den Subunternehmen auch übernommen. Und die oft erniedrigende Behandlung war wieder da. Und die haben immer noch das Sagen. Das heißt, die Beschäftigten haben immer noch Angst, sich zu beschweren, über Sachen, die sie stören. Manche waren auch unzufrieden, weil sie einen etwas niedrigeren Lohn bekommen haben als vorher."
Doch noch sei es etwas zu früh, um wirklich zu bewerten, ob und wie das neue Gesetz wirkt, sagt Mihaylov.
Gesetz soll Auswüchsen ein Ende bereiten
Inge Bultschnieder sieht das ähnlich. Die 48-Jährige lebt am Tönnies Standort Rheda-Wiedenbrück. Seit Jahren kämpft sie für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Tönnies-Arbeiter. Mit ihrer "Interessengemeinschaft Werkfairträge" berät sie Rumänen und Bulgaren, die um ihren Lohn geprellt wurden. Erst heute war ein rumänischer Schlachter bei ihr - sein Subunternehmer hatte ihm im letzten Jahr nicht alle Stunden bezahlt.
Diese Auswüchse des Werkvertragssystems dürften nun, mit dem neuen Gesetz ein Ende haben, sagt sie: "Ich glaube, es ist jetzt zu schwierig den Arbeiter nicht korrekt zu bezahlen – zu schwierig und zu riskant. Ich denke, dass die Zeiterfassung jetzt auch sehr streng eingehalten werden muss und es nicht mehr möglich ist, irgendwelche Stunden abzuziehen. Das wird zu riskant für die Firmen. Das wird sich keiner mehr erlauben können. Nun ist man ja dann endlich selbst in der Verantwortung."
Prekäre Wohnsituation bleibt
Bultschnieder hat mit ihrem Verein auch immer wieder auf die prekäre Wohnsituation der osteuropäischen Arbeiter aufmerksam gemacht. Zum Geschäftsmodell der Subunternehmer gehörte es, ihren Arbeitern Zimmer oder einzelne Betten in heruntergekommenen Häusern zu vermieten. Teilweise für 200 Euro pro Person und Bett. Der Landesarbeitsminister Karl Josef Laumann, CDU, hatte im Sommer NRW-weit* in den Unterkünften 1.900 Mängel festgestellt.
An diesen Verhältnissen habe sich seit dem Sommer mit Blick auf Gesamt-NRW* so gut wie nichts geändert, sagt Bultschnieder: "Die Leute leben wie vorher auch. Herr Laumann hat ja festgestellt, dass es hier 1.300 unzumutbare Wohnungen gibt. Es sind immer noch gut vier bis fünf Frauen oder Männer auf 50 Quadratmeter. Schlimm ist, dass die keinen Rückzugsort haben – die sind ja keine Familie, und jetzt müssen sie sich mal vorstellen, sie schlafen jetzt immer mit einem oder drei weiteren Fremden in einem Raum. Nach allem was ich gesehen habe, hat sich daran nicht viel geändert."
Tönnies bestreitet
André Vielstädte, der Unternehmenssprecher von Tönnies, bestreitet das. Die Wohnungen der Subunternehmer seien bei Kontrollen nicht beanstandet worden. Jetzt kümmere sich das Unternehmen selbst um die Unterbringung der Arbeiter.
Vielstädte: "Es war zuvor so, dass 70 Prozent in privaten Wohnungen gelebt haben, 30 Prozent wohnten vom Dienstleister sozusagen organisiert. Und diese 30 Prozent müssen wir jetzt organisieren. Wir haben dazu in den letzten zwei Monaten über 2.000 Wohnplätze selber geschaffen. Haben Häuser gekauft, Häuser angemietet und sind mit Kommunen im Gespräch was Neubauten angeht."
20 Prozent verdienen den gesetzlichen Mindestlohn von nun 9,50 Euro, der Durschnitt liege bei 11 Euro. Und selbstverständlich halte sich das Unternehmen an alle arbeitsrechtlichen Vorgaben, sagt Vielstädte: "Wir halten uns an das deutsche Arbeitsrecht, so wie wir es von unseren Dienstleistern erwartet haben. Jetzt in voller Justiziabilität von uns selbst."
"Es hat sich nur auf dem Papier etwas geändert"
Rund 6.000 Arbeiter hat Tönnies inzwischen fest angestellt – vorher haben 20 Prozent mehr für das Unternehmen gearbeitet. Dass nun weniger Arbeiter die gleiche Menge Schweine schlachten – wie die beiden rumänischen Mitarbeiter behaupten –, scheint also plausibel.
Mihai und sein Kollege glauben jedenfalls nicht so recht daran, dass sich die Arbeitsbedingungen bei Tönnies verbessern werden. "Es hat sich nur auf dem Papier etwas geändert – ein anderer Name auf der Lohnabrechnung, das wars."
Die beiden haben sich nach anderen Jobs umgeschaut. Mihai hat bereits etwas anderes gefunden. "Nächsten Montag fange ich bei Amazon an. Da verdiene ich zwar auch nicht mehr Geld. Aber ich habe diesen Stress nicht mehr."
*Klarstellung aus redaktionellen Gründen