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Arbeitsbedingungen beim WM-Gastgeber Katar
Sterben für den Fußball

Seit der Vergabe der Fußball-WM an Katar sollen dort rund 6.500 Gastarbeiter gestorben sein. Das berichtet der „Guardian“ mit dem Verweis auf Behördenunterlagen. Ronny Blaschke kritisiert in seinem Kommentar, dass die Empörung über solche Berichte inzwischen schon rituell ist und schnell abebbt.

Ein Kommentar von Ronny Blaschke |
Männer in Arbeitskleidung gehen vor der Baustelle eines Stadions entlang.
Arbeiter vor einer Stadion-Baustelle in Katar. (AFP)
In regelmäßigen Abständen berichten Medien aus Europa über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Katar. Die FIFA und das Organisationskomitee halten die Todeszahlen im "Guardian" für viel zu hoch. Sie verweisen auf Reformen, die es ohne die WM nicht geben würde. Tatsächlich ist das Kafala-System gelockert worden, auf dem Papier. Arbeiter sollen sich leichter von ihrem Arbeitgeber lösen können. Ihnen steht das Recht auf Beschwerde zu: gegen Schikane, gegen ausbleibende Löhne, gegen die Einbehaltung ihrer Reisepässe. Doch Reformen können nur wirksam werden, wenn sich das ganze System weiterentwickelt.
In Katar gibt es keine Gewerkschaften, keine freien Medien und keine unabhängige Justiz. Arbeitgeber mit Nähe zum Regime müssen keine Konsequenzen fürchten. Daher häufen sich Berichte von verschleppten Beschwerdeverfahren und eingeschüchterten Gastarbeitern. Während der Pandemie haben viele Arbeiter ihren Job und ihre Unterkunft verloren. Trotz allem wollen viele nicht in ihre Heimat zurück, denn dort könnte es ihnen noch schlechter ergehen.

Die Empörung ebbt schnell wieder ab

In Katar leben 2,3 Millionen Arbeitsmigranten. Rund um die neuen WM-Stadien sollen nur rund 30.000 beschäftigt sein. Wegen der internationalen Aufmerksamkeit sollen Arbeitsschutz, Versorgung und Kontrollen im Umfeld des Fußballs sogar besser sein als anderswo, etwa in Fabriken oder im Straßenbau. Doha würde auch ohne WM einer Baustelle gleichen. So zynisch es klingen mag: Erst durch den Fußball ist Europa auf die toten Gastarbeiter aufmerksam geworden.
Karla Borger und Julia Sude beim Beach-Volleyball
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Die Kleidervorschriften für das Beachvolleyballturnier in Katar sind offiziell zurückgenommen worden. Die Spielerinnen dürfen dort nun doch im Sportbikini anstatt in Shirt und langer Hose spielen, wenn sie das möchten. Das bestätigte der Volleyball-Weltverband FIVB dem Deutschlandfunk.
Nach Maßstäben Europas, dessen Gewerkschaften sich über Jahrzehnte herausgebildet haben, ist Katar rückständig. Nach Maßstäben der Golfregion, die Arbeiterbewegungen nicht kennt, ist Katar ein Zukunftsmodell. Auch die Nachbarn Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate setzen auf das Kafala-System, aber sie dulden weniger Einmischung. Katar lässt internationale Organisationen für Arbeitsrechte ins Land, früher war das undenkbar. Doch ob sie wirklich regierungskritisch sind und Zugänge zu allen Arbeitercamps erhalten, bleibt fraglich.
Die Empörung über die Todeszahlen ist zu einem Ritual geworden, das nach wenigen Tagen wieder in den Hintergrund rückt. Klubs aus demokratisch regierten Ländern wie der FC Bayern und Paris Saint-Germain sind geschäftlich mit Doha verbunden. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil besuchte 2015 die Handball-WM in Katar, wohl auch, um für Volkswagen zu werben. Die Deutsche Bahn ist am milliardenschweren Streckenausbau am Golf beteiligt. Katar hat mit dem Westen ein dichtes Netzwerk geknüpft, in Tourismus und Wissenschaft, in Kultur und Sport. Der Emir kann sich bestätigt fühlen.

Projekte für das moralische Gewissen?

Hierzulande unterstützen immer mehr Fans, Wissenschaftler und Publizisten das Bündnis "Boykott Qatar". Doch wenn sie konsequent wären, müssten sie die ganze Branche boykottieren. Ob Bundesliga oder Premier League, ob FIFA oder UEFA: Kaum ein Verband will auf das Geld der staatlichen Fluglinien aus der Golfregion verzichten. Und die Regionalmacht Saudi-Arabien steht in ihrer sportlichen Geopolitik erst am Anfang.
Dennoch gibt es Möglichkeiten: Kritische Fans des FC Bayern stehen im Kontakt zu Gastarbeitern. Auch bei anderen Klubs könnten Anhänger auf Sponsoren zugehen oder die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen auf das Thema hinweisen. In den verbleibenden 21 Monaten bis zur WM werden Bücher, Dokumentationen und Konferenzen zum Thema entstehen. Die entscheidende Frage ist, ob das den Gastarbeitern hilft oder nur das moralische Gewissen in Europa verbessert.
Letztlich wird nicht der politische Druck, sondern die ökonomische Not in Katar zu Reformen führen. Die Konkurrenz in der Region um Touristen, Unternehmen und Fachkräfte dürfte nach der Pandemie härter werden. Wenn Katar sein Wachstum mit weniger Rohstoffen langfristig halten will, dann muss es sich an internationalen Standards orientieren. Ansonsten könnten sich Investoren in einer Rezession für andere Länder entscheiden.
Neunzig Prozent der katarischen Bevölkerung sind Einwanderer. Ob sich irgendwann die Einsicht durchsetzen wird, dass Gastarbeiter mehr sein können als billige Hilfskräfte? Dass sie Kultur, Konsum und Gemeinwesen bereichern können? Die WM 2022 wird darauf noch keine Antworten geben. Aber sie ist eine Möglichkeit, um politischen Druck auszuüben.