Die Zustände in deutschen Schlachthöfen sind teils katastrophal - vor allem die Arbeitsbedingungen. Arbeiter aus Osteuropa werden zu Billigstlöhnen von fragwürdigen Subunternehmern beschäftigt, damit die Deutschen im Supermarkt Billigfleisch kaufen können. Schlachthöfe werden zu Corona-Brennpunkten, weil Hygienemaßnahmen nicht eingehalten werden; Arbeiter werden in Sammelunterkünften zusammengepfercht, für die sie oft noch eine saftige Miete zahlen müssen. Heute will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Corona-Kabinett seine Vorschläge zu Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes einbringen.
Die Agraringenieurin und Vorsitzende des Verbandes der Landwirte mit handwerklicher Fleischverarbeitung (Schwerpunkt ökologische Erzeugung) Andrea Fink-Keßler hofft, dass sich an den Zuständen schnell etwas ändern wird, glaubt aber, dass der Druck dafür noch größer sein müsste.
Heinlein: Frau Fink-Keßler, überrascht Sie, was an Meldungen über die Zustände in deutschen Schlachthöfen in den letzten Tagen ans Tageslicht kommt?
Andrea Fink-Keßler: Nein! Ich meine, die Coronakrise enthüllt da nicht nur hier, sondern in vielen Bereichen, aber hier vor allem die Schattenseiten dieser Fleischindustrie. Seit 20 Jahren ist Deutschland bei den Nachbarländern verschrien als Billiglohnland, weil dort Mindestlöhne eingeführt wurden, was in Deutschland nicht war, gerade nicht im Fleischbereich. Man hat aber mehr noch dieses ganze Geschäft, das Kerngeschäft des Schlachtens, Zerlegens und Verarbeitens an Subunternehmer abgegeben. Jeder Metzger guckt sich seine Leute an, wenn er die einstellt: Machen die ordentliche Arbeit? Halten die die Hygiene ein und und und. Dort übergibt eine Branche praktisch die Verantwortung für ihr Kerngeschäft an Subunternehmer, die wiederum Werkvertragsnehmer einstellen, die dann für geringsten Lohn arbeiten, und dazwischen wird abkassiert.
Heinlein: Was sind die Gründe für dieses bestehende System der Leiharbeiter, dieser Subunternehmen?
Fink-Keßler: Geld verdienen!
"Da ist irre viel abkassiert worden in dem System"
Heinlein: Geht es nur ums Geld?
Fink-Keßler: Schauen Sie mal: In Dänemark hatte Danish Crown 30 Euro für einen Schlachter bezahlt in der Stunde. Dann haben die ab 2005 angefangen, die Schweine nach Deutschland zu fahren, und dort mussten sie nur 15 bis 13 Euro bezahlen für die Stunde. Aber diese 13 bis 15 Euro, das hat jetzt zum Beispiel Westfleisch gekriegt. Das gibt an einen Subunternehmer was weiter und der Subunternehmer, der bezahlt seine Arbeitnehmer dann mit maximal 10 Euro, manchmal auch nur mit 1,70 Euro. Die mussten dann noch für die Schlafplätze bezahlen, zum Beispiel 400 Euro für einen Schlafplatz, dann für die Arbeitskleidung, dann für die Werkzeuge und und und. Da ist irre viel abkassiert worden in dem System.
Heinlein: Aber braucht es den billigen, den preiswerten rumänischen Metzger bei uns, damit das Schnitzel an der Fleischtheke für alle erschwinglich bleibt?
Fink-Keßler: Was heißt für alle erschwinglich bleibt? – Gestern habe ich noch mal nach den Preisen geguckt. Da war ein Discounter, der bot das Schweinehack für 3,98 Euro an. Das sind acht Cent mehr als der Kaffee bei McDonalds. Wo ist da eine Wertschätzung gegenüber diesem Fleisch?
Heinlein: Wollen Sie, dass Fleisch künftig zu Luxusware wird für Besserverdienende?
Fink-Keßler: So kann man es nicht sagen. Wir müssen hier einen Systemwechsel machen.
Heinlein: Wie kann der aussehen?
Fink-Keßler: Das ist gerade seit den 90er-Jahren ein wirklich industrialisiertes Agrar- und Ernährungssystem, was sich hier etabliert hat, an dem wir alle irgendwie beteiligt sind. Schneller Systemwechsel ist natürlich nicht möglich. Man muss ja auch sehen, dass das Handwerk gar nicht diese 60 Millionen Schweine, die hier jährlich geschlachtet werden, noch verarbeiten könnte. - Wir brauchen einfach die Durchsetzung dieser sozialen Hygienestandards.
"Es geht hier auch um die Menschen"
Heinlein: Wenn Sie sagen, Systemwechsel, Frau Fink-Keßler, das verstehe ich nicht ganz. Was meinen Sie damit? Welches System muss gewechselt werden in welche Richtung?
Fink-Keßler: Es müssen zuerst mal die Arbeitsbedingungen in dieser Fleischindustrie verbessert werden. Es geht dann hier nicht nur um die Tiere; es geht dann hier auch um die Menschen. Es ist ja ein irrer Knochenjob. Den hält ja auch kaum einer durch. Immer kalt, immer feucht, alles geht auf die Knochen und die Gelenke. Die Männer arbeiten hier ein paar Monate, dann werden sie ausgetauscht. Das muss verbessert werden.
Man könnte zum Beispiel auch die Bandgeschwindigkeit reduzieren. Man könnte jetzt, wenn man mal weiterdenkt, visionärer denkt, auch die Schlachtungen wieder rückverlagern in die Regionen, dass die Tiertransporte minimiert sind.
Heinlein: Ist das, was Sie da beschreiben, dieses handwerkliche Schlachten – für diesen Verband sprechen Sie ja auch -, tatsächlich eine Alternative zu der industriellen Schlachtung in den großen Fleischfabriken?
Fink-Keßler: Nein! Es ist natürlich eine Alternative, wenn man auf das einzelne Tier guckt und auf den einzelnen Menschen schaut. Aber das Handwerk ist nicht in der Lage, 60 Millionen Schweine zum Beispiel im Moment zu verarbeiten. Das ist ja auch rückläufig unter diesem Preisdruck. Unsere Betriebe, die bei uns Mitglied sind, das sind Direktvermarkter, die sich eigene Schlachtstätten oder Zerlegestätten aufgebaut haben, um ihre eigenen Tiere zu schlachten, zu verarbeiten und zu vermarkten. Das ist eine Nische!
Wenn wir aber vom Systemwechsel reden, oder was müsste insgesamt anders werden, dann müssen wir gesellschaftliche Schritte einleiten wie zum Beispiel diese Sozialstandards: bessere Arbeitsbedingungen.
"Im Zentrum steht auch die Wertschätzung"
Heinlein: Aber wenn dieser Systemwechsel kommt, den Sie fordern, muss der Verbraucher, der einzelne Verbraucher dann auch in Kauf nehmen, dass Fleisch künftig teurer wird?
Fink-Keßler: Ja! Ich zahle jetzt auch schon wesentlich mehr an der Kasse, einfach durch Corona, durch die unterbrochenen Lieferketten und und und. Es ist so! Man muss sich vielleicht dann überlegen, welches Fleisch will ich wirklich essen, was ist es mir was wert, wie oft will ich Fleisch essen und müssen es immer nur die Edelteile sein, muss es nur das Schnitzel sein. Aber ich finde, im Zentrum steht schon auch die Wertschätzung, was ist mir was wert, zahle ich für einen Kaffee so viel wie für ein Kilo Hack.
Heinlein: Früher war es so, dass der Sonntagsbraten der Standard war. Man hat nur einmal die Woche Fleisch gegessen. Muss man letztendlich, damit dieser Systemwechsel möglich wird für Mensch und Tier, das in Kauf nehmen? Das sind ja Forderungen, die die Grünen jetzt auch erheben, Mindestpreis für Fleisch, ein Verbot von Werkverträgen für Subunternehmen und bessere Löhne und Kontrollen? Sind das die richtigen Schritte?
Fink-Keßler: Mindestpreise für Fleisch? Wer fordert so was?
"Der Verbraucher ist nur ein Rädchen im Ganzen"
Heinlein: Die Grünen, Herr Habeck.
Fink-Keßler: Ach so. Das verstehe ich jetzt nicht. – Der Verbraucher ist nur ein Rädchen im Ganzen. Wenn wir jetzt anfangen, endlich Mindeststandards durchzusetzen und bessere Arbeitsbedingungen und dann noch auf den Tierschutz achten und von mir aus auch noch die Transportzeiten endlich begrenzen, dann ist schon mal ein erster Schritt für einen Systemwechsel getan. Der Verbraucher mit seinem Griff, mit seiner Wahl, das ist nur ein Teil vom Gesamten, was getan werden muss.
Heinlein: Frau Fink-Keßler, Sie beobachten die Fleischindustrie, dieses ganze Verfahren schon seit längerem beruflich. Für Sie ist es keine Überraschung – das haben Sie in der ersten Antwort gesagt. Warum braucht es jetzt aber erst diese Pandemie, um die prekären Verhältnisse auf deutschen Schlachthöfen ans Tageslicht zu bringen? Hat die Politik hier bewusst weggeschaut, die Augen geschlossen?
Fink-Keßler: Natürlich! 2005 war schon ein Artikel in der "Welt": "Deutschland – Billiglohnland". Es ging ja auch schon durch die Presse. Dass sich 2013 hier was geändert hat, was Heil jetzt auch anführt, was sie jetzt verschärfen wollen und die Kontrollen verschärfen wollen und und und, das ist ja 2013 etabliert worden. Das war auf öffentlichen Druck. So ist es ja nie eine Überraschung.
"Man hofft, dass die Politik nicht mehr wegschaut"
Heinlein: Glauben Sie, dass sich jetzt was ändern wird?
Fink-Keßler: Um Gottes willen! Mühsam nährt sich das Eichhörnchen! Man hofft es ja, dass mehr darauf geschaut wird, dass die Politik nicht mehr wegschaut, dass wirklich auch die Stellen beim Zoll geschaffen werden, die das kontrollieren sollen, und nicht alles nur auf dem Papier stattfindet. Im Kern finde ich schon, dass es nicht möglich ist, dass man das Kerngeschäft einer ganzen Branche auslagert an Subunternehmer und de facto die Verantwortung abgibt und nur auf dem Papier die Verantwortung behält. Hier ist ein Kern für mich, ein Kernhebel.
"Das ist eine mächtige Lobby"
Heinlein: Wenn jetzt der zuständige Gesundheitsminister Nordrhein-Westfalens, Karl-Josef Laumann, am Wochenende kleinlaut erklärt, die Parteien hätten jahrelang versagt, in der Fleischindustrie müsse sich jetzt tatsächlich etwas ändern, haben Sie Vertrauen in eine solche Ankündigung, oder ist das nur in den Wind gesprochen?
Fink-Keßler: Das ist eine mächtige Lobby. Das dürfen Sie nicht unterschätzen. Das ist ja eine der umsatzstärksten Branchen in der Ernährungsindustrie. Irgendwo hatte ich mir es aufgeschrieben, wie viele Arbeitsplätze da dranhängen und wieviel Geld verdient wird. Das ist eine mächtige Lobby. Ich denke, da muss Druck von vielen Seiten kommen.
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