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Arbeitsintegration von Flüchtlingen
"Zum Däumchendrehen verpflichtet"

Lange Asylverfahren erschweren Flüchtlingen in Deutschland die Jobsuche, das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung. In der Bearbeitung von Asylanträgen sei Deutschland EU-weit "Schlusslicht", kritisierte die Migrationsexpertin Claudia Walther im DLF und forderte statt "Prinzipienreiterei" mehr Pragmatik und Flexibilität.

Claudia Walther im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 08.08.2015
    Hasma Olabi (l-r) aus Afghanistan, Nebai Kahsai Hable aus Eritrea und Abduk Samad Najm aus Syrien sitzen am 04.08.2015 vor einem Schild der Arbeitsagentur für Arbeit in Hannover (Niedersachsen).
    Die meisten Flüchtlinge wollen möglichst schnell anfangen zu arbeiten, um sich ein neues Leben aufzubauen, erläuterte die Migrationsexpertin Claudia Walther im DLF-Interview. (dpa / picture-alliance / Susann Prautsch)
    Im Schnitt dauere es über sieben Monate, bis die Asylverfahren entschieden seien, fasste Claudia Walther ein Ergebnis der Studie zusammen. Flüchtlinge aus Afghanistan und Pakistan hätten durchschnittlich sogar über 17 Monate Wartezeit, bis ihr Antrag bearbeitet werde, ergänzte die Migrationsexpertin, die bei der Bertelsmann Stiftung für den Bereich Integration und Bildung zuständig ist.
    Diese Zeit werde nicht sinnvoll genutzt, betonte Walther: "Die meisten, die hier hinkommen, wollen arbeiten und sind dann diese ganze Zeit zum Nichtstun und Däumchendrehen verpflichtet und das ist für viele eine unglaubliche Belastung." Nur in sechs Bundesländern seien Asylbewerber überhaupt für Sprachkurse zugelassen. In der langen Wartezeit verfalle zudem die Motivation der Flüchtlinge.
    "Überall in Europa geht's schneller"
    Im Interview mit dem Deutschlandfunk forderte Walther deshalb eine pragmatischere Herangehensweise: "Erst mal sollte man checken: Was bringen die Flüchtlinge mit?" Die Frage nach der Arbeitsperspektive sei ein weiterer wichtiger Punkt, betonte die Expertin der Bertelsmann Stiftung. Darüber hinaus gäbe es "viel zu wenig Entscheider" beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Innenministerium habe in diesem Fall zu spät reagiert. Auch an der Qualifizierung der Zuständigen müsse gearbeitet werden, forderte Walther.
    Im Mai dieses Jahres hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine deutliche Aufstockung des Personals für die Bearbeitung von Asylanträgen angekündigt. In der zuständigen Behörde seien bis zu 2.000 zusätzliche Stellen vorgesehen. 750 davon sollen noch in diesem Jahr besetzt werden. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat nach eigenen Angaben derzeit rund 2800 Mitarbeiter.
    Ziel ist es nach Angaben von de Maizière, die Asylverfahren zu beschleunigen und auch über die rund 200.000 Altfälle schneller zu entscheiden. Allein für dieses Jahr rechnet das Innenministerium mit 450.000 Asylanträgen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Bei der Asyldebatte geht es in Deutschland im Moment ja vor allem um zwei Punkte: Erstens, wie können die Verfahren möglicherweise beschleunigt werden, und auf der anderen Seite die Schwierigkeiten bei der Unterbringung, was kann, was muss, was soll man denn tun. Wie beschleunigen, das ist das eine, auf der anderen Seite stehen Fragen weniger im Mittelpunkt, und genau das wollen wir heute Morgen näher beleuchten, die vielleicht viel wichtiger sind: Wie kann man denn Flüchtlinge besser in Arbeit bringen und die Menschen, die hier sind, besser in die Gesellschaft integrieren? Immerhin, die Bertelsmann Stiftung hat sich in diesen Tagen in einer Studie genau mit dieser Frage beschäftigt, und die wollen wir etwas näher erwägen und das ein oder andere dazu erfahren mit der Migrationsexpertin Claudia Walther von der Bertelsmann Stiftung, die ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Frau Walther!
    Claudia Walther: Guten Morgen, Herr Zurheide, ich grüße Sie!
    Zurheide: Beginnen wir zunächst mal mit der Grundfrage: Sie haben präzise nachgefragt, warum dauert es so lange, bis Flüchtlinge in Deutschland in Arbeit kommen. Erst mal, wie lange dauert's überhaupt im Schnitt?
    Walther: Ja, letztes Jahr waren es 7,1 Monate im Schnitt, und das hat sich ein bisschen verbessert natürlich jetzt durch Maßnahmen, aber im Schnitt hieß, bis zur ersten Entscheidung, und das hieß gleichzeitig, dass manche, beispielsweise die aus Afghanistan kommen, über 16 Monate warteten und aus Pakistan 15 Monate bis zur Entscheidung warteten.
    "Wir wissen nicht, was die Menschen für Qualifikationen mitbringen"
    Zurheide: Das heißt, da sind wir jetzt nur erst mal bei der Entscheidung, ob überhaupt Asyl, ja oder nein, und das ist ja eine Zeit, in der man – ich sage es so hart – eigentlich sitzt und wartet überwiegend, also von Arbeit kann da keine Rede sein.
    Walther: So ist es, und die meisten, die hierhin kommen, die wollen ja sich ein neues Leben aufbauen, die wollen arbeiten und sind dann wirklich über diese ganze Zeit zum Däumchendrehen verpflichtet, zum Nichtstun verpflichtet, und das ist für viele eine unglaubliche Belastung. Manche kommen ja auch mit Traumata, mit ganz belastenden Situationen hierher, und dann zum Nichtstun verpflichtet zu sein, das ist sehr belastend, und umgekehrt, die Bevölkerung versteht es auch nicht. Wir haben eine andere Umfrage gemacht, da sprachen sich 84 Prozent der Bevölkerung dafür aus, dass die Menschen möglichst schnell in Arbeit gebracht werden.
    Zurheide: Jetzt sagen wir, oder wenn ich die Frage präzise stelle: Was ist das Haupthindernis, die Menschen schnell in Arbeit zu bringen - sind es die langen Verfahren oder gibt es noch andere Gründe?
    Walther: Ja, es gibt noch andere Gründe. Wir hatten diese Frage Herrn Professor Thränhardt gestellt, der für uns diese Studie erarbeitet hat, und tatsächlich sind die langen Verfahrensdauern der Hauptgrund. Und zum Zweiten ist es aber so, dass während der Verfahrensdauern auch nicht die Zeit genutzt wird. Zwar sagt die Bundesregierung seit November 2014, nur drei Monate Wartezeit, danach gäbe es die Möglichkeit für die Asylbewerber, zu arbeiten, das stimmt aber mit der Praxis längst nicht überein. Neben den langen Verfahrensdauern ist es die Sprache, denn nur in sechs Bundesländern sind überhaupt Asylbewerber für Sprachkurse zugelassen, und ein Hauptgrund ist auch, dass wir gar nicht rauskriegen, gar nicht wissen, was bringen die Menschen für Qualifikationen, für Erfahrungen, für Fähigkeiten mit, denn das wird am Anfang gar nicht gefragt, sondern erst wenn die Verfahren entschieden werden, dann setzt erst der Prozess ein, der Versuch, Asylbewerber in Arbeit zu vermitteln. Und das ist natürlich sehr, sehr spät. Wissen, was die mitbringen, verfällt natürlich auch in der Zeit, und natürlich auch die Motivation.
    An der Qualifizierung der Entscheider arbeiten
    Zurheide: Daraus lernen wir, während der Verfahren muss mehr passieren. Was müsste denn in den Verfahren selbst passieren? Wir hören ja von den entsprechenden Bundesämtern oder vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, man kümmert sich jetzt besonders um Asylanträge von Menschen aus jenen Ländern, bei denen man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie kein Asyl bekommen werden. Ist das eigentlich die richtige Strategie aus Ihrer Sicht? Sie haben das wissenschaftlich erhoben.
    Walther: Ja, also diejenigen aus Syrien, die werden jetzt schnell behandelt, und meistens bekommen die auch einen positiven Bescheid, umgekehrt die sicheren, sogenannten sicheren Herkunftsländer jetzt, die Menschen, die beispielsweise aus Bosnien zu uns kommen, die bekommen meistens einen negativen Bescheid. Das Problem ist, dass dann die anderen, die nicht in dieser Prioritätenliste stehen, oft noch länger warten. Ich kann das gut nachvollziehen, das ist sicherlich richtig, aber es löst noch nicht insgesamt das Problem der langen Wartezeiten. Bisher waren es viel zu wenig Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, hier wurde zu spät vom Innenministerium reagiert. Jetzt hatte die Koalition beschlossen, dass 2.000 Menschen bis nächstes Jahr zusätzlich im Bundesamt eingestellt werden, das ist sicher richtig, muss jetzt aber auch schnell umgesetzt werden. Und ein weiterer Punkt ist die Qualität der Verfahren, also nicht wenige, nämlich 13 Prozent, landen noch mal vor Gericht und werden korrigiert, sodass die Entscheidungen dann noch mal länger dauern durch diese Schleife zum Gericht. Da muss mit, ja, Qualifizierung auch der Entscheider gearbeitet werden.
    Mehr Pragmatik statt Prinzipienreiterei
    Zurheide: Lassen Sie uns, und das haben Sie ja, glaube ich, in Ihrer Studie auch getan, noch mal in andere europäische Länder schauen, die deutlich andere Ergebnisse haben, auch bessere, weil sie es wesentlich schneller hinkriegen - die Niederlande, glaube ich, zum Beispiel. Was könnten, was sollten wir da lernen?
    Walther: Ja, also wir sind schon Schlusslicht, das muss man sagen. Überall in Europa geht's schneller, selbst in Schweden und Dänemark, die ja pro Kopf viel mehr Asylbewerber haben. Wir haben uns das in Schweden mal angeschaut, das ist ganz interessant. Die sagen, jeder, der kommt und einen Arbeitsvertrag hier vorweisen kann oder die Wahrscheinlichkeit hat, Arbeit zu bekommen und das nachweisen kann, der darf auch bleiben. Das ist sicher nicht eins zu eins zu übertragen auf uns, aber es zeigt, dass wir vielleicht einfach auch mehr flexibel sein sollten, dass wir da pragmatischer umgehen sollen, Pragmatik statt Prinzipienreiterei. Wir wissen, dass Deutschland sehr viel Fachkräfte braucht die nächsten Jahre, auch aus Drittstaaten und nicht nur aus Europa, und gleichzeitig schicken wir Leute nach Hause, ohne zu wissen, was die können, was die mitbringen. Also da sich etwas Intelligenteres einfallen zu lassen, dass man natürlich die, die Asyl brauchen, die verfolgt sind, vor Krieg fliehen auf jeden Fall so oder so hier aufnimmt, aber bei den anderen erst mal auch checkt, was bringen die mit, was könnten die, haben die eine Arbeitsperspektive oder nicht, das wäre schon ein wichtiger Punkt.
    Zurheide: Das war Claudia Walther, die Sprecherin, die Mitarbeiterin der Bertelsmann Stiftung. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für das Gespräch und für die Einsichten, die Sie uns vermittelt haben, danke schön!
    Walther: Danke auch, Herr Zurheide, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.