Dirk-Oliver Heckmann: Es ist bereits der neunte Streik, zu dem GDL-Chef Weselsky gestern aufgerufen hat. Ausgerechnet über Pfingsten werden die Räder bei der Bahn stillstehen und keiner weiß, wann der Ausstand wieder beendet wird, denn das hat Weselsky offen gelassen. Aus der Politik werden deshalb die Rufe nach einer Zwangsschlichtung lauter, während in Frankfurt beide Seiten wieder zu Gesprächen zusammengekommen sind. Mit dabei erstmals eine Art Vermittler.
Mitgehört hat Wolfgang Däubler, Professor am Lehrstuhl für deutsches und europäisches Arbeitsrecht an der Universität Bremen. Schönen guten Tag, Herr Däubler.
Mitgehört hat Wolfgang Däubler, Professor am Lehrstuhl für deutsches und europäisches Arbeitsrecht an der Universität Bremen. Schönen guten Tag, Herr Däubler.
Wolfgang Däubler: Guten Tag, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Däubler, Streiks müssen ja verhältnismäßig sein. Ansonsten können Arbeitsgerichte einen Ausstand untersagen. Jetzt ruft GDL-Chef Weselsky zu einem Streik auf, ohne ein Ende des Ausstands bekannt zu geben. Verstößt er damit gegen das Kriterium der Verhältnismäßigkeit?
Däubler: Wenn er gesagt hätte, der Streik ist unbefristet, ohne jeden Endtermin, dann könnte man ernsthaft darüber reden, ob das unverhältnismäßig wäre. Aber er hat ja gesagt, es wird ein befristeter Streik, der ist länger als die bisherigen, aber er bleibt ein befristeter Streik und wir kündigen 24 Stunden vorher an, wann der Streik wieder beendet wird. Das ist immer noch ein befristeter Streik und das wird man nicht als unverhältnismäßig ansehen können. Zumal Sie ja noch berücksichtigen müssen: Es gibt immer den Notfahrplan. Ein Drittel der Züge fährt ja. Es ist ja nicht so, dass der gesamte Zugverkehr lahmgelegt wäre.
Heckmann: Aber wenn ich als Gewerkschaftschef einen unbefristeten Streik einläuten will, dann muss ich es im Prinzip so machen wie er, einfach kein Ende verkünden und praktisch läuft es auf das gleiche hinaus?
"Zwangsschlichter setzt verbindlich fest, was zwischen Tarifparteien gilt"
Däubler: Man riskiert dann, wenn so was gesagt wird und man streikt, noch nach 14 Tagen, dass man einem nicht mehr glaubt, dass das wirklich ein befristeter Streik ist. Das riskiert man, das ist klar, und insofern bin ich überzeugt, dass nach Pfingsten der Streik, wenn es denn wirklich zu ihm kommt, auch relativ schnell wieder abgebrochen sein wird.
Heckmann: Mal schauen, wie sich das weiter entwickelt. - Jetzt gibt es ja aus den Reihen der Politiker die Forderung, dass in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge eine Zwangsschlichtung eingeführt werden soll. Wir haben es gerade im Bericht gehört. Zum Beispiel in Bereichen wie Krankenhäusern, bei Piloten, jetzt aber auch bei der Bahn. Diese Einrichtung scheint es ja in anderen Ländern zu geben, so was Ähnliches jedenfalls. Wäre eine Zwangsschlichtung in Deutschland eigentlich rechtlich überhaupt möglich?
Däubler: Da muss man zunächst mal bei der Terminologie sehr vorsichtig sein. Zwangsschlichtung bedeutet, dass der Schlichter letztlich verbindlich festsetzt, was zwischen den Tarifparteien gilt. In der Weimarer Zeit hatten wir eine Zwangsschlichtung und da gab es Schlichtungsausschüsse. Da hatte jede Seite ihre zwei oder drei Vertreter und dann hatte man einen Vorsitzenden oder drei Vorsitzende und die haben dann gegebenenfalls mit Mehrheit beschlossen, was gelten soll, und damit waren sämtliche Tarifverhandlungen gegenstandslos. So etwas zu machen, wäre eindeutig verfassungswidrig. Das geht nicht nach dem Grundgesetz.
Was vermutlich gemeint ist, ist eine obligatorische Schlichtung, die aber freiwillig ist.
Was vermutlich gemeint ist, ist eine obligatorische Schlichtung, die aber freiwillig ist.
Heckmann: So war es zu verstehen, dass sich beide Parteien zusammensetzen sollen.
Däubler: Ja, wo man das Ergebnis nicht annehmen muss. Das haben wir eh schon in den allermeisten Branchen. Wir haben Tarifverträge, die ein Schlichtungsverfahren vorsehen, etwa im öffentlichen Dienst, etwa in der Metallindustrie, etwa in der chemischen Industrie. Davon wird auch Gebrauch gemacht. Jetzt einen gesetzlichen Zwang einzuführen wegen einer Erfahrung, die manche als negativ bewerten, das scheint mir nicht angemessen zu sein. Und es sind ja auch beide Seiten, dem Schlichtungsgedanken näherzutreten, sowohl die Bahn als auch die GDL. Die GDL hat ja ein Schlichtungsabkommen vorgelegt und hat sich nur darüber beschwert, dass die Bahn darauf in den Verhandlungen gar nicht eingegangen ist. Insofern finde ich es ausgesprochen gut, dass Herr Deppler jetzt bei den Verhandlungen dabei ist, denn der ist ein sehr objektiver Mensch und sehr vertrauenswürdig und er kann dann kontrollieren, an wem es eigentlich liegt, wenn bestimmte Dinge nicht diskutiert werden. Er kann gewissermaßen die Ernsthaftigkeit der Verhandlungen überprüfen und darin sehe ich eigentlich auch die Hauptfunktion eines Dritten, der dazukommt, ohne auf einer der beiden Seiten zu stehen.
Heckmann: Jetzt gibt es ja eine weitere Forderung, Herr Däubler, und zwar, dass die Gewerkschaften bestimmte Fristen einhalten sollen. Eine Vier-Tage-Frist steht da in Rede, bevor sie dann zu einem Streik aufrufen. Ist das eine sinnvolle Forderung?
"Das ist eine sehr eindeutige Einschränkung des Streikrechts"
Däubler: Ich würde sagen, das ist eine Einschränkung des Streikrechts, eine sehr eindeutige Einschränkung des Streikrechts, und das generell zu sagen, ist nicht vereinbar mit dem Freiheitsrecht des Artikel neun Absatz drei Grundgesetz. Man muss als Gewerkschaft selbst bestimmen können, wann man einen Streik ausruft. Das ist auch eine Frage der Verhandlungstaktik, die man normalerweise durchführt. Ich halte nichts davon, in dieser Weise Tarifverhandlungen zu regeln. Einer der großen Vorzüge unserer Rechtsordnung ist es, dass wir zwar wenig Streiks haben, dass man auch nur für tarifliche Ziele streiken kann, dass aber die Tarifverhandlungen als solche nicht auch noch reglementiert sind, sondern die sind relativ frei. Da entscheiden ausschließlich die Beteiligten darüber, nach welchen Regeln sie vorgehen können.
Heckmann: Und dass es den Bereich Verkehr in dem Fall jetzt betrifft, der ja neuralgisch ist und unglaublich wichtig ist für den Industriestandort Deutschland, das macht für Sie keinen Unterschied?
Däubler: Dass bei einem Streik auch Schäden entstehen können, ist klar. Aber ohne die Schäden hätte der Streik auch keinerlei Druckwirkung. Es kann natürlich mal Fälle geben, wenn Ärzte beispielsweise streiken würden und es würden dadurch Patienten gesundheitliche Schäden erleiden, dann gibt es das Mittel, den Streik zu verbieten per einstweiliger Verfügung. Ich würde da die richtige Methode sehen, während wenn Sie den Leuten aufoktroyieren, ihr müsst euch jetzt mal 14 Tage lang in einer Schlichtung unterhalten, und die wollen nicht, dann werden die sich natürlich 14 Tage zusammensetzen. Aber nach den 14 Tagen ist man auch nicht weiter als vorher.
Heckmann: Herr Däubler, am Freitag soll der Bundestag das sogenannte Tarifeinheitsgesetz verabschieden. Das soll ab 1. 7. Regeln, dass nur noch die Tarifabschlüsse der jeweilig größten Gewerkschaft gelten soll. Dagegen gibt es allerdings auch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Denken Sie, dass ein solches Gesetz in Karlsruhe durchgehen würde?
Däubler: Kann ich mir schwer vorstellen, weil es den Gewerkschaften, die im einzelnen Betrieb in der Minderheit bleiben, das Recht, über Tarifverträge zu verhandeln, und das Streikrecht nimmt, und das ist kein verfassungskonformer Zustand. Das kann ich mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht so was billigt. Es kommt noch dazu: Es reicht, dass die Mehrheitsgewerkschaft über eine Frage, zum Beispiel die Lohnhöhe, einen Tarifvertrag abschließt, und dann sind die ganzen anderen Tarifverträge zu völlig anderen Gegenständen, die die Minderheitsgewerkschaft abgeschlossen hat, gegenstandslos. Das heißt, sie können nicht mehr angewandt werden. Wenn die Minderheitsgewerkschaft einen Tarifvertrag hatte zum Beispiel zur betrieblichen Altersversorgung, dann ist der auch plötzlich weg, obwohl kein Ersatz dafür da ist, sondern man hat nur einen Tarifvertrag über Lohnfragen. Das ist eine offensichtlich unverhältnismäßige Form des Eingriffs in das Grundrecht aus Artikel neu Absatz drei.
Heckmann: Wobei die Bundesregierung zurückweist den Vorwurf, dass es sich dabei um einen direkten Eingriff in das Streikrecht beispielsweise handelt.
"GDL muss für all ihre Mitglieder Tarifverträge schließen können"
Däubler: Na ja. Die letzte Stellungnahme war da doch ein bisschen nuancierter. Frau Kramme hat eigentlich relativ eindeutig erklärt, dass doch damit zu rechnen sei, dass Gerichte Streiks und Tarifverträge, die dann gar keine Anwendung finden, für rechtswidrig erklären würden. Und natürlich kann die Bundesregierung, wenn sie so ein Gesetz einbringt, nicht selber sagen, dass sie verfassungsrechtliche Bedenken hat. Das wäre nicht rollenkonform.
Heckmann: Jetzt gibt es ja den Vorwurf von beiden Seiten, Bahn auf der einen Seite und GDL auf der anderen Seite, dass die jeweils andere Seite den Konflikt auf die Spitze treibt, eben weil dieses Tarifeinheitsgesetz am Freitag verabschiedet werden soll und das die Möglichkeiten beider Seiten möglicherweise einschränkt. Muss man sagen, dass die Politik mit diesem Gesetz dafür gesorgt hat, dass der Konflikt so auf die Spitze getrieben wurde?
Däubler: Ja. Ich bin der Auffassung, das hat Öl ins Feuer gegossen, weil in der Tat für die GDL im Prinzip nur dann eine Chance besteht, auch in Zukunft noch verhandeln zu können, wenn von der Bahn klar anerkannt wird, für wen sie sprechen kann. Das schließt im Übrigen überhaupt nicht aus, dass die EVG auch Tarifverträge schließt, für die Zugbegleiter oder die Rangierlokführer. Gar kein Problem! Aber die GDL muss für all ihre Mitglieder Tarifverträge schließen können und das muss festgeschrieben sein. Wenn das festgeschrieben ist, dann gilt das auch, trotz Tarifeinheitsgesetz, denn man kann eine sogenannte Tarifpluralität, also die Geltung mehrerer Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe, durchaus vereinbaren durch Tarifvertrag, und so was wäre natürlich auch eine vernünftige Lösung im Bahnkonflikt.
Heckmann: Professor Wolfgang Däubler, Arbeitsrechtler an der Universität Bremen. Herr Däubler, danke Ihnen für das Interview.
Däubler: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.