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Arbeitsklima bei Amazon
"Das fördert nicht die Produktivität"

Schikanieren, überwachen, anschwärzen: Amazon soll seine Mitarbeiter laut "New York Times" massiv unter Druck setzen. Solch eine Art von Unternehmenskultur sei auf Misstrauen aufgebaut, sagte die Psychologin Sonja Sackmann im Deutschlandfunk. "Je mehr Misstrauen, umso mehr Kontrolle braucht es."

Sonja Sackmann im Gespräch mit Ursula Mense |
    Vögel fliegen am 22.09.2014 über dem Handelszentrum des Versandhändler Amazon in Graben (Bayern).
    Vögel fliegen über den Versandhändler Amazon (dpa / picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand)
    Ursula Mense: Amazon, der weltgrößte Online-Versandhändler, macht mal wieder Negativschlagzeilen. Die "New York Times" berichtet, dass Mitarbeiter schikaniert werden, ständig überwacht, rund um die Uhr mit Arbeit überhäuft werden und sich gegenseitig anschwärzen und das auch tun sollen. Es betrifft offenbar auch nicht nur die Arbeiter in den Packzentren, sondern auch Angestellte in den Verwaltungen, von denen erwartet werde, noch nach Mitternacht E-Mails zu beantworten. Die "Süddeutsche Zeitung" legt heute nach und schildert ähnliche Erfahrungen einer früheren Amazon-Mitarbeiterin.
    Offenbar handelt es sich nicht um Einzelphänomene, sondern um eine Firmenkultur, wie sie Firmengründer Jeff Bezos ausdrücklich verwirklicht haben will. Ich habe darüber mit Professorin Sonja Sackmann von der Universität der Bundeswehr in München und Gastprofessorin der Universität Sankt Gallen gesprochen und sie gefragt, mit was für einer Unternehmenskultur wir es hier überhaupt zu tun haben.
    Sonja Sackmann: Aus meiner Sicht ist das eine Unternehmenskultur, die ich jetzt persönlich nicht befürworten würde. Ganz klar fördert sie nicht die Gesundheit und aus meiner Sicht auch nicht die Produktivität der Mitarbeiter. Die Frage ist, lasse ich das mit mir machen. Ich bin jetzt nicht dafür, dass man unbedingt mehr Gesetzgebung braucht, sondern die Frage ist ja für jeden einzelnen, lasse ich das mit mir machen. Und wenn erwartet wird, dass ich zum Beispiel andere anschwärze, gehören ja immer zwei dazu. So ein Klima ist natürlich ansteckend, aber aus meiner Sicht durchaus nicht sinnvoll.
    Mense: Aber es scheint ja so zu sein, als wenn dahinter wirklich eine bestimmte Auffassung von Unternehmenskultur steckt und das auch bewusst so gemacht wird. Welche ist das und was für einen Sinn könnte sie denn haben, wenn sie noch nicht mal die Produktivität fördert, wie Sie meinen?
    "Effektiv kann so etwas in keinster Weise sein"
    Sackmann: Die Art der Unternehmenskultur ist auf Misstrauen aufgebaut, und je mehr Misstrauen ich habe, umso mehr Kontrolle brauche ich natürlich, und dadurch geht natürlich auch Effektivität und Effizienz verloren. Ich habe in meiner eigenen Forschung schon von Mitarbeitern gehört, wenn zum Beispiel ein Verkauf ansteht oder ein Merger oder auch Misstrauen in ihrem Unternehmen herrscht, dass bis zu 60, 80 Prozent der Arbeitszeit letztendlich mit Angstthemen behaftet sind, und da sind die Leute auch nicht bei der Sache. Effektiv kann so was in keinster Weise sein.
    Mense: Nun gibt es auch Äußerungen von Jeff Bezos, der sagt, zu viel Harmonie schadet dem wirtschaftlichen Erfolg. Ist da denn auch was dran, oder gar nicht?
    Sackmann: Zu viel ja, würde ich durchaus unterschreiben. Zu wenig aber auch. Die Frage ist, kann ich da ein gutes Mittelmaß finden, wenn enorm viel Harmonie besteht - und das habe ich durchaus auch häufig in deutschen Unternehmen gesehen -, wo man dann sich nicht mehr wagt, auch mal etwas Kritisches zu sagen. Und als Mitarbeiter kann ich mich auch nur weiterentwickeln, wenn ich quasi weiß, wo es noch Entwicklungsbedarf gibt. Da zeigen auch eine Reihe von Untersuchungen aus dem Gruppenbereich: Je länger eine Gruppe zusammenarbeitet, die sich gut versteht, nimmt der Sozialkontakt Überhand und man vergisst eigentlich dabei die Arbeit. Aber umgekehrt ist es natürlich auch schlecht, wenn man sich überhaupt nicht versteht und sich wie ein Rädchen im Getriebe fühlt, keine Wertschätzung erfährt, dass man sich dann nicht wohlfühlt. Und das Riesenproblem ist ja, dass es sehr unterschiedliche Formen der Arbeit gibt. Es gibt sehr viele, die im Produktionsbereich arbeiten, die durchaus einen hohen Monotoniegrad haben, und da stellt sich dann die Frage, wie kann ich auch bei Arbeiten, die gekennzeichnet sind von Monotonie, wie kann ich auch da den Mitarbeitern durchaus ein Gefühl geben, dass sie eine Wertschätzung erfahren und dass sie gute Arbeit machen.
    Mense: Können Sie denn sagen, dass diese extrem mangelnde Wertschätzung, wie man sie offenbar bei Amazon in Deutschland erfährt, dass die doch ein Einzelphänomen ist oder eben amerikanisch und so was bei uns eigentlich nicht vorkommt?
    "Kein amerikanisches Phänomen"
    Sackmann: Ich denke, da gibt es durchaus eine Reihe von Unternehmen, die sich durchaus durch mangelnde Wertschätzung charakterisieren lassen. Amerikanisches Phänomen würde ich jetzt so nicht sagen, weil meine eigene Erfahrung - ich habe acht Jahre in den USA gelebt - ist eher diese, dass die Grundeinstellung in Amerika eher pro Mensch ist, dass man wesentlich freundlicher ist. Das hat ja jeder schon erlebt, der mal im Supermarkt einkaufen geht und dann freundlichst angesprochen wird, wenn ich bezahle an der Kasse, was man bei uns so in keinster Weise erlebt. Von daher ist es kein amerikanisches Phänomen.
    Mense: Na ja. Nun kennen wir ja auch die Schilderungen aus dem Silicon Valley: Junge Internetfirmen, die sich viel einfallen lassen, um ihren Mitarbeitern den Aufenthalt auf dem Firmen-Campus, sage ich mal, besonders angenehm zu machen, Sport, gutes Essen, Unterhaltung, was ja auch dem Gesunderhalten der Arbeitskraft dient. Von ihnen wird aber gleichzeitig auch sehr viel verlangt, harte Arbeit bis hinein in die Freizeit. Denken Sie, dass sich vielleicht grundsätzlich die Arbeitswelt dahingehend verändert und auch die Unternehmenskultur?
    Sackmann: Die Arbeitswelt ändert sich grundsätzlich. Auch die Gesellschaft ändert sich ja grundsätzlich. Wir sind der gläserne Bürger und wir sind gläserne Mitarbeiter. Wenn ich will, kann ich enorm viele Daten auswerten. Die Frage ist, was mache ich damit. Wir können uns dagegen fast nicht mehr wehren. Die Frage ist nur, wie gehe ich mit diesen Daten um. Generell, muss ich sagen, ist Amerika schon sehr anders. Wir in Deutschland compartmentalisieren. Wir trennen Arbeitsleben von Privatleben. In den USA ist es ganz, ganz anders. Viele der Sozialkontakte hat man an der Arbeit und generell trennt ein Arbeiter oder ein Mitarbeiter in den USA jetzt weniger zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Es kann gut seiner, einer arbeitet bis nach Mitternacht, aber schläft dann dafür vielleicht morgens bis um elf. Das ist durchaus möglich. Das finden Sie auch bei uns. Ich merke selber bei meinen Mitarbeitern: Es gibt Ältere, die mögen nicht, dass man ihnen nach Feierabend noch eine Mail schickt, und es gibt Mitarbeiter, denen macht das in keinster Weise was aus. Ich denke, die Frage ist generell, wie geht der Mitarbeiter und wie geht die Führungskraft damit um.
    Mense: Amazon und sein Umgang mit Beschäftigten - über Unternehmenskultur habe ich gesprochen mit Professorin Sonja Sackmann von der Universität der Bundeswehr in München.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.