Promberger: " Wir sehen, dass Erwerbslosigkeit einen Rattenschwanz von anderen Zugangsbeschränkungen mit sich bringt. Ganz klar natürlich auf dem Feld der Konsums, auch auf dem Feld, wie man als Individuum seinen Sinn im Leben definiert, wie man der Frage gegenübersteht, was wichtig ist im Leben, wie der Alltag strukturiert ist, die sozialen Beziehungen. "
Noch immer sind in der Bundesrepublik über 3,5 Millionen Menschen arbeitslos. Deren "Teilhabe" am gesellschaftlichen Leben - wie Soziologen es nennen - ist massiv eingeschränkt. In der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg fand deshalb vergangene Woche eine Tagung statt, die "Arbeitslosigkeit" und die damit einhergehende "soziale Ungleichheit" zum Thema hatte. Drei Gruppen sind nach wie vor besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Aus unterschiedlichen Gründen, wie Dr. Markus Promberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg und Organisator der Tagung erläuterte:
" Gerade Ältere mit einem gewerblich-industriellen Hintergrund haben das Problem, dass ihr spezifischer Typus von Arbeitsvermögen nicht mehr unbedingt gebraucht wird, weil die Industriearbeitsplätze ganz stark abgenommen haben. Anders ist es bei den Jüngeren, hier führen oft Bildungsdefizite dazu, dass diesen jungen Menschen oft der Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht gelingt. Die Erwerbsbiografien von Migranten sind zum großen Teil Arbeiterbiografien, aber bei der Migration verbinden sich Problemlagen aus Arbeiterbiografien und Bildungsdefiziten. "
Besonders die Problemlage älterer Arbeitsloser - Stichwort ‚verlängertes Arbeitslosengeld' -wird zur Zeit öffentlich diskutiert. Passend dazu hieß ein Schwerpunkt der Tagung auch "Ältere, Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtsstaat". Gelingt es dem Staat, der nicht länger "Fürsorge", sondern "Aktivierung" zum Motto seiner Sozialpolitik gemacht hat, seinen Teil zu diesem Programm beizutragen? Nur bedingt bislang, war der Tenor der Vorträge. Vom Bedürftigen wird Mitarbeit "gefordert" - von den Fallmanagern jedoch oft wenig "gefördert" - obwohl beides zum Programm gehört. Dr. Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen:
" Da ist die Frage, was die Perspektive der Arbeitsvermittler ist. Die haben mit Betrieben zu tun und die Betriebe stellen Anforderungen an Personal. Und das ist in den Köpfen der Arbeitsvermittler drin und die versuchen dann immer, die besten auszuwählen und die sind bei den Älteren nicht dabei. "
Übrigens: allen vordergründigen Wertschätzungen der "best agers" zum Trotz - in unserer Alltagskultur ebenso wie auf dem Arbeitsmarkt gibt es nach wie vor "stabile Defizitbilder" über das Alter. Mit 40 lässt die Leistungskraft nach, 55jährige sind "Ältere" und 60jährige zählen zu den "Opis". Verbreitete Klischees, darauf wies Dr. Kai Brauer von der FU Berlin hin:
" Das wirkt sich auf dem Arbeitsmarkt so aus, dass Arbeitgeber ungern Ältere einstellen. Und die werden niemals zugeben, wenn man sie fragt, dass sie altersdiskrimierend auswählen und sie sind auch bemüht, was zu tun. Die Frage ist, wie stark sie das wirklich machen oder wer zur Weiterbildung geschickt wird oder wer befördert wird. "
Wer in den 90er Jahren ab Mitte 50 aus der Arbeit entlassen wurde, sah sich als Arbeitsmarktgewinner. Komfortable Vorruhestandsregelungen versüßten ihm sein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Wem heute mit Mitte 50 die Entlassung droht, ist ein Verlierer. Ihn schreckt der Absturz ins Prekariat. Der unfreiwillige frühe Ausstieg aus dem Arbeitsleben wird nun als persönlicher Makel empfunden.
Brauer: " Also was noch bis vor kurzem, also der Trend zum vorzeitigen Ruhestand, als positiv gesehen wurde. Die Frage ist nun, ob sie das überstehen, bis zur Rente in diesem Zustand zu leben? Für die ist das eine Last, weil sie sehen, sie kommen da nicht mehr rein und sind auf einmal in einem prekären Vorruhestand, der auf einmal mit 50 beginnt, weil jeder sagt, wir stellen dich nicht mehr ein. "
Wie drastisch sich die Zeiten geändert haben, rechnete Tatjana Mika vom Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung vor. Ein Arbeitnehmer, Jahrgang 1939, Jahreseinkommen 30.000 Euro , der mit 55 Jahren arbeitslos wurde, konnte mit 60 in die Frühverrentung gehen und hatte 887 Euro Rente zu erwarten. Ein Arbeitnehmer, Jahrgang 1954 in der gleichen Situation, bekommt nach langen Jahren mit Hartz IV 677 Euro Rente - aber erst mit 63 Jahren. Der Ruhestand verschiebt sich nach hinten, die zu überbrückende Zeit wird länger, das Geld knapper. "Prekarisierung vor dem Ruhestand" hieß deshalb auch der Vortrag. Altersarmut wird in Zukunft wieder ein Thema sein, meint auch Dr. Andreas Hirseland vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg:
" Ich denke, im Zusammenhang mit dem aktivierenden Sozialstaat wird es natürlich schwierig sein, einen wirklich verdienten Ruhestand zu haben. Sondern ich denke, da kommt auf die Gesellschaft ein Problem der Altersarmut zu. "
Natürlich, es gibt Zeichen der Hoffnung, auf die auch in Nürnberg hingewiesen wurde. Die Zahl der beschäftigten Älteren hat in den letzten Jahren zugenommen. Viel Geld wird zur Förderung der Generation 50+ in den Arbeitsmarkt gepumpt. Der demografische Wandel macht Ältere für den Arbeitsmarkt wieder attraktiv. Und - unumgänglich der Verweis auf die skandinavischen Musterländer - Schweden hat es doch auch geschafft! Dort beträgt die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer mittlerweile 70% - aufgrund gezielter politischer Maßnahmen. Doch freilich auch und vielleicht insbesondere - aufgrund einer guten Konjunktur.
Trotzdem: die Gerechtigkeitsfrage stellt sich unweigerlich. Wenn Menschen, die immer gearbeitet haben, statt einem verdienten Ruhestand ein "prekärer Unruhestand" droht. Da versagen die Klischees von "selber schuld" oder "will ja gar nicht arbeiten". Da entwickelt man Mitgefühl und manchen mag es gruseln: was, wenn mir das passieren würde? Frage also an den Leiter der Tagung, ob man das Arbeitslosengeld für Ältere wieder verlängern soll? Dr. Markus Promberger:
" Das ist eine Riesengerechtigkeitslücke. Jetzt müssen wir auf zwei Dinge gucken. Erstens wir müssen gucken, dass wir damit, wenn wir diese Lücke schließen, keine neuen Gerechtigkeitslücken öffnen. Denn die Verteilungsmasse, das wird nicht von Dauer sein, also wir werden nicht alle Alterskohorten gleichermaßen bedienen können. Und auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass wir nicht wieder so Frühverrentungsanreize schaffen für die Firmen, so nach dem Motto: das schlechte Gewissen ist nicht so groß, wenn jemand 24 Monate AG bekommt statt nur 18. Ich würde als Wissenschaftler zu mehr Vorsicht plädieren, ich würde sagen, lasst das System mal so in Ruhe; dass wir wissen, was wirklich funktioniert, auch über den Konjunkturzyklus, dass das System nicht wieder in ein, zwei Jahren an die Wand fährt. "
Noch immer sind in der Bundesrepublik über 3,5 Millionen Menschen arbeitslos. Deren "Teilhabe" am gesellschaftlichen Leben - wie Soziologen es nennen - ist massiv eingeschränkt. In der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg fand deshalb vergangene Woche eine Tagung statt, die "Arbeitslosigkeit" und die damit einhergehende "soziale Ungleichheit" zum Thema hatte. Drei Gruppen sind nach wie vor besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Aus unterschiedlichen Gründen, wie Dr. Markus Promberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg und Organisator der Tagung erläuterte:
" Gerade Ältere mit einem gewerblich-industriellen Hintergrund haben das Problem, dass ihr spezifischer Typus von Arbeitsvermögen nicht mehr unbedingt gebraucht wird, weil die Industriearbeitsplätze ganz stark abgenommen haben. Anders ist es bei den Jüngeren, hier führen oft Bildungsdefizite dazu, dass diesen jungen Menschen oft der Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht gelingt. Die Erwerbsbiografien von Migranten sind zum großen Teil Arbeiterbiografien, aber bei der Migration verbinden sich Problemlagen aus Arbeiterbiografien und Bildungsdefiziten. "
Besonders die Problemlage älterer Arbeitsloser - Stichwort ‚verlängertes Arbeitslosengeld' -wird zur Zeit öffentlich diskutiert. Passend dazu hieß ein Schwerpunkt der Tagung auch "Ältere, Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtsstaat". Gelingt es dem Staat, der nicht länger "Fürsorge", sondern "Aktivierung" zum Motto seiner Sozialpolitik gemacht hat, seinen Teil zu diesem Programm beizutragen? Nur bedingt bislang, war der Tenor der Vorträge. Vom Bedürftigen wird Mitarbeit "gefordert" - von den Fallmanagern jedoch oft wenig "gefördert" - obwohl beides zum Programm gehört. Dr. Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen:
" Da ist die Frage, was die Perspektive der Arbeitsvermittler ist. Die haben mit Betrieben zu tun und die Betriebe stellen Anforderungen an Personal. Und das ist in den Köpfen der Arbeitsvermittler drin und die versuchen dann immer, die besten auszuwählen und die sind bei den Älteren nicht dabei. "
Übrigens: allen vordergründigen Wertschätzungen der "best agers" zum Trotz - in unserer Alltagskultur ebenso wie auf dem Arbeitsmarkt gibt es nach wie vor "stabile Defizitbilder" über das Alter. Mit 40 lässt die Leistungskraft nach, 55jährige sind "Ältere" und 60jährige zählen zu den "Opis". Verbreitete Klischees, darauf wies Dr. Kai Brauer von der FU Berlin hin:
" Das wirkt sich auf dem Arbeitsmarkt so aus, dass Arbeitgeber ungern Ältere einstellen. Und die werden niemals zugeben, wenn man sie fragt, dass sie altersdiskrimierend auswählen und sie sind auch bemüht, was zu tun. Die Frage ist, wie stark sie das wirklich machen oder wer zur Weiterbildung geschickt wird oder wer befördert wird. "
Wer in den 90er Jahren ab Mitte 50 aus der Arbeit entlassen wurde, sah sich als Arbeitsmarktgewinner. Komfortable Vorruhestandsregelungen versüßten ihm sein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Wem heute mit Mitte 50 die Entlassung droht, ist ein Verlierer. Ihn schreckt der Absturz ins Prekariat. Der unfreiwillige frühe Ausstieg aus dem Arbeitsleben wird nun als persönlicher Makel empfunden.
Brauer: " Also was noch bis vor kurzem, also der Trend zum vorzeitigen Ruhestand, als positiv gesehen wurde. Die Frage ist nun, ob sie das überstehen, bis zur Rente in diesem Zustand zu leben? Für die ist das eine Last, weil sie sehen, sie kommen da nicht mehr rein und sind auf einmal in einem prekären Vorruhestand, der auf einmal mit 50 beginnt, weil jeder sagt, wir stellen dich nicht mehr ein. "
Wie drastisch sich die Zeiten geändert haben, rechnete Tatjana Mika vom Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung vor. Ein Arbeitnehmer, Jahrgang 1939, Jahreseinkommen 30.000 Euro , der mit 55 Jahren arbeitslos wurde, konnte mit 60 in die Frühverrentung gehen und hatte 887 Euro Rente zu erwarten. Ein Arbeitnehmer, Jahrgang 1954 in der gleichen Situation, bekommt nach langen Jahren mit Hartz IV 677 Euro Rente - aber erst mit 63 Jahren. Der Ruhestand verschiebt sich nach hinten, die zu überbrückende Zeit wird länger, das Geld knapper. "Prekarisierung vor dem Ruhestand" hieß deshalb auch der Vortrag. Altersarmut wird in Zukunft wieder ein Thema sein, meint auch Dr. Andreas Hirseland vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg:
" Ich denke, im Zusammenhang mit dem aktivierenden Sozialstaat wird es natürlich schwierig sein, einen wirklich verdienten Ruhestand zu haben. Sondern ich denke, da kommt auf die Gesellschaft ein Problem der Altersarmut zu. "
Natürlich, es gibt Zeichen der Hoffnung, auf die auch in Nürnberg hingewiesen wurde. Die Zahl der beschäftigten Älteren hat in den letzten Jahren zugenommen. Viel Geld wird zur Förderung der Generation 50+ in den Arbeitsmarkt gepumpt. Der demografische Wandel macht Ältere für den Arbeitsmarkt wieder attraktiv. Und - unumgänglich der Verweis auf die skandinavischen Musterländer - Schweden hat es doch auch geschafft! Dort beträgt die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer mittlerweile 70% - aufgrund gezielter politischer Maßnahmen. Doch freilich auch und vielleicht insbesondere - aufgrund einer guten Konjunktur.
Trotzdem: die Gerechtigkeitsfrage stellt sich unweigerlich. Wenn Menschen, die immer gearbeitet haben, statt einem verdienten Ruhestand ein "prekärer Unruhestand" droht. Da versagen die Klischees von "selber schuld" oder "will ja gar nicht arbeiten". Da entwickelt man Mitgefühl und manchen mag es gruseln: was, wenn mir das passieren würde? Frage also an den Leiter der Tagung, ob man das Arbeitslosengeld für Ältere wieder verlängern soll? Dr. Markus Promberger:
" Das ist eine Riesengerechtigkeitslücke. Jetzt müssen wir auf zwei Dinge gucken. Erstens wir müssen gucken, dass wir damit, wenn wir diese Lücke schließen, keine neuen Gerechtigkeitslücken öffnen. Denn die Verteilungsmasse, das wird nicht von Dauer sein, also wir werden nicht alle Alterskohorten gleichermaßen bedienen können. Und auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass wir nicht wieder so Frühverrentungsanreize schaffen für die Firmen, so nach dem Motto: das schlechte Gewissen ist nicht so groß, wenn jemand 24 Monate AG bekommt statt nur 18. Ich würde als Wissenschaftler zu mehr Vorsicht plädieren, ich würde sagen, lasst das System mal so in Ruhe; dass wir wissen, was wirklich funktioniert, auch über den Konjunkturzyklus, dass das System nicht wieder in ein, zwei Jahren an die Wand fährt. "