Ein Berliner Hinterhof in Kreuzberg. 30 Personen, überwiegend Frauen, sitzen auf Stühlen in einem Halbkreis. Sie sind zwischen Ende 20 und 60 Jahre alt, kennen sich kaum, haben aber ein gemeinsames Ziel. Sie wollen Geflüchteten helfen, schneller einen Job zu finden. Nicht als Kellner oder Putzkraft, sondern als Buchhalter, Chemiker, Übersetzer oder Ingenieur. In Berufen, die sie selber ausüben, so wie die Flüchtlinge vor ihrer Flucht. Sie sind Mentoren und die Flüchtlinge ihre Mentees. Wie das viermonatige Programm konkret abläuft, erfahren Bernd Iffert und die 29 anderen Teilnehmer an diesem Nachmittag zum ersten Mal. Dass es viel Zeit in Anspruch nehmen wird, stört den 59 Jahre alten Pharmazeuten nicht.
"Ich habe das "Wir" in "Wir schaffen das" anders verstanden als die Meisten. Ich habe nicht verstanden, dass Frau Merkel von der politischen Klasse gesprochen hat, sondern von "wir" als Deutschland. Und ich habe keine Lust da irgendwie zurückzustehen, na jetzt wollen wir doch mal gucken, ob ihr das machen könnt. Sondern ich denke, es ist besser, wenn wir das wirklich auch so verstehen und wir das machen."
Persönliches Kennenlernen
Wichtig für einen reibungslosen Start: gleich gemeinsam Ziele mit dem Mentee vereinbaren: wie oft sie sich treffen, um welche Uhrzeit der Mentor telefonisch am besten zu erreichen ist, wenn sich neue Fragen ergeben, wie weit die Hilfe bei der Jobsuche gehen kann. Aber am Allerwichtigsten: sich erst einmal persönlich kennenlernen. Und das bitte mit Feingefühl, sagt Vinzenz Himmighofen, der das Mentoring-Programm mit seinen beiden Kolleginnen Luisa Seiler und Sima Gatea für Deutschland entwickelt hat.
"Oft ist es keine gute Idee, gleich mit der Frage nach den Beweggründen für die Flucht in ein Gespräch einzusteigen. Auch ist es in der Regel nicht empfehlenswert, sofort sich auf die Berufsschiene zu konzentrieren und zu sagen, so jetzt zeig mir mal deine Zeugnisse und ist das hier überhaupt echt und was war das überhaupt für eine Hochschule, gibt es so ein Fach überhaupt bei euch. Solche Sachen sind häufig nicht ideal."
Geduld und intensive Unterstützung
Alle sind sich einig: Die Integration von Flüchtlingen gelingt am besten über Arbeit. Doch bislang beteiligen sich nur wenige deutsche Unternehmen. Alle 30 DAX-Konzerne sollen zusammen insgesamt nur 58 Flüchtlinge eingestellt haben, wie die FAZ berichtet. In den kleineren Unternehmen sieht das Engagement zwar besser aus. Doch das reicht nicht, angesichts der mehr als 340.000 Flüchtlinge, die derzeit in Deutschland einen Job suchen. Um Flüchtlinge erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, braucht es nicht nur guten Willen, sondern vor allem Geduld und intensive Unterstützung, sagt Vinzenz Himmighofen. Genau diese Qualitäten bediene das Mentoring-Programm.
"Indem sie nämlich mit einem potenziellen Kollegen oder einer potenziellen Kollegin sprechen, erfahren sie viel besser, was sozusagen gute Wege sein können hin zu ihrem Berufsziel. Nicht in Konkurrenz jetzt zu Jobcentern, sondern es geht eigentlich mehr um eine Ergänzung dessen, was staatliche Stellen in dem Bereich anbieten."
Erfolgreicher Weg in die Gesellschaft
Die Idee stammt von der Pariser Organisation Singa, die inzwischen auch Büros in Belgien, Kanada, Deutschland und demnächst auch der Schweiz hat. Seit vier Jahren ermöglichen eine Handvoll Mitarbeiter den Neuankömmlingen ziemlich erfolgreich den Weg in die Gesellschaft über die berufliche Ebene. Indem sie ihnen helfen, ein Unternehmen zu gründen. Das Modell sei auf Deutschland leider nicht übertragbar, sagt Luisa Seiler. Die ausländerrechtlichen Hürden liegen zu hoch. Darum haben sie sich für das berufliche Mentoring-Programm entschieden.
"Und das große Ziel ist am Ende natürlich, dass Unternehmen offener werden dadurch, dass Mitarbeiter in Unternehmen diese positiven Erfahrungen gemacht haben und dass dadurch ein Bedürfnis bzw. eine Bereitschaft entsteht, die Zukunft unserer Gesellschaft gemeinsam zu denken und auch die gemeinsam gestalten zu wollen."
Keine zu hohen Erwartungen wecken
Einen Tag später in Berlin-Mitte. 30 Geflüchtete, überwiegend Männer, zwischen Mitte 20 und Anfang 40, sitzen im Halbkreis im sechsten Stock eines Gebäudes. So wie ihre Mentoren werden auch sie auf das erste gemeinsame Treffen vorbereitet. Einfühlsam erläutert Vinzenz Himmighofen ihnen die Chancen des Projekts. Zeigt ihnen auch die Grenzen auf. Warnt vor zu hohen Erwartungen. Macht ihnen trotzdem immer wieder Mut, damit keiner aufgibt, an sich und seine beruflichen Fähigkeiten zu glauben.
"Es geht wirklich darum, ein paar Schritte nach vorne zu kommen und nach diesem Programm einen Weg vor Augen zu haben. Zu wissen, wie es weitergeht und das Selbstvertrauen dafür zu haben."
Anas hört Vinzenz aufmerksam zu. Vor acht Monaten ist der 28 Jahre alte Syrer in Berlin angekommen. Seine Eltern und die beiden Brüder sind noch immer in Aleppo. Er habe oft große Angst um sie, vor allem dann, wenn er keine Nachrichten von ihnen bekommt. Trotzdem versucht der studierte Chemiker sich auf sein neues Leben in Deutschland zu konzentrieren. Hilft mit einem Ein-Euro-Job in einem Jugendzentrum aus, büffelt jeden Tag Deutsch. Dass er bald einen beruflichen Mentor an seiner Seite hat, macht ihm Mut.
"Ich hoffe, dass er mir helfen kann. Ich möchte gerne viele Sachen machen, zum Beispiel weiter studieren, weiter arbeiten, aber ich kenne noch nicht, was ist die Möglichkeiten, was brauche ich, wie kann ich mit die Firma Kontakte bleiben, mit wem, das ist sehr wichtig. Die ersten Fragen in unserem Kopf, die Antworten sind in diesem Projekt."
In vier Tagen lernt Anas seinen Mentor kennenlernen. Er ist darauf sicher genauso gespannt wie Bernd Iffert.