Gerade in strukturschwachen Regionen sorge der bundesweite Mindestlohn für mehr Schwarzarbeit, sagte Friedrich Schneider, Professor an der Universität Linz, im Deutschlandfunk. Er plädiert dafür, diesen nach Regionen und Gewerbe zu differenzieren.
Andreas Kolbe: Die Putzhilfe zuhause, der Bautrupp nach Feierabend oder Rentner, die sich nebenher etwas dazuverdienen – auch in Zeiten einer robusten Konjunktur und einer niedrigen Arbeitslosigkeit floriert die Schwarzarbeit in Deutschland. Deutlich mehr als zehn Prozent der Wirtschaftsleistung, so eine heute veröffentlichte Studie, entfällt auf die Schattenwirtschaft, vorbei an der Steuer, ohne Sozialabgaben, billig für die Auftraggeber. Und es dürfte mehr werden in den kommenden Jahren, dank der Politik der neuen Großen Koalition in Berlin.
- Das sagt Professor Friedrich Schneider von der Universität Linz in Österreich, einer der Studienautoren. Guten Tag, Herr Schneider.
Friedrich Schneider: Ja, guten Tag nach Köln
Kolbe: Können Sie uns erst einmal einen Überblick geben, wie sehr Schwarzarbeit in Deutschland verbreitet ist?
Schneider: Ja. Schwarzarbeit, die ist in Deutschland sehr stark verbreitet. Das geschätzte Volumen für dieses Jahr erreicht 338 Milliarden Euro, ein nicht gerade kleiner Betrag. Oder zwölf Prozent des Brutto-Inlandsproduktes. Und schwarz gearbeitet wird hauptsächlich auf dem Bau, in vielen Dienstleistungsbetrieben, bei der Nachhilfestunde, beim Gärtner, beim Fliesenleger. In vielen anderen Bereichen, wo die offiziellen Arbeitskosten so hoch sind, dass es sich dreimal mehr lohnt, das schwarz zu machen oder schwarz machen zu lassen.
Kolbe: Schauen wir uns Ihre Prognose für dieses Jahr an. Da erwarten Sie, dass die Schwarzarbeit erst einmal weiter zurückgehen wird. Woran machen Sie das fest?
Schneider: Na ja, an der guten Wirtschaftslage. Ich meine, wir erwarten für dieses Jahr ein BIP-Wachstum von 1,7 Prozent. Die Arbeitslosigkeit bleibt weiterhin tief. Und wenn man einen guten Job in der offiziellen Wirtschaft hat, wenn man da Überstunden machen kann, dann ist der Anreiz, schwarz zu arbeiten, geringer. Und dadurch, dass das Wirtschaftsumfeld noch sehr günstig ist, sinkt die Schwarzarbeit aus diesen Faktoren um knapp zwei Milliarden.
Kolbe: Nun ist der Mindestlohn in Deutschland beschlossene Sache: 8,50 Euro. Schon im Vorfeld gab es ja auch viele Warnungen, dass alles, was darunter liegt, in die Schattenwirtschaft abgleiten wird. Teilen Sie diese Sorge?
Schneider: Ich bin überhaupt nicht gegen einen Mindestlohn. Aber ein einheitlicher Mindestlohn für Gesamtdeutschland, für alle Branchen, führt dazu, dass in Ostdeutschland und dass in bestimmten Branchen natürlich mehr schwarz gearbeitet wird, weil die 8,50 Euro da über dem Schwarzarbeitslohn liegen. Und dann ist der Anreiz sehr stark, das schwarz zu machen. Insofern hat der Mindestlohn dann durchaus den Effekt, dass ein Teil wieder schwarz gemacht wird. Und das wird die Schwarzarbeit um knapp 800 Millionen Euro erhöhen.
Kolbe: In vielen Branchen, in denen die Schwarzarbeit blüht – Sie hatten die Bauwirtschaft beispielsweise genannt -, gibt es ja schon branchenspezifische Mindestlöhne. Warum erwarten Sie dann trotzdem diesen Schub?
Schneider: Na ja, weil ja jetzt ein einheitlicher kommt. Und einheitlich heißt, der gilt auch in Mecklenburg-Vorpommern genauso wie in Aachen. Und insofern erhöhen sich damit in strukturschwachen Gegenden die Arbeitskosten, weil man natürlich vorher durchaus darunter bleiben konnte. Jetzt, wenn ich aber per Gesetz einheitlich das für alle Branchen, für jede Region so regele, steigen die Arbeitskosten und das ist gut für denjenigen, der ihn bekommt. Der gibt das auch aus, hat eine positive Entwicklung auf die Wirtschaft. Aber das Kalkül, wieder mehr schwarz zu machen, steigt und der Anreiz steigt. Und daher führt ein Mindestlohn zu einem Ansteigen der Schattenwirtschaft.
Kolbe: Jetzt ist ja die Ausgestaltung des Mindestlohns bei uns noch Verhandlungssache. Ihre Empfehlung jetzt mit Blick auf die Schattenwirtschaft: ganz sein lassen oder Mindestlohn mit Ausnahmen. Oder wie würden Sie dem entgegenwirken?
Schneider: Nein. Ich würde ihn einfach regional differenziert machen. 8,50 Euro sind in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, in anderen strukturschwachen Gegenden ein viel zu hoher Wert, während hingegen in Konstanz und in Südbayern oder in Bayern und Baden-Württemberg 8,50 Euro für die meisten Branchen der Mindestlohn da gar keinen Effekt hat. Es sollte nach Regionen und vielleicht auch nach Gewerbe differenziert sein.
Kolbe: Eine Gruppe, die in der Schwarzarbeit auch recht häufig vorkommt, sind Rentner, die sich etwas dazuverdienen. Jetzt wird die Große Koalition langjährig Versicherten die Rente mit 63 ermöglichen. Welche Auswirkungen wird das haben?
Schneider: Na ja, das ist für diejenigen schön. Sie können mit 63 in Rente gehen. Man muss aber sehen: Die aktiven Menschen sitzen dann nicht zuhause nur vorm Fernseher oder drehen Däumchen. Der Anreiz, da kann ich ja noch ein bisschen was dazuverdienen, legal, und wenn das nicht geht, dann mache ich es eben schwarz. Der Anreiz wird steigen, sodass sicherlich auch in diesem Bereich man mit einer Zunahme der Schattenwirtschaft rechnen kann. Das ist uns nur nicht gelungen, zu quantifizieren, weil es für diese Art von Berechnungen keine Vorbilder gibt. Wir müssen mal ein halbes, dreiviertel Jahr oder ein Jahr warten, dann können wir auch das abschätzen.
Kolbe: Die Schwarzarbeit in Deutschland wird in diesem Jahr zwar leicht zurückgehen, aber die Große Koalition tut viel dafür, sie in den nächsten Jahren zu befeuern, sagt Friedrich Schneider von der Universität Linz. Ihnen vielen Dank für das Gespräch.
Schneider: Ich bedanke mich!
Kolbe: Und das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.