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Arbeitsmarkt
Ökonom: Kippings Vorstoß zur Vier-Tage-Woche "gefährlicher Unsinn"

Linken-Politikerin Katja Kipping wirbt für eine Vier-Tage-Woche inklusive Anschubfinanzierung. Holger Schäfer vom Institut der Deutschen Wirtschaft kritisiert diesen Vorstoß scharf. Eine Subvention zu zahlen, die einen Anreiz biete, weniger zu arbeiten, sei gefährlich und nicht clever, so Schäfer im Dlf.

Holger Schäfer im Gespräch mit Sandra Schulz |
Katja Kipping (Die Linke) spricht bei der 150. Sitzung des Bundestages.
Katja Kipping (Die Linke) spricht in einer Bundestagssitzung. (dpa / Jörg Carstensen)
Der Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer erklärt, warum er Kippings Vorschlag für absurd einschätzt: "Weil Menschen weniger arbeiten, produzieren sie weniger, das ist das Wesen, das die Wirtschaftskrise ausmacht. Der Vorschlag läuft ja darauf hinaus, das zu perpetuieren." Weniger zu arbeiten führe zu weniger Produktion und auch zu weniger Steuereinnahmen. Dadurch würde die Wirtschaftskrise zum Dauerzustand erklärt. Wer weniger arbeiten wolle, könne das mit seinem Arbeitgeber vereinbaren. Die Politik sollte sich da nicht einmischen, sage Schäfer.
Verständnis der Wirtschaft und Eigenverantwortung
Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping hatte angeregt, die Corona-Pandemie zum Anlass zu nehmen, die Arbeitszeit mit vorübergehenden staatlichen Zuschüssen für Unternehmen zu reduzieren. Sie argumentierte, die Vier-Tage-Woche mache Beschäftigte glücklicher, gesünder und produktiver. Auch die Unternehmen profitierten davon, weil ihre Mitarbeiter weniger Fehler machten, motivierter und seltener krank seien.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Schäfer betonte hingegen im Dlf, dass das Verständnis unserer Wirtschaft beinhalte, dass jeder zunächst für sich selbst verantwortlich sei. Diejenigen, denen Verantwortung nicht wahrnehmen könnten, denen stehe die solidarische Hilfe der Gesellschaft zu. Das bedeute auch, dass jeder so viel arbeiten sollte, dass er seinen Lebensunterhalt bestreiten könne.

Das Interview in voller Länge
Sandra Schulz: Seit diesem Frühjahr, seitdem die Corona-Pandemie vielerorts den Alltag regiert, da hat sich auch in der Arbeitswelt viel verändert. Vielerorts schoss das Arbeitspensum in die Höhe, im Einzelhandel zum Beispiel, im Gesundheitssystem; vielerorts schnürte sich das Arbeitspensum aber auch zusammen. Unternehmen ordneten Kurzarbeit an. Und womöglich blieben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Arbeiten zuhause und auch Unternehmen, die Arbeiten im Home Office vorher noch für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten hatten, die dachten um. Diese Impulse greift jetzt Linken-Parteichefin Katja Kipping auf in einem neuen Vorstoß. Sie schlägt die Einführung einer Vier-Tage-Arbeitswoche vor als Standard, vorübergehend gefördert über ein neues Kurzarbeitergeld. Sie haben den Vorschlag ja schon als Quatsch bezeichnet. Warum?
Holger Schäfer: Ja. Sehen Sie, es läuft ja darauf hinaus, eine Subvention dafür auszugeben, dass die Leute weniger arbeiten, und das läuft im Grunde genommen auf eine Perpetuierung der Wirtschaftskrise hinaus, die wir gegenwärtig haben. Wir haben ja gegenwärtig viele Leute, die weniger arbeiten. Sie haben es erwähnt. Viele Menschen sind in Kurzarbeit. Und weil viele Menschen weniger arbeiten, produzieren sie weniger, und das ist das, was das Wesen der Wirtschaftskrise ausmacht. Der Vorschlag läuft ja darauf hinaus, das zu perpetuieren, die Wirtschaftskrise zum Dauerzustand zu erklären. Das ist etwas, was absurder kaum geht.
Schulz: Wir haben jetzt – das war der Stand Ende April – schon gut 450 Millionen Euro, die in Kurzarbeitergeld geflossen sind. Die Bundesagentur rechnet Corona-bedingt in diesem Jahr mit Verlusten von mehr als 30 Milliarden Euro. Wir erleben auch in Europa, wie im Moment vieles neu gedacht wird. Was ist so falsch daran, jetzt auch diesen Impuls zu geben für eine Neujustierung der Arbeitswelt?
Schäfer: Wieviel die Menschen arbeiten, entscheiden sie ja selber, zusammen mit ihren Betrieben, in denen sie tätig sind. Wer weniger arbeiten will, wer eine Vier-Tage-Woche machen will, der kann das ja tun. Der kann zu seinem Arbeitgeber gehen und das mit dem vereinbaren.
Schulz: …, wenn er es sich leisten kann.
Schäfer: Ja, genau, wenn er es sich leisten kann. Das ist genau der Punkt, der auch gesamtwirtschaftlich gilt, wenn wir es uns leisten können. Wir müssen uns klarmachen, dass, wenn wir ein Fünftel weniger arbeiten, wir auch ein Fünftel weniger Waren und Dienstleistungen produzieren. Das ist Konsum, der uns am Ende natürlich fehlt, den wir nicht leisten können und der, nebenbei bemerkt, natürlich auch dazu führt, dass wir weniger Steuereinnahmen haben und auch weniger umverteilen können.
"Beschäftigte haben von Produktivitätssteigerungen profitiert"
Schulz: Was Sie jetzt nicht einpreisen, das sind die kontinuierlichen Produktivitätssteigerungen, die wir gesehen haben in den letzten Jahrzehnten – mit einem kurzen Einbruch zwar nach der Finanzkrise. Wir wissen, dass auch vieles durch die Digitalisierung schlichtweg schneller geht, zum Beispiel eine Mail zu schreiben im Vergleich zum Brief früher. Müssten von den Produktivitätssteigerungen nicht auch die Beschäftigten profitieren?
Schäfer: Diese Produktivitätssteigerungen, von denen profitieren ja die Beschäftigten oder haben in der Vergangenheit profitiert, weil die Löhne ja dementsprechend gestiegen sind im Rahmen der Produktivitätssteigerung. Insofern ist das Fell des Bären schon verteilt. Es gibt da nichts mehr zu verteilen. Man kann ja nicht hoffen, wenn jemand jetzt eine Vier-Tage-Woche macht statt einer Fünf-Tage-Woche, dass der dieselbe Arbeit erledigt in den fünf Tagen. In manchen Berufen ist das vollkommen unmöglich. Das sieht man schon bei Verkäufern im Einzelhandel oder so. Die können ja dieselbe Arbeit da gar nicht machen – oder ein Friseur.
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Schulz: Aber sagen Sie uns: Warum ist ausgerechnet die Fünf-Tage-Woche das richtige Maß? Wenn es jetzt darum geht, mehr BIP zu erwirtschaften, müsste man dann nicht konsequenterweise wieder sagen, dann muss man eben sechs oder sieben Tage pro Woche arbeiten. Diese Fünf-Tage-Woche ist ja auch eine mehr oder weniger willkürliche Festlegung. Warum ist die genau richtig?
Schäfer: Es ist ja keine gar keine willkürliche Festlegung. Es gibt ja gar keinen Diktator oder keine Politik oder keinen Kanzler in Deutschland, der sagt, wir haben eine Fünf-Tage-Woche, sondern es gibt zig Tausende von Arbeitszeitmodellen in Deutschland und jeder arbeitet so, wie er gemeinsam mit seinem Betrieb das entscheidet. Die Tarifpartner entscheiden darüber, wie die Arbeitszeit ist und in welchen Modellen sie angewendet werden kann. Die Politik sollte sich da eigentlich raushalten.
"Jeder ist erst mal für sich selber verantwortlich"
Schulz: Was bei Ihnen jetzt keine Rolle spielt ist, dass diejenigen, die es sich nicht leisten können, so viel oder so wenig zu arbeiten wie sie möchten, das sind dann häufig die Menschen mit echten Knochenjobs, die Pflegekräfte zum Beispiel in Heimen oder in Krankenhäusern, Erzieherinnen oder Erzieher. Wenn Sie jetzt immer auf das Erwirtschaften abheben, lassen Sie dann nicht außer Acht, dass wir oft auch über den öffentlichen Bereich sprechen?
Schäfer: Natürlich muss jeder oder sollte jeder das Grundgerüst unserer Wirtschaft sein. Unser Verständnis ist ja so, dass jeder erst mal für sich selber verantwortlich ist. Nur die, die die Verantwortung nicht wahrnehmen können, denen steht die solidarische Hilfe der Gesellschaft zu. Das ist ja unsere Idee von Sozialstaat und Gesellschaft. Das heißt natürlich auch, dass jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten so viel arbeiten sollte, dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wenn er das nicht kann, weil er zum Beispiel gesundheitlich eingeschränkt ist, dann gibt es ja entsprechende Systeme, die da Hilfen vorsehen.
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Schulz: Aber als Gerechtigkeitsthema sehen Sie es nicht? Wir haben jetzt ja auch in der Corona-Krise die Situation, dass viele Menschen, privilegiertere Menschen mit Bürojobs, mit höheren Einkommen auch diejenigen sind, die sagen können, ich kann auch von zuhause aus arbeiten – anders zum Beispiel als Verkäuferinnen. Das sind dann tendenziell auch diejenigen, die es sich leisten können, eine Vier-Tage-Woche zu arbeiten. Wenn wir diese gesellschaftliche Bewegung und Veränderung jetzt sehen, warum sollen davon dann nicht auch die profitieren, die weniger auf dem Konto haben?
Schäfer: Was Sie jetzt kritisieren ist ja im Grunde genommen, dass es unterschiedlich hohe Löhne gibt. Es ist ja völlig klar, dass diejenigen, die mehr verdienen, in der Lage sind, ihre Arbeitszeit vielleicht zu reduzieren, ohne gleich in existenzielle Nöte zu kommen, während die, die weniger verdienen, das nicht können. Die müssen so viel arbeiten, dass ihr Lebensunterhalt dabei herauskommt. Das ist die logische Folge davon, dass es unterschiedlich hohe Löhne gibt. Aber das kann man ja schlecht kritisieren. Das ist ja sogar positiv oder sogar notwendig, dass es unterschiedlich hohe Löhne gibt. Sonst gäbe es ja nicht mehr einen Anreiz, sich irgendwo zu qualifizieren.
"Subvention ist gefährlicher Unsinn"
Schulz: Jetzt gibt es auch schon Modelle für 28 Wochenstunden, zum Beispiel bei VW hat es das gegeben. Das hat es auch gegeben in Tarifverträgen zum Beispiel in der Elektroindustrie. Sehen Sie diese Arbeitsverteilung grundsätzlich skeptisch? Finden Sie das zu wenig, vier Tage in der Woche zu arbeiten?
Schäfer: Nein, nein! Das ist ja gar nicht an mir, das zu entscheiden, sondern das entscheiden ja die Arbeitnehmer gemeinsam mit ihren Betrieben. Wenn sich VW oder irgendein anderes Unternehmen entscheidet, dass nur noch vier Tage die Woche gearbeitet wird, und die Arbeitnehmer sind damit einverstanden und alle sind sich einig, ist das doch wunderbar. Da ist überhaupt nichts gegen zu sagen. Die Frage ist: Ist das clever, vom Staat her eine Subvention zu zahlen, wie Frau Kipping das jetzt vorschlägt, eine Subvention zu zahlen, die einen Anreiz bietet, weniger zu arbeiten? Ist das clever? Ich glaube nicht, dass das clever ist. Ich glaube, dass das gefährlicher Unsinn ist.
Schulz: Katja Kipping sagt, dass die Vier-Tage-Woche letzten Endes die Arbeitnehmer gesünder, glücklicher macht, auch motivierter, und dass davon auch Unternehmen profitieren können. Was ist daran falsch?
Schäfer: Ob die Arbeitnehmer gesund sind oder glücklich sind, das können sie am besten selber beurteilen. Ich glaube nicht, dass sie Frau Kipping brauchen dafür, um zu erkennen, unter welchen Umständen sie glücklich sind oder unglücklich.
Schulz: Ich glaube, dass es viele Beschäftigte spontan nachvollziehen können, dass es ihr Leben nicht unbedingt verschlechtern würde, wenn sie eine Vier-Tage-Woche hätten. Sie lassen jetzt diese strukturellen Machtverhältnisse zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern weg, indem Sie sagen, na ja, das muss individuell ausgehandelt werden. In den Niederlanden werden im Schnitt 30 Stunden pro Woche gearbeitet. Warum geht das dort und nicht bei uns?
Schäfer: Das geht ja bei uns. Bei uns ist die durchschnittliche Arbeitszeit ähnlich hoch, wenn Sie die Teilzeit mit einrechnen. Die reine Vollzeit-Arbeitszeit ist in den Niederlanden auch nicht anders als bei uns. Da muss man aufpassen, was man vergleicht. Es ist ja gar nicht so, dass derjenige, der weniger arbeiten will, das nicht kann. Er kann das machen. Er hat sogar einen Rechtsanspruch darauf. Der Arbeitgeber muss sogar diesem Wunsch stattgeben, wenn das mit betrieblichen Belangen vereinbar ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.