"Ich komme aus Brasilien. Ich habe in Brasilien 30 Jahre lang gelebt. In Brasilien war ich mehrere Jahre im Handel tätig. Auch in Führungsposition. Berufsbegleitend damals habe ich Jura studiert. Ich bin in Brasilien Volljuristin. Und meine letzte Anstellung, ich habe nach meinem Studium meine Richtung gewechselt. Ich bin in die Finanzbranche eingestiegen. Und meine letzte Anstellung in Brasilien war Abteilungsleiter bei einer großen Bank."
Rossana Szalaty ist 36 Jahre alt und lebt seit sechs Jahren mit ihrem deutschen Ehemann in Bergkamen. Die Liebe zu ihrem Mann ist der Grund, weshalb sie ihren guten Job als Abteilungsleiterin in Brasilien aufgab:
"Nach zwei Jahren Fernbeziehung haben wir uns entschlossen, zu heiraten. Und dann bin ich nach Deutschland gekommen."
Als Rossana Szalaty vor sechs Jahren nach Deutschland aufbrach, war sie noch voller Illusionen und voller Hoffnung, was ihren beruflichen Werdegang anbetraf:
"Ich war ein bisschen blauäugig, kann man sagen, als ich nach Deutschland kam. Das war so: Ich habe gedacht, nachdem ich einigermaßen relativ gut Deutsch sprechen kann, dass das nicht so schwierig wäre. Als Juristin natürlich wusste ich, die Rechtslage ist ganz anders von Land zu Land. Aber ich dachte, meine berufliche Erfahrung wäre hier etwas mehr wert."
Diesem Irrtum erliegen leider viele gut ausgebildete Migranten. Der Anteil an Akademikern ist durchaus höher, als landläufig unterstellt wird. Prof. Anja Weiß, Soziologin an der Universität Duisburg:
"Wir wissen aus der Forschung - wir wussten es auch schon vor zehn Jahren - dass die Migranten nicht alle unqualifiziert sind. Es gibt ja so einen landläufigen Diskurs, dass die Migranten alle arm sind und dass sie alle nichts können. Und das stimmt einfach nicht. Insofern war es nur logisch, dass wir dann auch mal uns speziell dafür interessiert haben, wie die Qualifikationen von hochqualifizierten Migranten am Arbeitsmarkt anerkannt werden."
Umfangreiche Studie zum Thema
Die soziologische Studie ist in ihrem Umfang einzigartig. Es ist die bislang gründlichste Untersuchung über die Job-Chancen von Migranten, erklärt die Soziologin Anja Weiß. Die Forscher haben über 200 ausführliche Interviews mit Migranten aus verschiedenen Ländern geführt:
"Es gibt eine größere Forschung, international, zur Arbeitsmarktintegration von hochqualifizierten Migranten. Die erfolgt aber überwiegend oder, ich würde fast sagen, ausschließlich über Statistiken und große Datensätze. In Deutschland gab es auch lange dazu gar keine geeigneten Datensätze. Das heißt, die richtig gute Forschung dazu kommt aus Kanada, Israel. Und insofern ist unsere Studie schon für Deutschland, glaube ich, die erste Studie in dieser Größe. Es gibt natürlich immer wieder Doktorarbeiten, wo dann wenige Interviews ausgewertet werden. Aber unsere Studie hat schon einen sehr umfassenden Zuschnitt."
Deshalb ist die Studie auch besonders aussagekräftig und könnte zum Beispiel bei der Diskussion um ein Einwanderungsgesetz hilfreich sein, meint Anja Weiß. Die Soziologen haben dafür ausführliche Interviews geführt und möglichst offene Fragen gestellt.
"Weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass Dinge dabei zur Sprache kommen, die aus der Sicht der Leute selbst vielleicht gar nicht so wichtig oder erwähnenswert sind. Wenn wir dann Interviews miteinander vergleichen, dann sehen wir im Vergleich: Manche sprechen ganz ausführlich zum Beispiel über Probleme mit der Ausländerbehörde. Andere gar nicht."
Bei der Auswertung der Interviews konnten die Soziologen zum Beispiel auch genauer ermitteln, woran die akademisch gebildeten Migranten unter Umständen gescheitert sein könnten.
"Zum Beispiel wird in der Forschung oft nicht berücksichtigt, dass die private Lebensführung natürlich auch sehr wichtig ist für das, was man beruflich macht. Und dass das bei Migranten noch eine besondere Brisanz hat. Weil das Visum ja häufig daran hängt, wen man heiratet. Sodass da wirklich sehr viele Faktoren ineinander greifen."
Viele Migranten werden mit Vorurteilen konfrontiert
Teilweise ist es aber auch einfach unfassbar, was anerkannte Asylbewerber sich in deutschen Behörden anhören müssen. So schildert etwa eine Oberärztin aus dem Irak, was ihr ein Sachbearbeiter geantwortet hat, als sie hier als Ärztin arbeiten wollte: Eher könne sie als Putzfrau arbeiten, aber nicht als Ärztin.
Manche hochqualifizierte Ausländer erleben regelrechten Rassismus, andere scheitern an bürokratischen Barrieren und wieder andere an rechtlichen Beschränkungen. Die Sprache ist laut Studie bei Ärzten selten das Problem, bei Managern hingegen spielt sie oft eine entscheidende Rolle. Denn sie müssen ihre Entscheidungen gut begründen. Ein weiteres Ergebnis der Studie trifft insbesondere auf Kanada zu:
"Dort werden ja Hochqualifizierte über ein Punktesystem angeworben und erhalten auch sofort sehr umfangreiche Rechte. Auch dort kommt es aber bei einem Teil der Hochqualifizierten vor, dass ihre Qualifikation dann im Arbeitsmarkt nicht anerkannt wird. Oder dass berufsrechtlich die Einschränkungen so erheblich sind, dass sie einfach sagen: Bevor ich jetzt noch einmal fünf Jahre alles nachmache, was ich bereits schon einmal studiert habe, lasse ich es lieber. Und ein relativ großer Teil scheint auch im ersten Jahr gleich wieder auszuwandern aus diesen, vermutlich aus diesem Grund. Das ist eine Problematik, die wir auch in Deutschland ganz massiv haben, dass Bildungstitel nicht anerkannt werden."
Oft vergebliches Suchen nach einem Arbeitsplatz
Zum Beispiel Resida Bach. Die 27-Jährige stammt aus Russland, wo sie theoretische Mathematik studiert hat und später als Programmiererin eine Software-Abteilung geleitet hat. In Deutschland drückt sie jetzt wieder die Schulbank und studiert Maschinenbau.
Oder Meirong He: Die 33-Jährige stammt aus China und hat dort ein Ingenieur-Studium in Elektronik und Informationstechnik absolviert. Nach dem Studium hat sie in Afrika in einem chinesischen Unternehmen als Technische Ingenieurin gearbeitet. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Düsseldorf. Bislang sucht sie vergeblich den Anschluss an den deutschen Arbeitsmarkt.
"Und da gibt es große Unterschiede je nach Beruf, je nach Region, je nach sonstigen Umständen. Die Arbeitsmarktintegration von Hochqualifizierten, ist eine anspruchsvolle Sache, die man nicht mit einfachen Ratschlägen behandeln kann. Sondern wo man wirklich auch ein Stück weit sehen muss: Was macht der einzelne Mensch mit dem, was er oder sie mitbringt? Und wie offen sind auch die Arbeitgeber, sich mit jemanden auseinander zu setzen und zu sagen: Hui, das ist zwar eine Frau. In Deutschland haben wir nicht so viele weibliche Ingenieure. Aber vielleicht können Frauen ja auch gute Ingenieure sein."
Das Forscherteam hat sich auch um das Thema Weiterbildung und Qualifizierung gekümmert. Die individuelle Situation hängt wiederum stark mit dem jeweiligen Beruf zusammen. In der Wirtschaft ist es zum Beispiel üblich ausländische Akademiker in Trainee-Programmen zu schulen.
"Da hatten wir den Eindruck, dass ist eine sehr sinnvolle Art, um dann auch in bestimmten Arbeitsmarkt reinzukommen. Es gibt aber auch Weiterqualifikationen, zum Beispiel das, was die Arbeitsagentur anbietet. Und da merkt man schon, gerade bei den Spätaussiedlern ist diese Förderung oft nach hinten losgegangen. Weil sie dadurch ja de facto runterqualifiziert werden. Das belegen dann auch Statistiken. Dass Spätaussiedler unter den Hochqualifizierten ungewöhnlich hohe Arbeitslosenquoten haben."
In Deutschland gibt es kaum zuverlässige rechtliche Regeln für den Umgang mit Migranten. Es ist häufig reine Glückssache wie Mirganten, die nicht aus der EU stammen, hier aufgenommen werden und welche Chancen sie haben. Deshalb werden immer wieder Forderungen nach einem Einwanderungsgesetz nach dem kanadischen Vorbild laut.
"Ich denke, das kanadische System ist ja jetzt auch wirklich schon seit einigen Jahrzehnten ziemlich erfolgreich. Es ist nicht so, dass dort alles wunderbar klappt. Aber, was es eben sehr viel besser bewältigt als das deutsche System ist das Signal nach innen. Und auch das Signal nach außen. Dass Migranten erwünscht sind. Und dass die Qualifikationen von Migranten geschätzt werden."
Derweil bemüht sich Rossana Szalaty darum, ihren Platz im deutschen Arbeitsmarkt zu finden. Mit Hilfe eines Stipendiums hat sie einen Abschluss als Betriebswirtin nachgeholt:
"Und ich habe durch das Programm auch Unterstützung an der Uni bekommen. Das heißt, Deutschkurs, das heißt auch Unterstützung, wenn ich Probleme mit einem Dozenten habe oder mit einem Fach nicht klar kam, und so weiter und so fort. Und jetzt bin ich auch eine studentische Hilfskraft bei dem Programm seit Oktober. Und ich warte jetzt auf meine Zeugnisse und möchte mich weiter bewerben."
Trotz aller Enttäuschungen schaut sie positiv in ihre berufliche Zukunft: "Ich muss positiv denken. Meine Erfahrung hier in Deutschland sind leider, waren beruflich gesehen nicht so erfolgreich. Und habe natürlich ein paar nicht schöne Erinnerungen hinterlassen. Aber ich versuche jetzt positiv zu denken. Es ist ein neuer Abschnitt. Ich habe jetzt einen deutschen Abschluss. Ich bin voller Elan und meinen Teil werde ich unbedingt machen."
Literatur: "Work in Transition" von Arnd-Michael Nohl, Kartin Schittenhelm, Oliver Schmidtke, Anja Weiß, University of Toronto Press.