Sandra Pfister: Seit ungefähr einem Jahr bröckelt der Mythos des fleißigen Deutschen. Damals hat die OECD festgestellt, dass der durchschnittliche Deutsche aufs Jahr gerechnet etwa ein Drittel weniger arbeitet als der durchschnittliche Grieche. Wie bitte? Hat nicht einst Kurt Tucholsky geschrieben, das Heiligste, das der Deutsche habe, sei die Arbeit? Jetzt aber tritt die Bundesagentur für Arbeit quasi zur Ehrenrettung der Deutschen an. Ihre Forscher im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagen, die Deutschen sind so fleißig, die wollen in Wirklichkeit viel, viel länger arbeiten, aber niemand lässt sie. Darüber reden wir jetzt mit Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Guten Tag, Herr Weber!
Enzo Weber: Guten Tag!
Pfister: Herr Weber, wenn alle Deutschen so viel arbeiten dürften, wie sie wollen, dann kämen pro Jahr dreieinhalb Millionen neue Vollzeitstellen heraus. Das schreiben Sie. Warum wollen denn auf einmal so viele so viel mehr arbeiten?
Weber: Hauptsächlich, wenn man sich das genau anschaut, betrifft das Frauen, und das liegt daran, dass Frauen irgendwann über die Kinderphase häufig dann ihre Erwerbstätigkeit zurückfahren oder aus dem Arbeitsmarkt aussteigen. Und danach ist es dann einfach schwer, wieder reinzukommen. Der Wiedereinstieg ist schwer, man bleibt häufig in der sogenannten Teilzeitfalle hängen, und auch das sogenannte Zuverdienermodell in unseren Haushalten spielt eine Rolle. Also der Mann arbeitet voll, aber die Frau nur noch halb. Nicht mehr wie früher, sie bleibt zu Hause, das gibt es nur noch relativ selten, aber arbeitet eben nur in Teilzeit, und das ist dann ein relativ hartnäckiges Modell, und deshalb kommt es dann dazu, dass viele Frauen eben nicht die Arbeitszeit erreichen, die sie gern hätten.
"Bei den Minijobbern sehen wir die größten Aufstockungswünsche"
Pfister: Das leuchtet mir ein, dass Teilzeit arbeitende Mütter dann oft in dieser sogenannten Teilzeitfall hängen bleiben. Sind denn auch viele Männer dabei, die mehr arbeiten wollen? Weil die arbeiten doch meistens schon 40 Stunden.
Weber: Es betrifft hauptsächlich Frauen. Aber wenn Männer in Teilzeit sind, dann können wir beobachten, dass sie wirklich besonders häufig und in besonders großem Umfang auch mehr arbeiten möchten. Das betrifft zum Beispiel Jüngere, also wenn man eben noch nicht den Job hat, mit dem man zufrieden ist und sich noch mehr wünscht. Und das betrifft vor allem Minijobber. Da sehen wir wirklich die größten Aufstockungswünsche.
Pfister: Was ist denn mit unserer Generation Y, über die wir so oft berichtet haben, und all den anderen, die in den vergangenen Jahren das Hohelied der Work-Life-Balance gesungen haben? Wollen die auch mehr arbeiten, oder war das alles ein Mythos, den wir da kreiert haben?
Weber: Es gibt ja durchaus auch diejenigen, die weniger arbeiten möchten. Von daher soll man jetzt nicht darauf verfallen, die Schraube immer noch höher drehen zu wollen und das letzte Quäntchen noch rauspressen zu wollen. Das ist ja für eine Gesellschaft am Ende auch kein vernünftiges Ziel, so viel zu arbeiten, wie es nur irgendwie geht. Trotzdem, wenn man sich jetzt die Generation Y anschaut – ja, da hat sich ein bisschen was getan, gerade in dem Wunsch, mehr Selbstbestimmung zu haben, weniger vielleicht von Terminen getrieben zu sein. Aber wenn man sich anschaut, wie viele das wirklich betrifft, wie viel Prozent einer Generation, dann ist das begrenzt. Das ist nicht so, dass sich mit einer auf die nächste Generation da die Einstellungen völlig wandeln. Aber so ein Phänomen wie dass Teilzeitbeschäftigte eben häufig unterbeschäftigt sind und sich mehr wünschen und dass es eine Teilzeitfalle gibt, das wischt das nicht einfach so vom Tisch.
"Wir haben im Moment durchaus einen sehr hohen Bedarf an Arbeitskräften"
Pfister: Was bringt jetzt diese Analyse, Herr Weber. Man weiß nun, es gibt viele Teilzeitbeschäftigte vor allem, die mehr arbeiten wollen, aber offenkundig haben die Unternehmen entweder nicht mehr Kapazitäten oder sie sind nicht willens, sich so flexibel zu machen, dass sie mal in der Kinderphase runtergehen und dann wieder hochgehen mit den Arbeitsstunden. Also, was bringt so eine Analyse, wenn man weiß, die ist überhaupt nicht umzusetzen?
Weber: Wir haben im Moment durchaus einen sehr hohen Bedarf an Arbeitskräften. Das heißt, dass die Kapazitäten grundsätzlich nicht da seien, das kann es eigentlich nicht sein. Ein deutlicher demografischer Wandel steht uns bevor. Das heißt, es ist im Interesse der Arbeitnehmer, aber durchaus auch der Betriebe, solche Potenziale auszuschöpfen. Und da ist es keineswegs so, dass es immer nur an der Blockade von Arbeitgebern liegt, sondern man muss überlegen, wie kann das in Kooperation beider Seiten gehen, denn nur so kann es im Arbeitsmarkt und in Betrieben am Ende funktionieren. Und das bedeutet, wir müssen uns überlegen, wie kann man besser abstimmen, dass Arbeitszeiten flexibler werden und dass sie auch über den Lebensverlauf, in Lebensphasen flexibler werden. Dass man mal zurückstecken kann, ohne dort aber gleich hängen zu bleiben in der Teilzeit. Das heißt, diese strikte Trennung von Vollzeit und Teilzeit, die müssen wir aufheben, da braucht es auch einfach einen Wandel von Einstellungen. Aber es kommt auch auf die Unterstützung an.
"Man braucht immer die Betriebe im Boot"
Pfister: Bleibt aber das Problem, dass so flexible Arbeitszeitmodelle insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen wirklich schwer zu organisieren sind.
Weber: Ja, auf betrieblicher Ebene ist das schwer zu machen, das ist gar keine Frage. Man stelle sich vor, man hat zehn Mitarbeiter, und dann will einer plötzlich 20 Stunden wegnehmen – was macht man dann so schnell als kleiner Betrieb. Von daher ist es sicherlich richtig, dass von politischer Seite daran gedacht wird, Arbeitnehmerrechte zu stärken und mehr Möglichkeiten in Richtung Flexibilität zu schaffen. Aber man braucht immer die Betriebe im Boot.
Pfister: Sagt Professor Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs Prognosen und Strukturanalysen beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg. Danke Ihnen!
Weber: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.