Von 2013 bis 2018 sind 1,2 Millionen Menschen mit Fluchthintergrund nach Deutschland gekommen. Von denen haben 49 Prozent einen Job. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer Studie herausgefunden. Im Dlf-Interview äußert sich Herbert Brücker, einer der Autoren dieser Untersuchung.
Schulz: Die Zahlen sehen ja sehr positiv aus. Interessant ist da jetzt natürlich der Vergleich mit den Geflüchteten, die in den 90er-Jahren aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien kamen: Deren Integration in Bildung und Arbeitsmarkt hat offenbar weniger gut funktioniert, trotz besserer Voraussetzungen. Warum funktioniert es jetzt hier besser?
Schulz: Die Zahlen sehen ja sehr positiv aus. Interessant ist da jetzt natürlich der Vergleich mit den Geflüchteten, die in den 90er-Jahren aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien kamen: Deren Integration in Bildung und Arbeitsmarkt hat offenbar weniger gut funktioniert, trotz besserer Voraussetzungen. Warum funktioniert es jetzt hier besser?
Brücker: Ja, es ist so: Wenn jemand vor fünf Jahren gekommen ist, dann besteht die Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass jemand im Arbeitsmarkt angekommen ist. Bei den Jugoslawien-Flüchtlingen lag diese Wahrscheinlichkeit bei 44 Prozent. Wir liegen fünf Punkte, sechs Punkte besser als damals.
Ich glaube, die Hauptursache ist, dass wir diesmal mehr investiert haben, also wir haben viel in Integrationskurse, in Sprachkurse investiert. Das hilft den Menschen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber auch die Rahmenbedingungen waren günstiger: Wir haben ja einen Arbeitsmarkt, der brummt, wir haben eine sehr hohe Arbeitsnachfrage, und das hat natürlich geholfen. Da waren die Ausgangsbedingungen besser als in den 90er-Jahren.
"Bei den Abschlüssen besteht noch erhebliches Potenzial"
Schulz: Und wie steht es um den Zugang zum Bildungssystem, also den erfolgreichen Zugang, an deren Ende dann auch ein Abschluss steht und nicht nur paar Jahre Schulbesuch?
Brücker: Ja, wir haben das Problem, dass viele Flüchtlinge zwar durchaus qualifiziert in ihren Herkunftsländern gearbeitet haben, aber nur 17 Prozent haben Hochschulabschlüsse und eine abgeschlossene Berufsausbildung, das heißt, da besteht noch ein erhebliches Potenzial, Abschlüsse nachzuholen. Bisher haben 25 Prozent der Flüchtlinge eine Schule besucht oder berufliche Bildungseinrichtungen besucht. Das heißt, wir haben dieses Bildungspotenzial erst in Teilen gehoben. Das wird erst schrittweise besser mit dem Aufbau von Sprachkompetenz.
Und dann ist es natürlich auch schwierig, weil die Menschen, die jetzt schon in Arbeit sind, für die ist natürlich auch nicht ganz so leicht, diese Arbeit wieder aufzugeben und dann in das Bildungssystem zu münden. Aber ich rechne damit, dass wir vielleicht 30 oder 40 Prozent erreichen werden, die hier in Deutschland noch Abschlüsse machen werden, aber es wird nicht die Mehrheit sein.
"55 Prozent sind in Fachkrafttätigkeiten, das ist das überraschendste"
Schulz: Jetzt haben laut Ihren Zahlen von den Geflüchteten, die im Job sind, fast 70 Prozent eine Vollzeit- oder eine Teilzeitarbeit. Können Sie denn differenzieren in Ihrer Untersuchung, was das für Jobs sind? Es macht ja doch einen deutlichen Unterschied, ob es sich da jetzt um eine Fachkrafttätigkeit handelt oder um einen Job mit sehr geringen Qualifikationsanforderungen.
Brücker: Ja, das ist eigentlich eines unserer überraschendsten Ergebnisse, dass 55 Prozent etwa in Fachkrafttätigkeiten oder noch anspruchsvolleren Tätigkeiten, Expertentätigkeiten – das sind dann akademische Tätigkeiten – gelandet sind. Das ist deswegen überraschend, weil wir eben nur 17 Prozent haben, die eine abgeschlossene Hochschul- oder Berufsausbildung haben.
Ganz offensichtlich ist es einem Teil der Geflüchteten, die vorher in qualifizierten Tätigkeiten waren, aber die zum Beispiel als Mechatroniker in ihren Heimatländern gearbeitet haben oder im Einzelhandel oder anderen Dienstleistungsberufen, ist es zum Teil gelungen, dann auch eine qualifizierte Tätigkeit hier in Deutschland zu finden. Allerdings haben wir auch eine erhebliche Dequalifizierung, also 45 Prozent arbeiten eben als Helfer, und das waren in den Heimatländern nur 15 Prozent.
Schulz: Jetzt machen 17 Prozent von den Geflüchteten im Job eine bezahlte Ausbildung, das klingt schon mal gar nicht schlecht, aber angesichts des oft so beklagten Fachkräftemangels in Deutschland eigentlich doch noch zu wenig, oder?
Brücker: Ja. Also ich würde sagen, da ist das Glas, also woanders ist es gut halb voll, hier ist es halb leer. Denn wir sehen zwar Fortschritte, das geht hoch, also das ist im Vergleich, also in der Befragung, beim zweiten Halbjahr 2018 im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2017 ist das um fünf Prozentpunkte etwa gestiegen, aber da würden wir uns natürlich erheblich mehr wünschen, dass mehr in Ausbildung investiert wird, weil am Ende öffnet das ja in Deutschland dann doch den Weg für berufliche Aufstiegschancen und auch für eine stabile Beschäftigung.
"Wir brauchen bei den Integrationsmaßnahmen Angebote, die vereinbar sind mit der Kindererziehung"
Schulz: Jetzt noch ganz kurz ein anderes Phänomen: Deutlich mehr Männer sind in Jobs als Frauen. Das ist nicht überraschend. Tut der deutsche Staat da genug, auch Frauen mehr in Jobs zu bringen und damit auch deren Integration zu erleichtern?
Brücker: Wahrscheinlich noch nicht. Also es geht bei den Frauen überwiegend um junge Mütter. Also die Frauen haben in der Regel Kinder, zu 75 Prozent etwa, und wenn sie Kinder haben, dann im Durchschnitt fast drei Kinder. Das heißt, da spielt Kinderbetreuung natürlich eine riesige Rolle, wenn es gelingen soll, die in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Und da könnten wir ganz sicher mehr tun. Es geht nicht nur um Kinderbetreuung, wir brauchen auch bei den Integrationsmaßnahmen niedrigschwellige Angebote, die vereinbar sind mit der Kindererziehung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.