Wer Menschen zu sich locken will, der muss sich anstrengen. Wie attraktiv ist Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland? Darüber möchte ich sprechen mit Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Grüße nach Berlin!
Achim Dercks: Ja, Grüße zurück nach Köln!
Schulz: Im Migrationsbericht, den das Bundeskabinett ja heute beraten hat, steht der kleine aber feine Satz, die Bundesrepublik habe an Attraktivität noch hinzugewonnen. Sehen Sie das ähnlich?
Dercks: Ja, die Zahlen belegen es ja insofern, als wir in der Tat große Nettozuwanderung im Jahr 2013 hatten, und jetzt, im gerade abgelaufenen Jahr 2014 ja nach Einschätzungen noch einmal mehr. Das gilt insbesondere für die EU-Nachbarstaaten, denn Zweidrittel der Nettozuwanderung kommt ja von unseren Nachbarn. Und das hängt mit den dortigen Krisen zusammen, also nicht nur mit der Attraktivität Deutschlands absolut, sondern auch relativ vielleicht zu den dortigen Arbeitsmärkten. Und das ist aber gut für uns, denn, wie Sie anmoderiert haben, in der Tat: Die Demografie schlägt zu, wir brauchen Fachkräfte, und der Zuwachs der Erwerbstätigkeit, der Anstieg der Steuereinnahmen, all das ist in den letzten zwei Jahren auch auf die Zuwanderung und die Integration in den Arbeitsmarkt zurückzuführen.
Schulz: Aber das heißt ja, dass wir von den Krisen in anderen Staaten, ich nenne es mal profitieren, obwohl viele Leute immer noch davon sprechen, dass wir in Deutschland nicht wirklich eine Willkommenskultur haben, weil ja immer noch potenzielle Arbeitskräfte klagen, dass sie bei deutschen Behörden jetzt nicht mit offenen Armen empfangen werden, dass ihre Abschlüsse nicht oder nur unzureichend anerkannt werden – tun wir denn da wirklich genug?
Thema Willkommenskultur
Dercks: Zum einen ist es sicherlich so, dass die Arbeitsmarktperspektiven in Deutschland so gut sind, dass sich eben gerade junge Leute aus den Nachbarländern auf den Weg machen und sagen, ich schaff das schon. Auf der anderen Seite hat sich beim Thema Willkommenskultur sicherlich das eine oder andere getan, denn auch in Umfragen zeigt sich, dass die Zustimmung zu qualifizierter Zuwanderung in der Bevölkerung ja zugenommen hat. Gleichzeitig haben Sie natürlich recht: Wir müssen und können da besser werden. Aber es gibt auch in vielen Regionen ja Überlegungen, Welcome-Center, wie das dann in Neudeutsch heißt, wo Ausländerbehörden auch mit Kammern zusammen mit weiteren Beteiligten sich aufmachen, diese Willkommenskultur ganz praktisch auch in eine Willkommensstruktur vor Ort zu überführen und damit auch ein positives Signal zu senden.
Schulz: Schauen wir noch auf andere Akteure, und zwar auf die Unternehmen selbst. Inwieweit müssen die denn sich bewegen oder Maßnahmen anbieten, um attraktiver zu werden. Also zum Beispiel Sprachkurse oder Dual-Career-Optionen oder dergleichen?
Dercks: Ja, das ist in der Tat ja eine Herausforderung, der sich die Unternehmen jetzt gerade die letzten Jahre stellen. Es war lange Zeit eben nicht das große Thema, weil Deutschland nicht so viel Zuwanderung hatte, weil die Gesetze andere waren, weil die Krisen noch nicht da waren. Und jetzt beginnen Unternehmen hier auch zu lernen und sich zunehmend zu engagieren. Es geht aber auch nicht allein mit den Unternehmen. Man braucht immer Netzwerkpartner in der Region, denn gerade junge Menschen brauchen auch eine Begleitung außerhalb des Betriebs. Da können die Betriebe selber natürlich helfen, gerade Kollegen können auch helfen. Aber, Stichwort Sprachkurse, ist natürlich die Masse der Unternehmen auch überfordert, weil Deutschland mittelständisch geprägt ist und so ein Betrieb mit 50 Leuten eben keinen Deutschkurs anbieten kann. Um so wichtiger ist, dass hier auch politischerseits bei Deutschkursen mehr investiert wird, denn das ist im Vergleich auch zu anderen Ländern natürlich unser Hauptnachteil. Deutsch ist nun mal keine Weltsprache, und um so wichtiger ist es, Menschen, die herkommen und hier arbeiten wollen, da auch zu helfen. Gleichwohl gilt, die Integration in den Betrieb ist natürlich eigentlich auch die wichtigste Voraussetzung, um auch im Alltag sozusagen in die deutsche Sprache dann rein zu kommen.
Schulz: Die Politik debattiert ja derzeit wieder über ein mögliches Zuwanderungsgesetz. Wie muss denn aus Ihrer Sicht, aus Sicht des DIHK, ein solches Gesetz gestaltet werden?
Vom Wettstreit geprägte öffentliche Debatten
Dercks: Im Moment sind die öffentlichen Debatten ein bisschen sozusagen auch vom politischen Wettstreit ja geprägt und nicht unbedingt von der Suche nach der richtigen Detaillösung. Wir haben ja die letzten Jahre am Zuwanderungsrecht durchaus vieles geändert und auch verändert. Zum Beispiel die OECD sagt, wir haben eine der liberalsten Zuwanderungsregelungen in der ganzen Welt. Also so ganz schwarz-weiß wie vielleicht noch vor zehn Jahren ist das alles nicht mehr. Aus unserer Sicht gibt es natürlich Verbesserungsmöglichkeiten an einzelnen Stellen, zum Beispiel die Frage, wie können wir auch mit dem Flüchtlingsstrom so umgehen, dass diejenigen, die für die Unternehmen attraktiv sind, als Azubis oder als Beschäftigte dort auch eine Chance bekommen. Aber das ist ein schwieriges Thema. Wir haben das Thema Deutschkurse, wo mehr investiert werden muss. Und wir haben, wie bereits angesprochen, eigentlich die Hauptherausforderung, eine Willkommenskultur weiter zu etablieren. Dafür müssen wir klarer machen, dass Zuwanderung ein Gewinn ist, gerade wenn die Menschen eben den Fachkräftemangel vorbeugen und dadurch auch helfen, Steuerzahlungen in Deutschland zu tätigen und letztlich auch die Renten sozusagen des älter werdenden Deutschlands mit zu finanzieren.
Schulz: Sie haben jetzt gerade Flüchtlinge angesprochen. Was ist denn mit diesen jungen Menschen, die hier lernen wollen, die eine Ausbildung machen wollen. Inwieweit sind die denn hier willkommen?
Dercks: Wir haben hier ja zwei sozusagen – wir haben auf der einen Seite das Asylverfahren, das ja aus guten Gründen sich an anderen Kriterien ausrichtet als an der Arbeitsmarktbefähigung der Menschen, die zu uns kommen. Gleichwohl gibt es eben die Schnittstellen. Wir haben gerade im Bereich der Ausbildung ja heute schon viele Betriebe, die händeringend Azubis suchen, sodass hier an erster Stelle eben auch Betriebe uns sagen, wieso können wir keine Sicherheit haben, dass ein solcher Azubi, der im Asylverfahren ist, unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens auf jeden Fall seine Ausbildung zu Ende machen kann. Und wenn er denn dann integriert ist und Deutsch kann und auch eine Stelle in diesem Beruf, womöglich sogar im gleichen Betrieb findet, dann da bleiben kann – also hier sozusagen nachzusteuern, ist sicherlich wichtig, im Interesse der jungen Menschen, aber eben auch im Interesse Deutschlands, weil wir diesen Fachkräftemangel sozusagen aus gemeinsamem Interesse der hier Lebenden bekämpfen sollten.
Schulz: Sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Vielen Dank!
Dercks: Ja, vielen Dank, Herr Schulz! Gern geschehen!