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Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
"Es wird keine Einwanderung in die Sozialsysteme geben, sondern in den Arbeitsmarkt"

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollen ausländische Fachkräfte leichter und schneller in Deutschland arbeiten können. Dieser pragmatische Weg sei nun wichtig, denn "wir brauchen Arbeitskräfte", sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Dlf.

Hubertus Heil im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 29.03.2023
Arbeitsminister Hubertus Heil schaut schräg an der Kamera vorbei. Er trägt einen dunklen Anzug mit blauer Krawatte.
"Deutschland braucht Arbeitskräfte", sagt Arbeitsminister Hubertus Heil. Fachkräfte aus dem Ausland sollen in Zukunft einfacher in Deutschland arbeiten können. (imago / Christian Spicker)
Damit ausländische Fachkräfte künftig leichter nach Deutschland kommen können, hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen, der unter anderem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegt worden war.

Deutschland braucht Fachkräfte

"Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland", sagte Bundesminister Hubertus Heil (SPD) im Deutschlandfunk und forderte die Stärkung der inländischen Aus- und Weiterbildung von Fachkräften als auch deren Einwanderung.
Die Anerkennungsverfahren von ausländischen Fachkräften würden mit der Fachkräfteeinwanderungsgesetz-Novelle abgekürzt. Dabei sei die Angst vor Einwanderung in das deutsche Sozialsystem unbegründet, es gehe um eine "Einwanderung in den Arbeitsmarkt", so der Minister. Gleichzeitig komme es mit dem Gesetz auch nicht zu einer "Einwanderung der Lohndrückerei".
"Ab 2025 gehen die geburtenstarken Jahrgänge, die vor '64 geborenen, die Baby-Boomer in Rente. Das sind sehr, sehr viele", sagte der Arbeitsminister. "Und deshalb müssen wir alles tun und alle Register ziehen, damit Deutschland nicht durch Fachkräftemangel eine dauerhafte Wachstumsbremse sich einfängt". Deshalb sei die Fachkräftesicherung im Inland sowie ein modernes Einwanderungsrecht aus dem Ausland "das Gebot der Stunde".
In Zukunft solle es eine schnelle und einfachere Berufsanerkennung ausländischen Arbeitnehmern einfacher machen, in Deutschland arbeiten zu können. "Wir können uns die Arroganz, dass wir so tun, als seien nur Menschen in Deutschland gut ausgebildet, nicht leisten", so der SPD-Minister. Deutschland brauche die Arbeitskräfte.

Das Interview in voller Länge:

Tobias Armbrüster: Bevor wir auf die Fachkräfte zu sprechen kommen, müssen wir kurz über das Thema reden, das heute Morgen die Nachrichten dominiert: Der Koalitionsausschuss, die Ergebnisse, die gestern Abend verkündet wurden. Viel Kritik muss sich die Koalition heute Morgen anhören, dass die Klimaschutz-Ziele aufgeweicht wurden, dass generell die Klimapolitik dieser Ampel-Politik deutlich verwässert wird.

Die Klimapolitik der Ampel

Frage an Sie: War das mit den klimapolitischen Vorhaben dieser Koalition etwas zu viel für die deutsche Wirtschaft?
Heil: Nein, überhaupt nicht. Es geht darum, wie wir Klimaschutz-Ziele auch tatsächlich erreichen, 2045 als Volkswirtschaft klimaneutral zu werden und als Volkswirtschaft mit einer starken Industrie. Deshalb geht es um den Ausbau von Infrastrukturen, um den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien in den Beschlüssen, um die Netze, die dafür notwendig sind, um die Verkehrsinfrastruktur und auch die Frage der Stärkung der Schiene beispielsweise. Das ist ein gutes Paket, damit Deutschland wirtschaftlich stark bleibt und die Energiewende schafft.
Armbrüster: Verschwiegen haben Sie jetzt die etwa 140 Autobahn-Projekte, die auch schneller gefördert werden sollen. Sind die auch nötig für den Klimaschutz?
Heil: Es geht ja nicht um eine schnellere Förderung, sondern es geht um eine beschleunigte Planung. Da ist es richtig, dass es Lückenschlüsse gibt und dass wir zum Beispiel auch marode Brücken sanieren. Aber es ist vor allen Dingen gelungen, dass wir massiv mehr in die Schienen-Infrastruktur in Deutschland investieren. Das ist ein sehr, sehr gutes Paket und es wird helfen, dass Deutschland vorankommt und vor allen Dingen in der Umsetzung Tempo macht, denn wir wissen ja alle, wir sind da zu lahmarschig gewesen in den letzten Jahren in Deutschland. Deutschland braucht Tempo – und wir kommen gleich drauf – und Fortschritt braucht Fachkräfte.
Armbrüster: Wie gut funktioniert diese Koalition denn noch, wenn sie 30 Stunden braucht, um so ein 16-seitiges Papier zu produzieren?
Heil: Ich glaube, für journalistische Beobachter hat das tatsächlich sehr lange gedauert, aber die Wahrheit ist, es geht ja auch um Großes. Es geht um die nächsten Jahrzehnte. Es geht um grundlegende Entscheidungen und die Regierung setzt das jetzt auch um. Wir werden heute im Kabinett Gesetze beschließen und vieles von dem, was gestern beschlossen wurde, ist die Grundlage, dass bis zum Sommer konkrete Maßnahmen stattfinden, damit Planungsbeschleunigung nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch in der Realität.
Wir brauchen neue Geschwindigkeit. Wir haben das in der Krise im letzten Jahr bewiesen, bei den LNG-Terminals ging das in rasender Deutschland-Geschwindigkeit, und das brauchen wir auch, wenn der Staat tatsächlich die Ziele mit der Wirtschaft erreichen will, klimaneutral zu werden, Deutschland zu digitalisieren, die Mobilitätswende zu schaffen. Es geht um ein modernes Deutschland und dafür sorgt die Ampel-Koalition mit den Beschlüssen von gestern.

Keine bürokratischen Hürden für ausländische Fachkräfte

Armbrüster: Dann lassen Sie uns vorausblicken auf das, was heute im Kabinett liegt. War Deutschland – kann man das so festhalten – zu lange zu anspruchsvoll bei der Zulassung von Arbeitskräften aus dem Ausland?
Heil: Vor allen Dingen haben wir im Moment eine Situation, dass wir den höchsten Stand von Arbeitsplätzen in Deutschland haben und Beschäftigung, 46 Millionen Menschen in Arbeit. Und wir spüren jetzt, dass es überall Arbeits- und Fachkräftemangel gibt, in vielen Bereichen. Und wenn wir Fortschritt erreichen wollen, ob in der Pflege, bei der Digitalisierung, der Energiewende und im Wohnungsbau, dann werden wir in den nächsten Jahren massiv mehr Fachkräfte brauchen, weil in der Zukunft auch viele geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen. Deshalb geht es um die Hebung der inländischen Potenziale. Deshalb werden wir heute ein Paket für Aus- und Weiterbildung verabschieden mit einer Ausbildungsgarantie für junge Menschen, mit Qualifizierungsgeld, um auch Beschäftigte weiterzubilden. Und wir brauchen ergänzende Fachkräfte-Einwanderung und dafür reißen wir bürokratische Hürden ein, damit das auch gelingt.
Armbrüster: Ich kann mir vorstellen, dass sich da viele jetzt fragen, Moment, warum können wir nicht die vielen Millionen, die jetzt gerade hier bei uns in Deutschland schon leben und ohne Arbeit sind, warum können wir die nicht erst mal in Arbeitsplätze bringen, bevor wir darauf achten, was wir mit Menschen machen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen.

Ziele: Fachkräftesicherung und modernes Einwanderungsrecht

Heil: Wir brauchen beides, Herr Armbrüster. Wir müssen die inländischen Potenziale heben, und das tun wir auch mit dem Aus- und Weiterbildungsgesetz, mit einer erhöhten Frauen-Erwerbsbeteiligung. Wir müssen dafür sorgen, dass in der Situation, in der wir über Arbeits- und Fachkräftemangel jetzt schon zu klagen haben und gleichzeitig 1,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 keine Ausbildung haben, den Schalter umzulegen. Deshalb gibt es die Ausbildungsgarantie und auch tatsächlich ein Weiterbildungsgesetz, das mithilft, dass die Beschäftigten heute im Wandel der Arbeitswelt auch die Arbeit von morgen machen können.
Aber wir brauchen zusätzlich qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland. Wenn man sich die Zahlen anguckt, dann wird das ein großes Thema. Ab 2025 gehen die geburtenstarken Jahrgänge, die vor '64 geborenen, die Baby-Boomer in Rente. Das sind sehr, sehr viele. Und deshalb müssen wir alles tun und alle Register ziehen, damit Deutschland nicht durch Fachkräftemangel eine dauerhafte Wachstumsbremse sich einfängt. Deshalb ist Fachkräfte-Sicherung im Inland und ein modernes Einwanderungsrecht, damit wir kluge Köpfe und helfende Hände aus dem Ausland bekommen, das Gebot der Stunde.
Armbrüster: Die deutsche Wirtschaft hat immer viel darauf gehalten, dass sie so hohe Ausbildungsstandards hat. Müssen sich die Deutschen jetzt daran gewöhnen, dass diese Standards sinken werden?
Heil: Nein, wir haben ein tolles Ausbildungssystem, nicht nur in der akademischen Ausbildung, sondern vor allen Dingen in der beruflichen Bildung – Stichwort Handwerk beispielsweise mit praktischer und theoretischer Ausbildung.

"Pragmatischer Weg" soll es ausländischen Fachkräften leichter machen

Armbrüster: Aber das spielt möglicherweise jetzt nicht mehr so eine große Rolle, wenn Menschen aus aller Welt aus allen möglichen Ausbildungssystemen hier arbeiten können.
Heil: Das will ich Ihnen kurz erklären. Ich will noch mal sagen, wir haben ein tolle Berufsausbildung in Deutschland und deshalb werden wir im Inland die Berufsorientierung junger Menschen stärken. Da brauchen wir nicht nur Master; wir brauchen auch Meister in Deutschland. Aber gleichzeitig müssen wir auch anerkennen, dass es in anderen Ländern gut ausgebildete Menschen gibt in anderen Ausbildungssystemen. Die Berufsanerkennungsverfahren von Fachkräften, die wir nach Deutschland holen, dauern viel, viel zu lange. Deshalb reicht es zukünftig, dass man einen Arbeitsvertrag in Deutschland hat und eine Qualifikation, die im Herkunftsland anerkannt ist, und dann werden wir die Berufsanerkennung in Deutschland, während die Menschen schon arbeiten, nachholen, damit das keine Eintrittshürde ist, und im Zweifelsfall auch zusätzlich qualifizieren.
Das ist, glaube ich, ein pragmatischer Weg, weil wir können uns die Arroganz, dass wir so tun, als seien nur Menschen in Deutschland gut ausgebildet, nicht leisten. Im Gegenteil! Wenn Sie mal an Indien denken und wir zum Beispiel IT-Fachkräfte für Deutschland gewinnen wollen, dann können wir uns Hochnäsigkeit nicht leisten. Wir brauchen Arbeitskräfte. Es kommen Menschen und deshalb sind die herzlich willkommen in Deutschland.
Armbrüster: Dann lassen Sie uns kurz bei der handwerklichen Ausbildung in Deutschland bleiben. Was sagen Sie einem deutschen Auszubildenden, der gerade drei Jahre Ausbildung vor sich hat, möglicherweise anschließend auch noch einen Meister machen will? Das dauert dann auch noch mal. Was sagen Sie dem, wenn der jetzt sieht, dass jemand aus einem anderen Land hier nach Deutschland kommt, die gleichen Arbeitschancen hat, die gleichen Chancen am Arbeitsmarkt, und nur eine Ausbildung hat, die möglicherweise ein paar Monate, vielleicht ein Jahr gedauert hat?
Heil: Der muss keine Sorge haben, denn seine Ausbildung zählt, und eine gute Ausbildung ist immer noch die beste Eintrittskarte in ein Erwerbsleben.
Armbrüster: Aber er oder sie haben damit möglicherweise mehrere Jahre länger gebraucht als der oder die andere.
Heil: Ja! Aber wir haben im Gesetz Vorkehrungen getroffen, dass eins stattfindet. Wir werden die inländischen Potenziale heben. Wir werden Berufsausbildung stärken und gleichzeitig Fachkräfte anwerben, aber zwei rote Linien gibt es dabei. Erstens: Es wird keine Einwanderung in die Sozialsysteme geben, sondern in den Arbeitsmarkt. Und zweitens: Es wird keine Einwanderung zur Lohndrückerei werden. Das ist auch übrigens der Grund, warum unsere Gesetze gleichzeitig von Wirtschaft und Gewerkschaften begrüßt werden, und das ist auch gut so.

Qualifizierte Einwanderung zur Fachkräftesicherung

Armbrüster: Wenn wir so viele Frauen und Männer brauchen, die hier bei uns arbeiten, wenn Sie auch dann diese Abstriche machen bei Ausbildungsstandards, warum kann die Bundesregierung dann nicht gleich sagen, hier bei uns in Deutschland ist jeder Einwanderer willkommen, egal ob er schon eine Jobzusage hat oder ob er als Asylbewerber kommt?
Heil: Nein, das darf man nicht vermischen. Wir müssen die Dinge sortieren. Es geht tatsächlich um qualifizierte Einwanderung. Das ist notwendig als Beitrag zur Fachkräftesicherung, neben den inländischen Potenzialen. Das muss man unterscheiden von den humanitären Verpflichtungen, die wir haben, wenn Menschen zum Beispiel aus dem Iran vor politischer Verfolgung fliehen. Das tun Frauen beispielsweise gerade. Oder, wenn wir Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine aufnehmen.
Ich bin dafür, dass wir das sauber unterscheiden und übrigens damit Einwanderung, legale Einwanderung auch steuern, die wir brauchen, in den Arbeitsmarkt. Aber gleichzeitig wird die Bundesregierung auch alles tun, um irreguläre Migration nach Deutschland zu reduzieren und die Menschen, die kein Recht haben in Deutschland, auch schneller zurückzuführen. Das gelingt übrigens besser, wenn wir mit Ländern Anwerbeabkommen machen, die legale Wege öffnen und dafür sorgen, dass Menschen, die hier kein Aufenthaltsrecht haben, auch zurück in die Heimat kehren können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.