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Arbeitsrecht
Was die Tarifeinheit für Spartengewerkschaften bedeutet

Angesichts zahlreicher Streiktage bei Lokführern und Fluglotsen denkt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) über ein Gesetz zur Tarifeinheit nach. Damit soll nur noch eine Gewerkschaft mit den Arbeitgebern eines Betriebs Tarifverträge aushandeln. Kleinere Arbeitnehmergruppen wie GDL und GDF sehen darin einen Verstoß gegen das Grundgesetz - und wollen notfalls klagen.

Von Michael Braun | 28.10.2014
    Eine junge Frau mit Kopfhörern wartet am 15.10.2014 im Hauptbahnhof Hannover (Niedersachsen) sitzend auf einen Zug, während im Hintergrund Lokführer stehen.
    Wegen der Streiks der Lokführergewerkschaft GDL müssen Bahnreisende immer wieder Geduld aufbringen. (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Zum Teil halten sie sich noch zurück. Aber dass sich Ärger, Wut und Klagebereitschaft bis hin zum Verfassungsgericht aufbauen, das ist bei allen Spartengewerkschaften zu spüren. Von der Lokführergewerkschaft GDL bekommt man keine Stellungnahme zu den Gesetzesplänen von Andrea Nahles. Erst wolle man den Gesetzentwurf sehen und genau lesen, heißt es auch bei der Fluglotsengewerkschaft GDF, der Gewerkschaft der Flugsicherung. Dort hat heute der Vorstand getagt, sich mit dem Thema befasst und, wie zu hören ist, sich einstweilen ganz gut vertreten gefühlt durch Rudolf Henke, den Vorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Der hatte deutlichen Widerstand aufgebaut. Er sagte dem Deutschlandfunk:
    "Also, wenn es einen Zwang zur Tarifeinheit ohne Ausweg gibt, dann ist das ein massiver Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Die ist im Grundgesetz in Artikel 9 Absatz 3 für jedermann und alle Berufe gewährleistet. Und wenn man jetzt einzelne Arbeitnehmergruppen davon ausschließt, wenn der Staat dieses im Grundgesetz gewährleistete Recht für einzelne Arbeitnehmergruppen, etwa die Ärzte, beseitigt, dann läuft das auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus."
    Die Pilotenvereinigung Cockpit arbeitet an einer Stellungnahme. Das aktuelle Schweigen der Lokführer heißt sicher nicht, dass sie keine Meinung haben. Ihr Gewerkschaftsvorsitzender Claus Weselsky hatte schon in der Vergangenheit angekündigt, ein Gesetz gegen Spartengewerkschaften müsse bis hin zum Verfassungsgericht darauf hin überprüft werden, ob die Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes eingeschränkt werde.
    "Sicherlich ist die Frage, wie lange das dauert, aber auch da sind wir durchaus mutig und bereit, die Frage zu stellen, ob das nicht ziemlich schnell beim Bundesverfassungsgericht landet."
    Auch große Gewerkschaften sehen die geplante Tarifeinheit mit Skepsis
    Auch die großen Gewerkschaften sehen gesetzliche Grenzen gewerkschaftlicher Tätigkeit mit Skepsis. Die IG Metall vermutet, dass vor allem die Arbeitgeber die Tarifeinheit wünschen, um nicht mit zu vielen Gewerkschaften zu viele Verträge abschließen zu müssen und der damit verbundenen Streikbereitschaft kleiner Gruppen ausgesetzt zu sein. Zumindest im Hintergrund wird erläutert, dass die Arbeitgeber oft selbst für eine solche Zersplitterung gesorgt haben. Der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel erinnerte kürzlich daran, dass die Arbeitgeber diesen Prozess offensichtlich wieder zurückholen wollen. Auch er hält etwas von Tarifeinheit, will sie aber nicht um jeden Preis:
    "Ich will noch einmal daran erinnern, dass die Arbeitgeber Motor sind für dieses Thema Tarifeinheit. Und wir sagen: Ja, wir sehen auch Aspekte, die positiv zu werten sind. Wir haben aber zwei ganz klare Prämissen an ein mögliches Gesetzgebungsverfahren. Wir sagen, es muss verfassungskonform und verfassungssicher sein, ein solches Gesetz. Und es darf die Streikfreiheit in Deutschland in keiner Art und Weise einschränken."
    Professor Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie und früher Vorsitzender der Monopolkommission, schlägt statt eines Tarifeinheitsgesetzes einen anderen Weg vor:
    "Ich denke, das wäre ein Punkt, an dem die Politik eigentlich besser ansetzen könnte, genau zu fragen, wann ist eigentlich ein Streik verhältnismäßig. Hier müssten vielleicht neue Richtlinien mal eingezogen werden, dass bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Streiks auch berücksichtigt wird, wie viel dritte Unbeteiligte, die nicht zum Tarifkonflikt oder zur Lösung des Tarifkonflikts beitragen können, eigentlich betroffen sind. Das ist ja im Verkehrssektor jetzt ganz offensichtlich. Die Reisenden, die Passagiere können nichts beitragen zur Lösung des Tarifkonflikts."
    Der Vorsitzende des Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, warf Frau Nahles politische Feigheit vor. Sie verberge die Absicht, Streikrechte zu begrenzen.