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Arbeitszeitverlängerung in Österreich
Proteste gegen die schwarz-blaue Regierung in Wien

Das Vorhaben der Regierung in Wien, eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden zu ermöglichen, hat am Wochenende zu den bislang größten Protesten gegen die ÖVP-FPÖ-Koalition geführt. Die verteidigt ihr Vorhaben und will es noch diese Woche durchs Parlament bringen.

Von Clemens Verenkotte |
    Mehrere Menschen halten an der Spitze eines Demonstrationszuges ein Banner mit der Aufschrift "Weil der Mensch zählt, daneben sind die Zahlen 12 und 60 durchgestrichen.
    Eine Demonstration des Österreichischen Gewerkschaftsbundes gegen den 12-Stunden-Arbeitstag und die 60-Stunden-Arbeitswoche. (Hans Punz / APA / dpa)
    "Ich will nicht zwölf Stunden arbeiten, wirklich nicht."
    "Zwölf Stunden? Das geht nicht am Tag!"
    "Wir alle denken, dass es endlich Zeit wird, dass wir uns wehren."
    Es waren 80.000 nach Polizei- und über 100.000 Demonstranten nach Gewerkschaftsangaben, die am Samstagnachmittag auf dem Wiener Heldenplatz gegen das Gesetz zur Arbeitszeitflexibilisierung protestierten, darunter auch Ex-Bundeskanzler Christian Kern von den Sozialdemokraten:
    "Das ist mit Sicherheit erst der Beginn, weil die Regierung will da drüber fahren, betreibt Politik im Interesse der Großsponsoren der ÖVP und wenn sie glauben, dass das mit einer Demo vorbei ist, dann irren sie sich gewaltig."
    "Nein zum Zwölf-Stunden-Tag – nein zur 60-Stunden-Wochen": Es war die größte Protestkundgebung gegen die schwarz-blaue Bundesregierung seit deren Amtsantritt im Dezember letzten Jahres. Für landesweite Schlagzeilen sorgte Post-Gewerkschaftschef Helmut Köstinger, der auf der Wiener Großdemonstration am Samstag zum Sturz der "unsozialen Regierung" aufgerufen hatte. Die ÖVP-sprach von einer "nie dagewesen Grenzüberschreitung". So wie es jedem frei stehe, für seine Anliegen auf die Straße zu gehen, sei es "auch legitimiert, dass eine Parlamentsmehrheit das hält, was sie versprochen hat".
    FPÖ verteidigt Arbeitszeitflexibilisierung
    Wie kein zweites Gesetzesvorhaben der ÖVP-FPÖ-Koalition mobilisiert der Vorstoß zur Arbeitszeitflexibilisierung zahllose Arbeitnehmer, Oppositionsparteien und Gewerkschaften. Der Gesetzentwurf wurde unter dem Eindruck erheblicher innenpolitischer Proteste auch vonseiten der österreichischen Bischofskonferenz in der vergangenen Woche in einem Punkt geändert: Jeder Arbeitnehmer könne "frei und ohne Angaben von Gründen" entscheiden, ob er eine elfte oder zwölfte Stunde arbeiten wolle oder nicht, erklärten ÖVP und FPÖ. Auch werde klargemacht, dass der Arbeitnehmer selbst entscheiden könne, wie er letzten Endes zur Abgeltung komme - entweder über mehr Geld oder mehr Freizeit. Die Sozialdemokraten und Gewerkschaften würden "Panikmache" betreiben. Auf einer Sondersitzung im Nationalrat am vergangenen Freitag verteidigte der FPÖ-Abgeordnete Johann Gudenus die Arbeitszeitflexibilisierung mit den Worten:
    "Es bleibt bei der gesetzlichen 40-Stunden-Woche sowie auch bei der Höchstarbeitszeit von 48 Stunden, inklusive Überstunden. Der Unterschied ist nur, dass der Betriebsrat eben nicht mehr seine Macht ausüben kann und seine Kontrollfunktion."
    Dreh- und Angelpunkt der sozialpolitischen Proteste sei, so sagt die Vorsitzende der österreichischen Arbeiterkammer, Renate Anderl, die "Freiwilligkeit", mit der Arbeitnehmer über die Ausdehnung ihrer Tages- und Wochenarbeitszeit entscheiden könnten:
    "Wenn man in der Privatwirtschaft ein-, zwei- dreimal sagt: Ich kann nicht länger bleiben, dann heißt das oft, dass man am Ende des Tages den Job nicht mehr hat."
    Heute kommt es zu weiteren Protestkundgebungen: Die Gewerkschaften kündigten an, landesweit Betriebsversammlungen durchführen zu wollen. Am Donnerstag bereits wollen die Regierungsfraktionen das umstrittene Gesetz im Parlament verabschieden.