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Archäologe Harald Meller
"Krieg ist eine kulturelle Errungenschaft"

Seit wann und warum gibt es Kriege? Dem geht nun das Landesmuseum Halle nach. Museumsdirektor Harald Meller sagte im DLF, es werde zwar bereits seit mindestens 400.000 Jahren getötet, "aber es ist ein Unterschied zwischen einer einzelnen Aggression und planvollem Krieg".

Harald Meller im Gespräch mit Michael Köhler |
    Sonderausstellung unter dem Titel "Krieg" im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle/Saale
    Sonderausstellung unter dem Titel "Krieg" im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle/Saale (picture alliance/dpa/Hendrik Schmidt)
    Michael Köhler: "Krieg - eine archäologische Spurensuche" im Landesmuseum Halle. So heißt die Sonderausstellung, die ab morgen Abend beginnt, und sie ist eine Schau jüngster archäologischer Ergebnisse aus Funden. Schlachtfelder-Befestigungsanlagen wurden dafür ausgestellt. 900 Exponate aus der Steinzeit bis zum Dreißigjährigen Krieg werden gezeigt ab morgen Abend, und den Direktor und Landesarchäologen, Harald Meller, habe ich gefragt: Was ist die Leitfrage Ihrer Ausstellung? Was ist der Anlass?
    Harald Meller: Na ja. Wir machen ganz lange schon Forschung zu Krieg in der Vorgeschichte und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, und diese Forschungen gipfelten in der Schlachtfeld-Archäologie des Schlachtfeldes von Lützen und in der Entdeckung eines großen Massengrabes von dieser Schlacht von 1632, aber auch in der Entdeckung eines Massengrabes der Bandkeramik, also von vor 7.000 Jahren. Wir fanden, das war ein wissenschaftlich und auch historisch sehr wichtiges Thema, da meistens die Betrachtungen des Ursprunges des Krieges vor 5.000 Jahren spätestens mit dem Beginn der Staaten enden, und das greift zu kurz.
    Köhler: Seit der Steinzeit wird getötet, jedenfalls nachweislich mit Pfeil, Bogen und Keule. Das älteste Mordopfer ist vielleicht 430.000 Jahre alt. Welches sind wichtige Exponate bei Ihnen und was können Sie daran zeigen?
    Meller: Das Allerwichtigste ist für uns darzustellen, dass Krieg eine kulturelle Errungenschaft ist. Es wird zwar seit 400.000 Jahren mindestens getötet, aber es ist ein Unterschied zwischen einer einzelnen Aggression und planvollem Krieg. Und planvollen organisierten Krieg gibt es erst seit der Jungsteinzeit, sprich seit der Zeit, als wir Ackerbauern wurden und als wir Grenzen und Besitz hatten. Und dann ist es auch noch mal wichtig festzustellen, dass der Krieg sich dort entwickelt. Die ersten Waffen ganz am Beginn der Kriegsführung sind noch Ackerbaugeräte. Er ist also nicht gleich von Anfang an perfekt da mit Belagerungstürmen und Städten und Mauern und Armeen, sondern von 5.500 vor Christus bei uns, 10.000 vorher im Vorderen Orient, entwickelt er sich über Jahrtausende zu dem, was er dann ist: eine ausgefeilte komplexe Kriegskunst unter Beteiligung großer Armeen. Er ist also nicht vom Himmel gefallen, und das muss man wissen, wenn man sich mit dem Krieg auseinandersetzt, und dazu zeigen wir eine große Menge ganz bedeutender Exponate.
    Köhler: Zu Krieg gehört immer auch Frieden. Die Antike dachte sich Frieden lediglich als eine Art Unterbrechung des Polemos, des dauerhaft kriegerischen Zustandes des Menschen. Kampf um Ressourcen, Nahrung, Territorium, das kennen wir von Anfang an. Ich spreche mit Ihnen auch als jemand, der bekannt ist dafür, die berühmte Himmelsscheibe von Nebra ins Museum geholt zu haben. Passiert das gleichzeitig, zivile Nutzung, Nachdenken über Natur und kriegerisches Handeln?
    Meller: Krieg inkludiert immer Frieden. Nicht umsonst deshalb haben wir nach der zweiten bekannten Schlacht in der Menschheitsgeschichte - die erste war Megiddo, die zweite ist die Schlacht von Kadesch 1074 vor Christus, Ramses II. gegen die Hethiter, also Ägypter gegen Hethiter -, da haben wir dann 20 Jahre später einen formidablen Friedensvertrag, der so perfekt ist und so detailliert, dass er jedem heutigen Friedensvertrag entspricht. Das heißt, von Anfang an gehört zum Krieg auch immer Frieden.
    Köhler: Sie haben auch Funde aus einem Flüsschen an der mecklenburgischen Seenplatte. Da fanden sich Skelette. Sie haben auch ein Massengrab aufgebaut zu einer Art Antikriegsdenkmal. Was kann man an diesen individuellen Funden, an Skeletten und an solchen Dingen sehen und entdecken?
    Meller: Das Massengrab ist von Lützen. Da wurde kein Knochen bewegt, das wurde im Block geborgen, und das ist vielleicht das eindrücklichste Antikriegsmonoment, das ich je gesehen habe, denn der letzte Mensch, der hereingelegt wurde, liegt drin wie ein Gekreuzigter, als wollten uns die bestattenden Bauern von Lützel sagen, dafür also habt ihr gekämpft. Wir können dort herausbekommen, dass die Soldaten des Dreißigjährigen Krieges gehungert haben, dass sie aus Hunger und Not zu Kriegern wurden und dann deshalb als Krieger besser ernährt wurden. Der Hunger machte die Krieger und die Not. Und wir sehen auch, dass sie alle alte Vorverletzungen haben. Keiner läuft also heroisch in die Schlacht, die Leute humpeln eher in die Schlacht, als dass es einen heroischen Aspekt gibt, und den zeigt dieses Massengrab sehr gut. Die Funde aus dem Tollensetal sind äußerst bedeutend. Es ist das erste Schlachtfeld, das entdeckt wurde aus der Bronzezeit.
    Köhler: In Brandenburg.
    Köhler: In Brandenburg etwa 1.300 vor Christus. Und das Erstaunliche ist, dass Tausende von Menschen daran beteiligt sind, denn es liegen Hunderte von Toten in der Fundschicht. Und noch erstaunlicher ist, dass nicht mit Schwertern gefochten wurde überwiegend, sondern mit Holzwaffen, mit cricketschlägerartigen Keulen und mit baseballschlägerartigen Keulen, und einen großen Teil dieser Keulen, die bislang völlig unbeachtet blieben, den zeigen wir in der Ausstellung. Ein großer Teil der europäischen Holzwaffen, die es überhaupt gibt, die sieht man in der Ausstellung. Das ist auch was sehr Interessantes und Neues.
    Köhler: Das sagt Harald Meller, der Direktor und Landesarchäologe zu seiner Sonderausstellung "Krieg - eine archäologische Spurensuche" im Landesmuseum Halle.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.