Mit einem Offenen Brief haben sich deutsche Archäologen und Altertumsforscherinnen an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas gewandt. Darin fordern sie Hilfe und Schutz für afghanische Kolleginnen und Kollegen.
"Ich habe selbst mit mehreren Familien telefoniert", sagte Reinhard Bernbeck, Professor an der FU in Berlin für Voderasiatische Archäologie, im Deutschlandfunk. Er ist einer der Initiatoren des Appells an die Politik. "Kolleginnen und Kollegen die noch in Afghanistan sind, müssen - nach allem, was da jetzt an Unmöglichkeiten auch seitens der deutschen Regierung vorgefallen ist, was Hilfe angeht - sofort und unbürokratisch aus dem Land gebracht werden. Diejeingen, die zum Beispiel mit dem deutschen archäologischen Institut zusammengearbeitet haben oder mit anderen deutschen Institutionen."
Familien aus dem Land holen
Es gehe dabei nicht nur um die Individuen - das sind laut Bernbeck viele Männer - sondern es gehe selbstverständlich auch um deren Familien, Frauen und kleine Kinder. "Unter den jetzigen Umständen eine Frau mit kleinen Kindern in Afghanistan zurücklassen, das ist unmöglich. Da muss man sich nur die Zustände in Afghanistan in den Jahren 1996 bis 2001, als die Taliban geherrscht haben, vor Augen führen." Es gebe keine "Vor-Ort-Lösung" für die Kollegen im Land. "Es gibt nur noch eines: Die müssen in irgendeiner Weise zu dem Flughafen kommen und ausgeflogen werden."
Entwicklung des Taliban-Regimes noch unklar
Die Taliban, die jetzt an der Macht seien, hätten "mit der Kultur so ihr eigenes Verhältnis". Bernbeck erinnerte an die Sprengung der riesige Bamyan-Statuen, aus dem Jahr 2001. Außerdem habe es 2018 einen Anschlag auf Archäologen gegeben, den einer der Kollegen nicht überlebt habe. Deshalb wolle er auch keine Namen seiner Kolleginnen und Kollegen öffentlich nennen.
Ob es wieder zur Zerstörung kultureller Schätze kommen werde, lasse sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht absehen, so Bernbeck. "Es kann ja sein, dass sich dieses Regime in etwas entwickelt, was ein bisschen wie das saudi-arabische Regime ist. Harte, furchtbare Strafen, für die, die gegen das Regime sind - aber mit denen arbeitet ja der Westen seit Jahrzehnten zusammen."
Sicherheit von ethnischen Gruppen könnte in Gefahr sein
Bernbeck hat selbst humanitär seit 1991 immer wieder in Afghanistan gearbeitet. Vor allem vor 1996 habe eine zersplitterte Machtkonstitution im Land existiert. Aber auch nach 2001 sei mal jemand "Polizeidirektor" tagsüber gewesen in einer größeren Stadt, und nachts Anführer einer dörflichen Miliz. Noch könne man nicht vorhersagen, wie strikt organisiert ein Staatswesen der Taliban sein werden. "Und davon wird sehr abhängen, wie sicher einzelne Gruppierungen und vor allem die Hasara sind.
Vor wenigen Tagen war nach Medienberichten die Statue des Hasara-Märtyrers Abdul Ali Mazari geköpft worden, der 1995 von den Taliban getötet worden war. "Es ist sicher ein sehr schlechtes Anzeichen, wenn das jetzt schon passiert ist, denn das bedeutet, dass ethnische Konflikte wieder aufflammen werden und das führt natürlich zu Gewalt gegen Zivilisten", so Bernbeck. Das sei das Schlimmste an der ganzen Sache.
"Auch als Archäologe kann ich nur sagen, im Moment, in diesem Moment, zählen Menschenleben weitaus mehr als jede dingliche kulturelle Hinterlassenschaft."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.