Das Jahr 79 nach Christus. Jahrhunderte lang hatte der Vesuv Ruhe gegeben, doch plötzlich speit der Berg Rauch und Feuer. Heiße Asche regnet vom Himmel, rot glühende Lava wälzt sich die Hänge hinab und begräbt ganze Städte unter sich - Pompeji und Herculaneum.
"Das war natürlich ein schreckliches Ereignis. Aber für die Altertumsforschung und für unser Wissen über die Antike sind diese Ruinen höchst wichtige Quellen."
Bereits im 18. Jahrhundert stieß man bei Ausgrabungen in Herculaneum auf einen besonders spektakulären Fund, sagt Vito Mocella vom Institut für Mikroelektronik und Mikrosysteme in Neapel. Eine Bibliothek mit 1800 Papyrusrollen, eine archäologische Kostbarkeit.
"Das Problem: Die Rollen sind äußerst zerbrechlich. Sie sind so stark verkohlt und vertrocknet, dass eine leichte Berührung reicht, und sie fallen auseinander."
Bislang hieß es: Lesen oder erhalten?
Immerhin: Bei einem Teil der Rollen gelang es im Laufe der Zeit, sie behutsam zu öffnen und teilweise zu entziffern - was den Gelehrten neues Wissen über die Philosophen der Antike bescherte. Nur: Nicht wenige der Rollen gingen bei den Öffnungsversuchen kaputt und waren damit unwiederbringlich verloren.
"Mittlerweile wurde das Öffnen der Papyrusrollen gestoppt - es hat sich als zu gefährlich für die Dokumente erwiesen. Und deshalb haben wir nun versucht, ein zerstörungsfreies Röntgenverfahren zu entwickeln, mit dem sich der Inhalt ohne Risiko lesen lässt."
Das Problem dabei: Der verkohlte Papyrus und die Tinte, mit der die Texte geschrieben worden waren - beides besteht vor allem aus Kohlenstoff. Zwischen Stoffen mit solch ähnlicher chemischer Zusammensetzung können konventionelle Röntgenverfahren nicht unterscheiden, sie taugen also nicht zum Durchleuchten der Kulturschätze.
Mit Phasenkontrast die Tinte finden
Deshalb entschieden sich Mocella und seine Kollegen für eine noch junge Methode - das Phasenkontrast-Röntgen.
"Dieses Verfahren misst nicht nur, wie viel Röntgenstrahlung eine Probe absorbiert, also verschluckt. Es misst auch, wie stark die Röntgenstrahlung von irgendwelchen Strukturen innerhalb einer Probe abgelenkt wird. Genau dadurch lässt sich die Tinte erkennen. Denn sie ist beim Schreiben nicht ganz in den Papyrus eingedrungen, sondern ragt wie ein Mini-Relief aus der Oberfläche heraus."
Dieses Tinten-Relief lenkt die Röntgenstrahlung ein wenig anders ab als der unbeschriebene Papyrus und verrät sich in der Aufnahme als dunkler Schatten. Allerdings funktioniert die Methode nur mit einem speziellen, laserähnlichen Röntgenlicht, erzeugt von einem Teilchenbeschleuniger in Grenoble. Dort haben die Forscher um Vito Mocella eine der Rollen aus Herculaneum durchleuchtet. Das Ergebnis:
"Im Prinzip können wir die Texte in einer verkohlten Papyrusrolle erkennen. Wir konnten sogar Buchstaben tief im Inneren der Rolle sichtbar machen. Ganze Textpassagen aber haben wir noch nicht enträtselt. Der Grund: Die Analyse der Messdaten ist kompliziert und langwierig. Für die Analyse längerer Texte brauchen wir spezielle Computeralgorithmen. Und die entwickeln wir gerade."
Philodemus ein wahrscheinlicher Autor
Dann will Mocella mehrere Hundert der antiken Rollen scannen und hofft, große Teile der Inhalte decodieren zu können. Doch zumindest ein Geheimnis - so glauben die Forscher - scheint schon gelüftet:
"Wir haben den Schreibstil der Buchstaben analysiert und sind uns jetzt ziemlich sicher, dass das Schriftstück aus dem ersten Jahrhundert vor Chrristus stammt. Und wir glauben, dass es sich bei dem Autor um den Philosophen Philodemus handelt. Denn die Handschrift ist doch sehr ähnlich wie die auf einer anderen, bereits geöffneten Papyrusrolle, die definitiv von Philodemus stammt."