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Archäologie-Streit in Israel
Wo wurde Petrus geboren?

Die Meldung ging um die Welt: Ein Archäologe will am See Genezareth den Geburtsort von Petrus entdeckt haben. Allerdings wurde Bethsaida schon einmal entdeckt. Wissenschaftler liefern sich jetzt einen Wettstreit, wo das wahre Bethsaida ist. Die Benediktiner nebenan bleiben gelassen.

Von Benjamin Hammer |
    Bauzaun an der Ausgrabungsstätte, an der der israelische Archäologe Mordechai Aviam die antike Stadt Bethsaida gefunden haben will.
    Bauzaun an der Ausgrabungsstätte, an der der israelische Archäologe Mordechai Aviam die antike Stadt Bethsaida gefunden haben will. (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    Eine Schotterpiste nördlich des Sees Genezareth. Der See ist nur wenige hundert Meter entfernt, im Hintergrund: Die Berge des Golan. Die Piste soll zur einstigen Heimat von drei Männern führen: Petrus, Andreas und Philippus, wichtige Anhänger des Jesus von Nazareth - aus christlicher Sicht: Drei der so genannten "Zwölf Apostel". Am Ende der Schotterpiste steht der israelische Archäologe Mordechai Aviam vor einer Grube. Vier Parzellen haben er und seine Kollegen ausgehoben. Zu sehen sind alte Steine, eine antike Säule. Mehrere Schichten wurden freigetragen.
    "Wir haben Belege, die nie zuvor in den Händen von Wissenschaftlern waren. Obwohl wir erst am Anfang unserer Ausgrabungen stehen, haben wir die Überreste eines römischen Badehauses gefunden. So etwas gab es nur in größeren Städten. Wir denken: Das ist ein Hinweis, dass hier einst die römische Stadt Julias stand. Und wenn wir Julias gefunden haben, dann haben wir auch Bethsaida."
    "Mein Telefon stand nicht mehr still"
    Eine Verbindung zwischen Bethsaida und Julias: Sie geht zurück auf Aufzeichnungen des jüdischen Gelehrten Josephus Flavius. Der schrieb vor rund 2000 Jahren: Aus dem Fischerdorf Bethsaida habe der Herrscher Herodes Philippos einst die Stadt Julias gemacht. Mordechai Aviam zeigt in eine der Gruben. Schichten aus mehreren Epochen haben die Archäologen freigelegt. Ganz unten: Funde aus dem ersten Jahrhundert nach Christus: Die Wissenschaftler fanden römische Münzen und ein Mosaik. Seitdem Aviam seinen Fund veröffentlichte, steht sein Telefon kaum mehr still.
    Der israelische Archäologe Mordechai Aviam vor seiner Ausgrabungsstätte.
    Der israelische Archäologe Mordechai Aviam vor seiner Ausgrabungsstätte. (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    "Es hat mich sehr überrascht, was in dieser Woche passiert ist. Ich habe sehr wichtige archäologische Stätten ausgehoben. Aber so etwas ist mir noch nie passiert. Das Interesse ist riesig. Ich merke: Wenn man die sensiblen Wurzeln der Apostel und von Jesus berührt, hat das enorme Auswirkungen. Es ist doch so: Die Christen kommen ins Heilige Land. Sie wollen Orte besuchen, von denen sie glauben: Hier ist es wirklich passiert. Das fördert ihre Stärke, ihre Leidenschaft."
    Der jüdische Gelehrte Josephus Flavius (37 n. Chr. - 100 n. Chr.). Auf ihn geht die Verbindung zwischen Bethsaida und Julias zurück.
    Der jüdische Gelehrte Josephus Flavius - wichtige Quelle für Archäologen und Bibelwissenschaftler (imago / United Archives International)
    Wer sich nun auf den Weg zum See Genezareth macht und Bethsaida wahrhaftig erleben will, der könnte enttäuscht werden. Denn wo sich dieser Ort befindet, ist längst nicht geklärt. Mehr noch: Es gibt bereits ein angebliches Bethsaida. Es liegt nur zwei Kilometer von der aktuellen Ausgrabungsstätte entfernt und wurde vor rund 30 Jahren entdeckt. Der Archäologe Mordechai Aviam bezweifelt, dass sich Bethsaida an diesem Ort befindet, weil es keine Nachweise für eine römische Stadt gebe.
    "Den Glauben nicht an Steine hängen"
    Im Benediktinerkloster Tabgha, das sich ebenfalls am Nordufer des Sees Genezareth befindet, beobachten die Mönche die neue Debatte aufmerksam, aber voller Gelassenheit. Ein mittlerweile verstorbener Mönch des Klosters, Bargil Pixner, hatte damals die erste angebliche Stätte mit entdeckt.
    "Als wir dann hörten, oh, jetzt gibt es an einem anderen Ort das angebliche Bethsaida, hat uns Pater Bargil etwas leidgetan. Aber er ist längst gestorben also hat er jetzt ganz andere Freuden, als zu Lebzeiten. Von daher: Es ist für ihn jetzt okay und für uns auch okay."
    Benediktinermönch Matthias setzt sich für ein entspanntes Verhältnis zur Historizität des Neuen Testamentes ein. Für ihn ist die Botschaft der Bibel wichtiger, als genau zu wissen, wo sich etwas ereignet hat. Der Benediktiner steht in der Brotvermehrungskirche von Tabgha. Unter dem Altar: Ein alter Felsen. Genau hier soll Jesus das Wunder der Brotvermehrung vollbracht haben. Eine Frau kniet nieder und küsst den Stein. Geht es nach dem Archäologen Aviam, dann küsst die Frau wahrscheinlich den falschen Felsen. Denn auch die Brotvermehrung könnte sich an seiner Fundstelle ereignet haben. Pater Matthias weiß, wie viel Orte und Objekte den Pilgern bedeuten. In Gesprächen versucht er, das dann einzuordnen.
    "Wir dürfen unseren Glauben nicht an Steine hängen. Unser Glaube hängt an einem lebendigen Gott. Und von diesem lebendigen Gott erzählt uns zu allererst mal die Bibel. Und wenn es mir gelingt, den Menschen dahin zu führen, dass er sich danach sehnt, zumindest zu verstehen: Was sagt das Evangelium mir heute? Dann ist der Ort plötzlich auch nicht mehr wichtig."
    Keine Angst vor dem Scheitern
    Offenheit fordert der Ordensmann ein für "neue archäologische Erfahrungen", wie er das nennt. Der Archäologe Mordechai Aviam würde bei dieser Aussage wohl mitgehen. Auf 65 Prozent schätzt er die Chancen, dass er beweisen kann, dass sich Bethsaida tatsächlich an seinem Fundort befindet. Und wenn er scheitert? Nicht so schlimm, sagt Aviam.
    "Ich bin Wissenschaftler", sagt der israelische Archäologe. "Wenn mir jemand morgen beweist, dass ich Unrecht habe, dann habe ich kein Problem damit."