UNESCO-Welterbe
"Archäologisch ein Katastrophengebiet" - Wie es um Syriens einzigartige historische und kulturelle Schätze nach Assads Sturz steht

Syrien gilt als "Wiege" der Kultur, der Zivilisation, der Menschheit. "Hier waren sie alle", schrieb die Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" schon 1998: Steinzeitmenschen, Sumerer, Ägypter, Assyrer, Hethiter, Griechen, Perser, Römer, die ersten Landwirte und die ersten Städtebauer. "In Syrien ist die Historie der menschlichen Zivilisation selbst Geschichte – wissenschaftlich greifbar seit weit über 12.000 Jahren."

    Die antike Oasenstadt Palmyra gehört zu den herausragenden Beipsielen für das UNESCO-Welterkulturerbe in Syrien.
    Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien richten sich weltweit viele Augen auf die künftige Bewahrung der einzigartigen, Jahrtausende alten Kulturschätze Syriens. (Archivbild) (imago stock & people)

    Was macht Syriens historisches und kulturelles Erbe so besonders?

    Sechs Orte in Syrien gehören zum UNESCO-Welterbe:
    1. die Altstadt von Aleppo, der bedeutenden Handelsmetropole an der alten Seidenstraße,
    2. die Altstadt von Damaskus, der seit mehr als 6.000 Jahren am längsten durchgängig bewohnten Stadt der Welt, die von über 30 Zivilisationen und drei Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam) geformt wurde,
    3. die Ruinen von Palmyra (auch Tadmur genannt), jener antiken Stadt, die unter Königin Zenobia im 3. Jahrhundert kurzzeitig unabhängig war,
    4. das Amphitheater von Bosra,
    5. die Kreuzritterburg Krak des Chevaliers und
    6. die antiken Dörfer Nordsyriens (auch tote oder vergessene Städte), wo sich zum Beispiel der syrische Kirchenbau von der Dorfkirche bis zur Kathedrale entwickelte.
    Hinzu kommen zahlreiche weitere historische Orte wie Ugarit, der in der Bronzezeit ab 2.400 vor Christus bezeugte Stadtstaat, in dem die ältesten Beispiele für ein alphabetisches Schriftsystem und für die Notation eines Musikstücks gefunden wurden; die Dörfer und Klöster im Gebirge um Maalula, wo als einzige Orte weltweit noch teilweise ein Zweig der Sprache Jesu gesprochen wird: das Neuwestaramäisch; die griechisch-hellenistische Stadt Dura Europos mit ihren so umfangreichen archäologischen Entdeckungen; die Säulenstraßen von Apameia am Orontes und unzählige Orte mehr.
    Der syrische Boden ist nach wie vor voll von Artefakten und Ruinen. Die Hoffnungen auf noch ältere Funde sind groß, schrieb einst Bild der Wissenschaft. Daran hatte sich auch im Bürgerkrieg nichts geändert. Trotz aller Gefahren blieb die Archäologie im Land aktiv. So wurde erst jüngst in Rastan nahe Homs ein beeindruckendes römisches Mosaik gefunden.

    Wie groß ist die Zerstörung in Syrien nach Bürgerkrieg, Erdbeben und dem Sturz des Assad-Regimes?

    Kaum eine der berühmten historischen Stätten ist vom Krieg verschont geblieben. Nach nicht einmal einem Jahr Bürgerkrieg konstatierte bereits die britische Archäologin Emma Cunliffe 2012 im "Time"-Magazine, alle sechs UNESCO-Welterbestätten seien durch Raketen-, Panzer- und Kleinwaffenbeschuss beschädigt worden. Einige davon "möglicherweise irreversibel". Archäologisch sei Syrien ein "Katastrophengebiet".
    Die Vizedirektorin des Welterbeprogramms der UNESCO, Mechthild Rössler, erklärte nur zweieinhalb Jahre später im Deutschlandfunk, der syrische Bürgerkrieg habe historische Schätze in einem Ausmaß zerstört, die mit keinem anderen Konfliktherd in der Welt vergleichbar seien.
    In Syrien waren zahlreiche Kriegsparteien an Kampfhandlungen beteiligt - darunter die USA, Israel, Russland, Iran und Hisbollah. Vor allem die syrische Armee von Diktator Assad und ihr Verbündeter Russland haben Städte und Orte teils flächenmäßig bombardiert, um die Aufständischen zurückzudrängen. Erst vor drei Wochen griff die israelische Armee Ziele nahe Palmyra an, um die Bewaffnung seiner Feinde zu verhindern. Dieses Gebiet in der zentralsyrische Wüsten war mehrfach Austragungsort schwerer Kampfhandlungen. 2015 nahmen Dschihadisten der Terrormiliz IS den Ort ein. In gut zwei Jahren ihrer Herrschaft dort ermordeten sie zahlreiche Menschen, darunter den 81-jährigen früheren Chef-Archäologen von Palmyra, Khaled Asaad. Zudem zerstörten sie aus ideologischen Gründen gezielt mehrere der weltberühmten Kulturdenkmäler Palmyras.
    Zu Beginn des Bürgerkriegs war vor allem Aleppo am stärksten von den Kampfhandlungen betroffen gewesen, wie der damalige UNESCO-Kultur-Unterdirektor Francesco Bandarin im Deutschlandfunk Kultur erklärte. Basar, Moschee und Minarette dort seien zerstört worden. Zehn Jahre später dann, 2023 sorgte das schwere Erdbeben in Syrien und der Türkei mit Zehntausenden Opfern für weitere Schäden. Der UNESCO zufolge traf es wiederum vor allem die altertümliche Stadt von Aleppo. Auch die mächtige Zitadelle aus dem 13. Jahrhundert wurde dabei beschädigt.

    Was müssten Syrien und die Welt tun, um zu retten, was zu retten ist?

    Politik und Organisation fordern zunächst zwei Schritte. Erst einmal müsse sichergestellt werden, dass keine weiteren Schäden entstehen. Syrien habe eine Verantwortung vor der gesamten Weltgemeinschaft, der sich keine Regierung des Landes entziehen könne, appellierte der Verein "World Heritage Watch" an die neuen Machthaber. Die Europäische Union forderte nach dem Sturz des Assad-Regimes alle Seiten auf, das reiche kulturelle Erbe und die religiösen Denkmäler Syriens zu schützen. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch betonte, es sei sicherzustellen, dass nicht geplündert oder zerstört werde.
    Wenn der Schutz gewährleistet ist, muss zunächst eine Schadensaufnahme erfolgen. Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) rief dazu auf, die Schäden zu dokumentieren. Die Leiterin der DAI-Außenstelle Damaskus, Claudia Bührig, sagte im Deutschlandfunk, Denkmalpfleger des syrischen Antikendienstes hätten in den vergangenen Jahren zusammen mit russischen und auch polnischen Kollegen bereits erste Schritte dazu unternommen. Da der Antikendienst aber nicht alles leisten könne, sei die Eigeninitiative der Bürger vor Ort gefragt. Handy-Aufnahmen Geflüchteter könnten zum Beispiel helfen, Schadensbilder zu erstellen. Die Frage, wie mit den Zerstörungen umgegangen werde, könnten aber nur die syrischen Fachleute selbst beantworten.
    "World Heritage Watch" wirbt bei der UNESCO und der internationalen Gemeinschaft dafür, den neuen Machthabern in Syrien unverzüglich unbürokratische Hilfe beim Schutz des kulturellen Erbes anzubieten und eng mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten.
    Diese Nachricht wurde am 18.12.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.