Mitten zwischen alten Mauern, Amphitheater und rekonstruierter Tempelruine aus der Römerzeit befindet sich die Ausgrabungsstätte der Archäologischen Sommerakademie. Obwohl die Sonne über dem Archäologischen Park in Xanten gerade erst aufgegangen ist, sitzt Marius Rositzka aus Freiburg bereits in der Grube: Die sieht von oben betrachtet aus wie ein rechteckiges Loch im Boden, das in mehrere Abschnitte eingeteilt ist.
"Der Wecker klingelt bei uns im Zimmer um sechs Uhr, wir hatten auch mal 5:30 Uhr aber davon sind wir dann doch wieder abgekommen. Um sieben müssen wir dann hier auf der Fläche stehen, dann geht jeder so seinen Ausgaben nach, manchmal muss man Funde waschen gehen, manchmal graben, manchmal wie wir das jetzt machen zeichnen die Dokumentation anlegen."
Für den 21-Jährigen aus Freiburg ist es die allererste Ausgrabungserfahrung. Er ist einer von insgesamt 30 Studierenden, die an der Akademie teilnehmen. Die Plätze in der Sommerakademie sind ausgesprochen begehrt, mehr als 100 Bewerbungen gibt es für die 30 Plätze. Ein solches Angebot ist selten. Als Marius vor zwei Wochen seine erste kleine Keramikscherbe findet, ist er ganz aus dem Häuschen.
"Das war ein tolles Gefühl, weil ich hab das immer so gehabt, die sechs Semester, die ich Archäologie schon mache, man hört halt immer da und da ist das und das gefunden worden, hier wurde ein spektakuläres Objekt gefunden, aber das hier mal wirklich live in der Hand zu haben, ist halt schon noch mal ein ganz anderes Ding. Das Gefühl mit dem ich es am ehesten beschreiben würde, ist Ehrfurcht, weil man hat etwas in der Hand, das vor 2000 Jahren irgendjemandem was bedeutet hat, der es benutzt hat und wo man Einblick in die Lebenswelt bekommt. Wenn man das wirklich in der Hand hält und sich denkt, scheiße das hat wirklich mal jemandem gehört und dieser Jemand ist lange tot, ich hab das heute in der Hand und kann daraus Ableitungen treffen, das ist was mich an der ganzen Sache so reizt."
Fotografieren und Vermessen von freigelegten Mauern
Damit Studentinnen und Studenten genau so eine Erfahrung überhaupt erleben können, gibt es die Archäologische Sommerakademie in Xanten. Hier lernen sie das Fotografieren und Vermessen von freigelegten Mauern, und auch den richtigen Umgang mit frisch geborgenen Funden. Von 7 Uhr bis 13 Uhr graben, zeichnen und schaben die Studierenden im so genannten Schnitt. Meistens auf allen vieren, das geht in Knie und Rücken. Nach dem Mittagessen gibt es Workshops und Seminare. Neben großer Konzentration, ist bei der Ausgrabung vor allem auch Geduld gefragt.
"Als wir hier das Planum abgetragen haben, also diese ganze Schicht, da muss man sich eher gedulden, dass man nicht schneller gräbt, damit man noch mehr Sachen findet, da muss man sich ein bisschen zügeln. Sobald man Objekte in der Hand hat und anfängt darüber nachzudenken, ist die Geduld eigentlich eher die, dass man sich selber ein bisschen zurück nehmen muss, dass man da nicht komplett drauf los schießt. Gerade jetzt, weil es die erste Grabung ist, da achtet man auf jedes kleine Objekt. Wenn man so einen kleinen Knochensplitter findet, dann ist man direkt so krass, krass, krass, wo kommt der her, was macht man damit und so weiter und so fort."
Im abgetrennten Rechteck, gleich neben Marius Rositzka, ist Marco Rossini aus Italien eifrig bei der Arbeit.
"Momentan, was wir tun, ist von erste Stratum auf die vierte Planung zu gehen, das heißt, dass wir eine Fläche runter graben. Wir haben davor gemessen und wir werden jetzt zehn Zentimeter runter, wir graben jetzt so, damit die Oberfläche auf demselben Niveau ist."
Für den 21-Jährigen bedeutet diese Arbeit höchste Konzentration, er darf auf keinen Fall zu viel auf einmal abtragen oder die verschiedenen Erdschichten versehentlich vermischen, sonst sind die Erkenntnisse aus dem Boden für immer verloren. Und diese sogenannten Fundumstände sind genau so wichtig wie der einzelne Fund selbst, erklärt Grabungsleiter Michael Drechsler den Studierenden - auch wenn das Schicht-für-Schicht-Arbeiten manchmal etwas eintönig sein kann:
"Weil mit dem Bergen des Fundes gehen diese Fundumstände für immer und ewig verloren, weil man mit der Ausgrabung das zerstört, den Zusammenhang und damit der auch in 100 Jahren rekonstruiert werden kann , müssen die Fundumstände sehr genau dokumentiert werden."
Learning by doing
Michael Drechsler trägt die Verantwortung für die Grabungsarbeiten und steht den Studierenden hilfreich zur Seite, ein Geheimrezept wie man richtig gräbt, gibt es nicht: Man muss es einfach selber machen und ausprobieren- Learning by doing. Felix Eder aus Wien tastet sich da aber lieber langsam ran. Bloß nichts kaputt machen!
"Ich bin da sehr zögerlich sehr oft, dass ich sehr zögerlich von den Scherben die Erde wegputze, aber ich vertraue da durchaus auf die Fertigkeiten unserer Restauratoren."
Am Wochenende ist eigentlich nur Freizeit angesagt. Morgen, am Sonntag, wartet jedoch eine besondere Aufgabe auf die Studierenden. Bei der Aktion "Sonntag live" arbeiten sie direkt vor den Augen der Parkbesucher. Felix Eder ist ein wenig aufgeregt.
"Es ist eine sehr, sehr exponierte Lage hier, da die Besucher vorbeikommen und hereinblicken. Man ist etwas auf dem Präsentierteller aber wenn man sich dann in die Schnitte begibt, fühlt man sich eher wie ein Erdmännchen."
Um bei dieser Sommerakademie mitzumachen, brauchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer keine Grabungserfahrungen. Alles was sie wissen müssen, lernen sie vor Ort. Ihr neu erlerntes und erprobtes Wissen lässt die Studierenden träumen, so auch Marius Rositzka.
"Wo ich am allerliebsten mal graben würde, ist die kleine Asiatische Küste, weil das ist auch der Teil der Antiken Kultur, der mich am meisten interessiert. Ich finde die Formen, die die da haben noch ästhetischer als im griechischen Mutterland, das wär mein absolutes Traumziel und dann eine konkrete Stadt wäre Milet. Einfach nur, weil allein schon der Name Milet, der hat so einen kleinen magischen Klang bei mir im Ohr gehabt, da hab ich gedacht, da müsste ich unbedingt mal ausgraben."