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Archäologischer Fund im Harz
Schon Neandertaler waren kreativ

In der Einhornhöhle im Harz ist ein von Neandertalern beschnitzter Knochen eines Riesenhirsches gefunden worden, der mehr als 50.000 Jahre alt ist. Das sei ein sensationeller Fund, sagte der Prähistoriker Thomas Terberger im Dlf. Denn damit zeige sich, "dass uns der Neandertaler praktisch ebenbürtig war".

Thomas Terberger im Gespräch mit Jörg Biesler |
Der ca. 51.000 Jahre alte, verzierte Riesenhirschknochen von der Einhornhöhle
Der ca. 51.000 Jahre alte, verzierte Riesenhirschknochen von der Einhornhöhle (V. Minkus, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege)
Das Artefakt ist 10.000 Jahre älter als bisherige Funde auf der Schwäbischen Alb - zum Beispiel die Venus vom Hohlefels, die als älteste Darstellung eines Menschen gilt oder die Flöte aus einem Schwanenknochen, die zeigt, dass die Menschen damals Musik gemacht haben. Diese Funde stammen von anatomisch modernen Menschen, die vor etwa 40.000 Jahren aus Afrika nach Europa kamen.

Älter als alle vergleichbaren Funde

Prähistoriker Thomas Terberger vom niedersächsischen Amt für Denkmalpflege äußerte sich im Dlf begeistert: "Auf den ersten Blick sieht es wie ein kleiner unscheinbarer Knochen aus, er ist nur sechs Zentimeter groß, aber als wir diesen gereinigt haben, stellten wir fest, dass sich mehrere Kerben in regelmäßer Anordnung darauf befinden, die zusammen ein wirklich interessantes Muster ergeben."
Zunächst habe man überprüft, ob die Kerben Schnittspuren von der Zerlegung eines Tieres gewesen sein könnten, so Terberger. "Aber uns wurde schnell klar, dass das ausgeschlossen ist, weil die Kerben viel zu tief sind." Solche Kerben erforderten einen größeren Aufwand, um sie mit Steinwerkzeugen in die Knochenoberfläche zu schnitzen. Schon bald sei man sich sicher gewesen: "Hier muss es sich um ein bewusst angelegtes Muster handeln."
Der Neandertaler bekommt ein neues Gesicht. Die Künstlerin Elisabeth Daynès aus Paris hat auf Basis der Knochen, dem berühmtesten Rheinländer eine neue Gestalt gegeben.
Kulturgeschichte des Neandertalers - "Weit weg vom keulenschwingenden Grobian" Das LVR-Landesmuseum in Bonn präsentiert anlässlich seiner Wiedereröffnung zum 200-jährigen Bestehen den Neandertaler neu. Der Eiszeit-Mensch habe durchaus schon einen Sinn für Ästhetik gehabt, sagte der Archäologe Ralf W. Schmitz im Dlf.
Eine Sensation, wie der Prähistoriker bestätigte. Zunächst habe man den Knochen auf 30.000 Jahre geschätzt und damit dem Homo Sapiens zugeordnet. Die Untersuchung des Alters ergab dann aber: Dieses Stück ist mehr als 50.000 Jahre alt. Damit konnte das Stück klar seinem Urheber zugeordnet werden: "In dieses Zeit war allein der Neandertaler in Mitteleuropa anwesend. Von daher gab es dann keinen Zweifel: Diese Verzierungen müssen auf den Neandertaler zurückgehen."

Vielleicht ein erstes Bild vom Menschen

Bei dem Knochen handelt es sich um einen Zehknochen des Riesenhirsches, der am Ende der Eiszeit ausgestorben ist. "Der konnte eine Spannweite des Geweihs von bis zu vier Metern erreichen und war damit ein besonders imposantes Tier dieser Zeit - und auch nicht sehr häufig im Eiszeitalter in Mitteleuropa." Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Neandertaler diesen Knochen ganz bewusst für die Verzierungen ausgewählt hat.
Das Muster, das wie aufeinander gestapelte Winkel aussieht, vermittelt dem Forscher-Team den Eindruck einer sehr abstrakten Figur. "Das ist schon ein Stück Spekulation", so Terberger, "aber ich habe den Eindruck, dass es mehr war als eine Verzierung".
Das lange vorherrschende Bild vom eher primitiven Neandertaler müsse revidiert werden. "Das ist der entscheidende Punkt. Dieser Fund spricht dafür, dass der Neandertaler deutlich komplexer interagieren konnte - mit Mustern und vermutlich Symbolen - als wir bislang gedacht haben, und wir es letztlich mit einer Menschenform zu tun haben, die uns praktisch ebenbürtig war."