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Arche-Musikkalender als Weg der Musikvermittlung
Musiker und ihre Karrieren

Seit vielen Jahren fällt die fachkundige und anspruchsvolle Zusammenstellung der Arche-Musikkalender auf: mit historischen Fotos prominenter verstorbener Musiker mitsamt Zitaten zu einem pro Jahr neu gesetzten Thema. Das dreht sich in diesem Jahr um einen Punkt, zum dem jeder professionelle Musiker irgendein Verhältnis haben muss: die Karriere.

Von Matthias Nöther |
    Historisches Foto des Dirigenten Erich Kleiber im Jahr 1953
    Mit dabei im Arche-Musikkalender: der Dirigent Erich Kleiber (imago / United Archives International)
    Ein Wochenkalender über Musikerkarrieren – als Idee scheint das nicht gerade originell zu sein. Und ist im Tagesgeschäft mit der Klassik nicht sowieso schon viel zu viel von den Interpreten und ihren neuesten Engagements die Rede und zu wenig von der Musik selbst? Stimmt alles. Und selbst die Schattenseiten und das Widersprüchliche seiner Existenz mag der eine oder andere Künstler zuweilen im tagesaktuellen Interview durchscheinen lassen – es bleiben trotz allem noch genug Themen übrig, die unterbelichtet sind. Zum Beispiel Geldsorgen, denn darüber wird meist erst posthum geredet, und dann von Anderen. Das Kalenderblatt über Edward Elgar dagegen bedrückt in seiner Konkretheit. Wer weiß schon, dass Elgar, als er seine berühmten Pomp-and-Circumstance-Marches und die Erste Symphonie komponierte, in der schwärzesten Zeit seines Lebens steckte?
    "Ich erhalte einen Haufen Briefe von bekannten und unbekannten Leuten, die mir mitteilen, wie sehr meine Erste Sinfonie ihre Stimmung hebt. Ich wünschte, sie würde auch meine Stimmung heben – ich habe gerade die Miete, Grundsteuer, Einkommenssteuer und eine Reihe anderer Dinge, die heute fällig waren, bezahlt, und es stehen noch Kinder an der Tür, deren Mäuler gestopft sein wollen."
    Musikerkarriere als Mosaikbild
    Das Medium des Kalenders wird vom Arche Verlag als literarische Form genutzt. Und so wird das Thema Musikerkarriere als ein Mosaikbild zusammengesetzt. Es muss im Einzelnen nicht immer berstend Originelles gesagt werden, um den Betrachter durch die Vielzahl der Musikerzitate einen vielgestaltigen Eindruck des Künstlerlebens zu eröffnen. Anekdotisch darf es natürlich öfters mal sein.
    "Das Konzert gestern war noch voller als das erste Mal..."
    erinnert sich etwa in einem Kalenderblatt gleich im Januar der große Dirigent Erich Kleiber aus seinem Wanderleben durch südamerikanische Konzertsäle 1939.
    "In der Pastorale kämpfte ich gemeinerweise gegen einen abgesprungenen Kragenknopf – Szene am Bach: rechtes Kragenzipfel am Kinn; Gewitter: linkes Zipfel – ich tat nichts dergleichen – muss scheußlich ausgesehen haben (rechts über mir der Präsident!), im letzten Satz stopfe ich das unter die Krawatte, und wie der Applaus losdonnerte, verbeugte ich mich einmal, ging ab und riss, während ich durch die Kontrabässe ging, in begreiflicher Wut den Kragen ab und schmiss ihn in die Kulisse beim Hinausgehen, nahm mir ein Taschentuch vor und die Leute brüllten wild – (aber auch, weil die Pastorale wirklich gut war!)".
    Stolz auf Erfolg
    Gleich drei Aspekte einer Existenz als berühmter Musiker streift dieses Zitat von Erich Kleiber: die Verletzbarkeit von Musikern im angeblich so attraktiven Rampenlicht. Den unbedingten Willen, ein gutes Stück Musik abzuliefern. Und den Stolz auf den Erfolg. Dieser Stolz, so erfahren wir im Kalender, lässt noch bei den Ältesten und Abgebrühtesten kaum nach.
    Musik mit Maurice André, Trompete
    "Man braucht eine starke Persönlichkeit, um mit der Trompete Eindruck zu machen. Ein Trompeter ist wie ein Matador in einer Stierkampfarena. Ich sehe Flötisten und Oboisten zaghaft auf die Bühne gehen. Mit der Trompete hätte man so schon verloren. Man muss als Gewinner auftreten."
    ...forderte einst der legendäre Trompeter Maurice André. Seinem Kalenderblatt ist wie zufällig eines über den von Selbstzweifeln zerfressenen Stargeiger Eugéne Ysaye vorangestellt, der an Alkoholmissbrauch starb. Einzelne Aspekte des Themas Musikerkarriere scheinen mit spielerischer Eleganz zwischen den wöchentlichen Kalenderblättern immer wieder auf. Dazu gehört die berufliche Benachteiligung des weiblichen Geschlechts in der Musikwelt. Als Komponistin gab es um 1900 nur zwei Möglichkeiten. Man konnte sehr gezielt und kräftezehrend auf die Barrikaden gehen wie die resolute Britin Ethel Smyth:
    "Nachdem ich die Ouvertüre von "Wreckers" dirigiert hatte, bekam ich Ovationen. Zu Sir Hugh sagte ich: 'Hoffentlich sagt ihr eifersüchtigen Männer jetzt nicht mehr, ich könnte nicht dirigieren!'"
    Oder man gestand sich die schier unüberwindbaren Schwierigkeiten eben ein wie die Französin Cécile Chaminade, die selbst nach dem Tod ihres Mannes nur schwer aus den gesellschaftlich vorgeprägten Mustern ausbrechen konnte:
    "Obwohl ich verheiratet war und jetzt Witwe bin, sehe ich, wie schwierig es ist, das häusliche Leben mit dem Leben einer Künstlerin in Einklang zu bringen. Eine Frau sollte das eine oder andere wählen."
    Feinsinnige Zitatauswahl
    Natürlich kann man das alles auch in Biographien nachlesen – nur dass die meisten zur Biographie einer fast vergessenen Komponistin oder auch eines nur auf knisternden Aufnahmen verewigten Geigers wohl kaum greifen werden. Die feinsinnige Auswahl der Musikerzitate erfordert einen souveränen Umgang mit Musikgeschichte und auch Vertrautheit mit vielen einzelnen Musikerleben der nahen und fernen Vergangenheit. Dass die Kuratorinnen Elisabeth Raabe und Maria Lüken für den Arche Musikerkalender sowohl kundig als auch kurzweilig aus ihren Recherchen schöpfen, dafür kann man 2017 jede Kalenderwoche von neuem dankbar sein.