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Architekt Calatrava in der Kritik
Es bröckelt

Santiago Calatrava ist ein Star. Seine kühn geschwungenen Bauten galten als Ausdruck von Modernität. Doch die Kosten sind immens, der künstlerische Wert umstritten und jetzt ramponieren Baumängel seinen Ruf. Der renommierte Architekturkritiker Llàtzer Moix rechnet mit dem System Calatrava ab.

Von Julia Macher |
    Der Architekt Santiago Calatrava lächelt in die Kamera, im Hintergrund ist der Innenraum des "Oculus"-Bahnhofs in New York zu sehen
    Der Architekt Santiago Calatrava im "Oculus"-Bahnhof in New York. Mit Kosten von vier Milliarden US-Dollar handelt es sich um den teuersten Bahnhof der Welt (imago stock&people/UPI Photo)
    Mit Multi-Media-Spektakel und einem gigantischen Feuerwerk feierte Valencia 2005 die Eröffnung des Palau de les Arts, des kühn geschwungenen, weiß gekachelten Herzstücks seiner "Ciutat de les Arts i les Ciències". Passendes Begleitgeknallere, hatte man für die sechs Makrobauten der Stadt der Künste und Wissenschaften doch 1,3 Milliarden Euro verpulvert - drei Mal so viel wie geplant.
    Gratis dazu gab es abplatzende Kacheln - und nicht nur in Valencia: Im Flughafen Bilbao tröpfelte es durchs Dach, auf den Brücken in Venedig, Murcia und Bilbao rutschten die Fußgänger. Kaum ein Calatrava-Gebäude, das es wegen Baumängel nicht in die Abendnachrichten schaffte. Und kaum einen Vorwurf, den der Architekt nicht zu kontern wusste. Im valencianischen Wissenschaftsmuseum fehlten Toiletten? Der Parthenon-Tempel in Athen habe gar keine und sei auch so ein großartiger Bau. Das Erstaunliche am Phänomen Calatrava: Trotz regelmäßig überzogener Budgets, trotz Baumängel kam er immer wieder an öffentliche Aufträge, sagt Llàtzer Moix, einer der bekanntesten spanischen Architekturkritiker:
    "Calatrava ist ein großer Verführer. Er kann, so erzählt es einer seiner Mitarbeiter, zu einer Krisensitzung einbestellt werden und mit zwei neuen Aufträgen rauskommen. Dazu kam der Konkurrenzdruck zwischen den Städten. Im Rennen um Vorzeigebauten wollte keiner zurückbleiben. Man war davon überzeugt, dass sich solche Investitionen lohnen."
    Für seine Abrechnung mit dem System Calatrava hat Moix Dutzende ehemaliger, meist anonym sprechender Mitarbeiter, öffentliche und private Bauherren und Politiker interviewt und dabei auch das Bild einer Epoche gezeichnet.
    Formel: "Stararchitekt plus irgendwas mit Kultur"
    Während des Booms der 90er- und Nullerjahre wurde Spanien zu einem Paradies für Architekten. Den Ruf der Weltläufigkeit, den sich das Land durch Olympische Spiele und Expo erarbeitet hatte, galt es zu zementieren. Um jeden Preis. Zwischen Pyrenäen und Gibraltar eiferte jede größere Stadt Bilbao nach und hoffte auf Erfolg durch die Guggenheim-Formel "Stararchitekt plus irgendwas mit Kultur". Jean Nouvel betreute zeitweise zehn, Zaha Hadid und Norman Foster sechs Projekte gleichzeitig. Doch während deren Projekte zumindest grob den Vorgaben des Standortes und der Bauherren folgten, bestimmte bei Calatrava allein Calatrava. In Valencia jubelte der Architekt der Regionalregierung eine Multifunktionshalle unter, die bis heute niemand braucht. Spaniens politische Klasse war verliebt in den genialischen Landessohn. Mit seinem Modernität verheißenden, strahlenden Weiß, seiner skulpturalen Ästhetik und dem exorbitanten Gestaltungswillen, dem sich alles unterzuordnen hatte, traf Calatrava - so Moix - den Nerv. Denn in den Amtsstuben urteilte man nicht nach architektonischen Kriterien, sondern nach persönlichem Geschmack.
    Die Oper von Valencia
    Das von Santiago Calatrava entworfene Oper- und Kulturhaus "les Arts" in Valencia (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    "Calatrava behauptet zwar, er habe ein reiches formales Register. Tatsächlich ist seine Formensprache doch begrenzt. Für eine bestimmte Art von Kunden macht ihn das zu einer sicheren Nummer. Sie können sich nach der Art von Kindern ein Spielzeug aussuchen: Ich will das da, weil ich es kenne. Das ist ein System, das die Architektur als solche nicht unbedingt voran bringt."
    Das Ergebnis: Calatravas geschwungene Hängebrücken gibt es in Barcelona, Bilbao, Sevilla. Seine in Bewegung erstarrt wirkenden Kongresszentren in Oviedo, Valencia und auf Teneriffa. Ein Paradox, sagt Moix: Die um Distinktion kämpfenden Städte begannen sich zu gleichen.
    "Man warf Zurückhaltung und Verantwortungssinn über Bord"
    Valencia, Venedig, New York: In 15 Fallbeispielen dröselt Llàtzer Moix auf, wie Calatravas Bauten systematisch auch das großzügigste Budget sprengten. Klauseln, die Mehrkosten beim Bau beschränken, lässt der Meister regelmäßig streichen: Er sieht das als Eingriff in seine künstlerische Freiheit. Sein Büro hat für detaillierte Ausführungsplanungen keine Zeit. Dass die öffentliche Hand in Spanien das so viele Jahre akzeptiert hat, hält Llàtzer Moix für einen Skandal.
    "Für jeden privaten Investor, für jeden ganz normalen Bauherren, ist es doch völlig selbstverständlich, mit dem Architekten bestimmte Bedingungen, ein bestimmtes Budget auszuhandeln. Aber die öffentliche Hand hat das einfach nicht gemacht. In den Jahren des Booms, als Grundstücksumwidmungen und Immobilienspekulation die Kommunen reich machten, schien das Geld auf den Bäumen zu wachsen und man warf Zurückhaltung und Verantwortungssinn über Bord."
    Im immer noch krisengeplagten Spanien sind es vor allem die hohen laufenden Kosten, die den Architekten zur Persona non grata gemacht haben. Der Betrieb der beweglichen Goldskulptur etwa, die Calatrava und die Sparkassenstiftung Caja Madrid der Hauptstadt für schlappe 14,5 Millionen "schenkte", verschlingt ein Viertel des Budgets, das die Stadt für alle 2000 Baudenkmäler hat.
    In Spanien, sagt Llàtzer Moix, sei das System an seine Grenzen gestoßen. "Hier ist Calatrava nicht nur groß geworden, hier hat sich auch gezeigt, dass der Mann auch unter den internationalen Stararchitekten eine Ausnahmeerscheinung war und ist: immun gegen Kritik und unerschütterlich vom eigenen Genie überzeugt. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht: Seine Mitarbeiter haben unsichtbar zu bleiben, Meisterschüler gibt es nicht. Und Spaniens neue Architekten setzen schon krisenbedingt eher auf Low Cost und nachhaltiges Bauen.
    "Queríamos un Calatrava" ("Wir wollten einen Calatrava") von Llàtzer Moix ist bisher nur auf Spanisch erschienen. Das Buch kostet 22,90 € und ist im Anagrama- Verlag erschienen.