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Architekt Dietrich über Brücken
"Betonbrücken sind kaum kontrollierbar"

Brückenbau gelte unter Ingenieuren als Königsdisziplin, sagte der Architekt Richard Dietrich im Dlf. Er selbst hat zahlreiche Brücken konstruiert und sagte, es sei widersinnig, dass man ein schweres Material wie Beton dafür verwende. Stahlbrücken aus dem 19. Jahrhundert seien bis heute erhalten.

Richard Dietrich im Gespräch mit Katja Lückert |
    Blick auf einen Brückenabschnitt der Hochstraße in Ludwigshafen. Die Hochstraße leitet den Verkehr aus der Pfalz bis nach Mannheim und ist eine wichtige Durchgangsstraße, die mittlerweile marode ist und saniert werden muss.
    Blick auf einen Brückenabschnitt der Hochstraße in Ludwigshafen (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Katja Lückert: Brücken verbinden scheinbar Unüberbrückbares, teilweise an sehr spektakulären Orten, weitgespannt über den Öresund, oder die Golden Gate Bridge über die Bucht von San Francisco. Wenn erst die Brücke da war, konnte in verschiedenen Weltgegenden mit dem Handel und Wandel begonnen werden, in der Schweiz etwa, wenn Bergdörfer durch eine Brücke endlich verbunden wurden. Um Brücken wurde gekämpft, oft tragen Schlachten noch heute den Namen von Brücken. Richard Dietrich, Sie sind Architekt, haben selbst zahlreiche Brücken gebaut – bevor wir auf das Thema Beton und jetzt auch die Tragödie in Genua kommen, an Sie die Frage als Autor eines Buches mit dem Titel: "Faszination Brücken": Was fasziniert uns tatsächlich so an diesen Bauwerken?
    Richard Dietrich: Ja, ich würde mal sagen, im Prinzip sind Brücken zeichenhafte Bauwerke, sie haben eine ganze Reihe von symbolischen Bedeutungen. Es wird ja auch in der allgemeinen Sprache immer übernommen, also eine Brücke bauen oder so etwas. Insofern ist leider in der jüngeren Vergangenheit dieser Aspekt verloren gegangen. Man betrachtet eine Brücke als reines Zweckbauwerk, und entsprechend lieblos werden sie gestaltet.
    Lückert: Wenn man in die Geschichte der Brücken und auch der Brückeneinstürze schaut, muss man feststellen, dass solche Einstürze geschichtlich gesehen eher seltener werden, während etwa am Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika jede zweite Woche eine Eisenbahnbrücke einstürzte – so liest man jedenfalls im Onlinelexikon Wikipedia. Was sind Ihrer Ansicht nach die üblichsten Ursachen für Brückeneinstürze, wenn wir jetzt mal militärische Einwirkungen außen vor lassen?
    Dietrich: Der Hauptgrund ist, dass es Fehlkonstruktionen sind. Wenn die nicht richtig ausgeführt sind, dann ist die Gefahr, dass sie einstürzen, natürlich relativ groß. Also es ist eine Kunst, und die Ingenieure behaupten ja auch, es sei die Königsdisziplin. Es gibt einen Haufen Vorschriften, was man da alles beachten muss, um das Bauwerk standfest zu machen. Die Schönheit der Konstruktion ist also da zweitrangig.
    Beton- versus Stahlbrücke
    Lückert: Man baute ja vor 2.000 Jahren schon Brücken aus Stein oder aus Holz, und dann kam Stahlbeton und schließlich Spannbeton. Sie beschäftigen sich seit über 40 Jahren mit Brückenbau und haben schon vor zwei Jahren geschrieben, Beton ist kein Baustoff für Brücken. Warum nicht?
    Dietrich: Prinzipiell ist es einfach widersinnig, dass man ein schweres Material wie Beton verwendet, um eine Spannweite zu überbrücken. Dazu brauche ich ja eine entsprechende Menge Stahl, um das hoch zu halten, zusätzlich zum Funktionswert beziehungsweise zur Verkehrsbelastung. Es ist widersinnig. Dann ist es so, dass einfach irgendwann die Betonindustrie durchgesetzt hat, dass man möglichst heutzutage alles im Bauwesen aus Beton macht. Das ist natürlich geschäftlich begründet, nicht wirklich weil Beton das beste Material ist.
    Wenn man, wie Sie eben angesprochen haben, in Stahl konstruiert, dann hat man Beispiele aus dem 19. Jahrhundert, als die große Zeit des Brückenbaus war, da sind halt Stahlbrücken bis heute erhalten, die noch immer ihren Dienst tun. Stahlbrücken haben den Vorteil, dass sie filigran konstruiert sind, effektiv sind, dass sie wirklich für ihre Funktion perfekt austariert sind und dass sie immer noch reparabel sind, wenn sie irgendwo Schäden aufweisen. Das ist also bei Beton eigentlich ja gar nicht mehr möglich, da kann man eigentlich nur abreißen.
    "Prinzipiell eine krampfhafte Konstruktion"
    Lückert: Es gibt rund 120.000 Straßenbrücken in Deutschland, circa 13 Prozent davon sind schwer geschädigt, haben Sie geschrieben. Haben diese Bauwerke in ganz Europa eigentlich alle quasi ein ähnliches Alter und stehen uns dann mehr solche Katastrophen bevor, wie jetzt in Genua geschehen?
    Dietrich: Ja, das könnte passieren. Nun werden allerdings in Deutschland die Brücken sehr sorgfältig kontrolliert, soweit das überhaupt möglich ist, weil Beton- oder speziell die Spannbetonbrücken kaum kontrollierbar sind, weil man ja nicht reinschauen kann in den Beton. Man hat zwar Methoden wie Ultraschall oder so etwas, aber das alles funktioniert nicht wirklich. Also was man heute macht, man beobachtet die Brücke mehr oder weniger, ob sie irgendwo Risse aufweist, die vielleicht in die Tiefe gehen, oder Abplatzungen von der Armierung, oder man schaut, ob sich die Brücke irgendwo gesenkt hat. Das wird dann mit sogenanntem Monitoring festgestellt, und da sagt man, oh, da muss irgendwas kaputt sein, und dann wird die Brücke in der Regel gesperrt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.