"Der Filmprojektor rattert. Die Tastatur am Schreibtisch organisiert. Der Seismograph rückt stoßweise vorwärts. Die Turbinenkontrolle rotiert ununterbrochen. Arbeitssirenen signalisieren. Megaphone sprechen Bestellungen."
Ein Fabrikkontor von übermorgen kommt 1923 auf die Bühne, mit Karel Capeks Roboter-Drama "W.U.R." Über die Kulisse schreibt der Theaterkritiker Alfred Polgar: "Ein rechtes 'Märchen von der Technik' hat der junge Wiener Maler Kiesler sich einfallen lassen."
Friedrich, oder später in den USA Frederick Kiesler war allerdings weniger Maler als Architekt. Auch kein waschechter Wiener, sondern 1890 im österreichisch-ungarischen Czernowitz geboren. 1925 beauftragt mit der Ausstellungsarchitektur des österreichischen Beitrags für die Expo des Arts Décoratifs in Paris: "Diesen Auftritt benutzt er, um dann etwas zu machen, was sehr viel mehr ist als eine klassische Ausstellungsgestaltung: Modellhaft entwirft er da eine vollkommen abstrakte Vision einer frei im Raum schwebenden Stadt, der 'Raumstadt'. Die wiederum versteht er unglaublich suggestiv fotografieren zu lassen. Und die Fotos leben weiter – und inspirieren auch heute noch."
Fantastische Pläne
Gerd Zillner, Archivar der Wiener Kiesler-Stiftung, betrachtet Fotos und Skizzen als Manifeste, gleichrangig neben Kieslers programmatischen Texten in Avantgardezeitschriften wie "De Stijl" und "G": "Wir wollen keine Mauern mehr, diese ganze Kasernenkultur, wir wollen: Umwandlung des sphärischen Raums in Städte, uns von der Erde loslösen, ein System von Spannungen im freien Raum."
Phantastische Pläne, die Kiesler in den USA realisieren will, mit Hilfe der Gibbson Construction Company. Aber die ist pleite, als der Architekt in New York ankommt. Mit Schaufenstergestaltung hält er sich über Wasser – und lernt dabei. Einer, der viele Dinge weiß – und eine große Sache verfolgt: "Genau das ist das Erfolgsrezept, das macht ihn auch heute so aktuell. Dieses Arbeiten in allen Feldern. Also je nachdem, wo er es gerade umsetzen möchte, der Disziplin bedient er sich. Und ob das jetzt ein Bühnenbild ist oder eine Ausstellungsgestaltung, das ist dann zweitrangig."
Schließlich lässt 1942 sogar die Galeristin Peggy Guggenheim eine Surrealisten-Schau von Kiesler gestalten. Und der Chefkritiker der "New York Times" wundert sich: "Die Bilder schweben im Raum, an einem geschickten Mechanismus befestigt, der es dem Besucher erlaubt, sie nach Belieben zu drehen. Rahmen gibt es nicht."
Ein Museum für die Qumran-Schriftrollen
So kündigt sich Kieslers großes Projekt an, das "endless house", ein Raumkontinuum ohne rechtwinklige Begrenzungen. Die Vision der heute "biomorph" genannten Architektur: "Jede Art der Schale ist geeignet: aus Schlamm, Stroh, Holz, Segeltuch, Ziegeln, mehrfarbigem Plastik – solange das Nest durch seine Umarmung wärmt und willkürliche Veränderungen und Umformungen zulässt und auf Änderungen antwortet."
Ansatzweise realisiert der Ausnahmearchitekt seine Vorstellungen ein einziges Mal, mit dem "Shrine of the Book" in Jerusalem: "Eine sehr sprechende Architektur, eine sehr symbolische Architektur. Ungemein durch Gegensätze, durch Kontraste bestimmt: Die weiße Kuppel, die schwarze Basaltmauer. Wasser – Feuer. Wenn man die zentrale Kuppel ansieht, das erinnert an die Deckel der Tonkrüge, in denen die Schriftrollen gefunden wurden."
Als das Museum für die Qumran-Schriftrollen im April 1965 eröffnet wird, staunt auch der Baukünstler über seine perfekte Verschmelzung von Architektur und Bildhauerei, rationaler Konstruktion und mystischer Kunst. Wenig später, am 27. Dezember 1965, stirbt Friedrich Kiesler in New York. Sein Begräbnis wird zum Happening, mit einer Performance des Künstlerfreundes Robert Rauschenberg, umrahmt von Wiener Musik: Das Juilliard String Quartet spielt Mozart und Schönberg.