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Architekt Hakan Dağıstanlı
"Erdoğan erschafft sich eine eigene Erinnerungskultur"

Prunkbauten, osmanischer Kitsch und ein Präsidentenpalast ohne Genehmigung: Um die Architektur in Ankara steht es unter dem Staatspräsidenten nicht gut, meint der Architekt und Buchautor Hakan Dağıstanlı. "Der Neo-Osmanismus bekümmert mich", sagte er im DLF. Denn der Gründungsmythos der türkischen Hauptstadt fuße auf der Moderne.

Hakan Dağıstanlı im Corso-Gespräch mit Ulrich Biermann |
    Blick auf den neuen Amtssitz von Tayyip Erdogan in Ankara, genannt "Der Weiße Palast"
    Streitbares und teures Bauprojekt: Der Amtssitz von Recep Tayyip Erdoğan in Ankara, genannt: "Der Weiße Palast" (dpa / picture alliance )
    Ulrich Biermann: 3.000 Jahre siedeln Menschen schon dort, wo heute Ankara liegt, Hauptstadt der Türkei, die zweitgrößte Stadt des Landes mit mehr als fünf Millionen Einwohnern. Sie war Handelszentrum an der Seidenstraße, eine Zitadelle und Karawansereien zeugen von der Geschichte der Stadt, die am Ende des Osmanischen Reichs Istanbul als Hauptstadt ablöste. Ankara sollte zum Symbol einer modernen Republik werden. Wie sich das auch baulich zeigt, veranschaulicht jetzt der jetzt erschienene "Architekturführer Ankara" von Hakan Dağıstanlı. Willkommen zum Corso-Gespräch.
    Hakan Dağıstanlı: Hallo. Guten Tag.
    Biermann: Sie sind Architekt und Autor. Würden Sie gerne bauen in Ankara?
    Dağıstanlı: Selbstverständlich. In der Türkei immerzu. Es ist sehr, sehr spannend, dort zu bauen, auch da zu leben. Im Rahmen meines Studiums war ich auch mehrmals dort für ein Praktikum. Ich habe zwar in Istanbul gelebt und geplant sozusagen, in Büros, aber es ist eine sehr dynamische Stadt und Ankara steht da eigentlich in nichts nach, was Istanbul anbelangt. Insofern wär es für mich total spannend, auch mal bauen zu dürfen.
    Osmanische Bauwerkstradition in moderner Architektursprache
    Biermann: Als ich anfing, in Ihrem Architekturführer Ankara zu blättern und zu lesen, die Bilder sah, dachte ich: Was macht der Neoklassizismus in Ankara? Wie kommt er dahin?
    Dağıstanlı: Gut, der Neoklassizismus ist ja sozusagen auch ein Teil der damaligen nationalen Architektursprache gewesen. Insofern gehört sie eigentlich auch dahin, also sie ist zwar teilweise importiert worden mit den neuen Möglichkeiten auch zu bauen, mit Stahlbeton, mit Gusseisen, vor allen Dingen auch mit Glas. Insofern hat man versucht, Anfang des 20. Jahrhunderts sozusagen die osmanische Bauwerkstradition hineinzugießen in die moderne Architektursprache. Und im Rahmen dessen kamen eben die erste und die zweite nationale Architekturbewegung zustande. Und das war der Grund, warum auch viele Bauten damals nach der Republiksgründung auch in diesem Stil gebaut worden sind.
    Biermann: Das heißt, wir haben eine eigentlich sehr moderne Stadt in Ankara?
    Dağıstanlı: Ankara als solche wurde eigentlich nach der Republiksgründung als Hauptstadt gekürt und sollte auch modern sein, ganz im Gegensatz zu Istanbul natürlich. Insofern wurde es modern ausgebaut, auf einem Reisbrett geplant, was eigentlich vorher nie der Fall war - also zumindest für türkische Städte nicht. Und Ankara ist modern gebaut worden, es war eigentlich so die Grundidee. Also der Gründungsmythos dieser Stadt beruht auf der Moderne der 30er Jahre.
    "Die Stadt wider den Gründungsmythos istanbulisieren"
    Biermann: Wie geht man mit dieser Moderne heute um? Wird sie gewertschätzt, konserviert, geschützt?
    Dağıstanlı: Ja ich denke dass man die Art und Weise, wie man überhaupt mit einem Erbe umgeht, also sei es für die Architektur oder auch in anderen Bereichen, auch ein Abbild oder auch ein Spiegelbild dessen ist, wie man mit der Geschichte umgeht. Und lange Zeit war zum Beispiel die osmanische Geschichte sehr, sehr polemisiert. Insofern hat man eigentlich bis vor kurzem, also bis vor einigen Jahren noch das Osmanische, Architektur aber weniger wertgeschätzt – also Istanbul allen voran. Das gilt auch für die republikanischen Bauten.
    Also ich war jetzt letztes Jahr im Rahmen der Recherche sehr oft in Ankara. Und mir ist aufgefallen, dass die Stadtverwaltung insbesondere auch darin bestrebt ist, die Stadt wider den Gründungsmythos eigentlich auch zu istanbulisieren. Also das soll heißen, dass viele Bauten zum Beispiel, insbesondere Ministerialbauten, osmanische Fassadenelemente imitieren wollen. Ganz im Gegensatz zu dem, wie eigentlich Ankara aufgebaut worden ist, damals in den 30er Jahren.
    Insofern habe ich festgestellt, dass die republikanischen Erinnerungsorte, allen voran auch die Plätze, regelrecht eigentlich vernachlässigt sind und die osmanische Altstadt nahezu verkitscht wird, also mit all diesen Überstilisierungen und den Restaurierungen, die da stattfinden. Insofern ist es natürlich sehr, sehr ambivalent. Es wird einerseits geschützt, andererseits aber nicht über die ganze Bausubstanz hinweg, sondern es wird nur das herausgepickt, was man eben für wichtig erachtet. Und das ist momentan eben der Osmanismus, also insofern wird es geschützt aber auch nicht. Es hängt davon ab, welche Sichtweise man eigentlich auf die Türkei hat.
    Politisierte Architektur
    Biermann: Also findet eher ein Schritt zurück, als eine Anerkennung dessen, was da entstanden ist, statt?
    Dağıstanlı: Naja. Wir leben ja eigentlich in die Zukunft hinein. Insofern sollte man ja sagen, dass man da gar nicht zurückdenken kann. Es ist aber tatsächlich so, dass dieser sogenannte Neo-Osmanismus eben sich dieser Elemente bedient, die in der Vergangenheit liegen. Was man damit bezwecken möchte, sei mal dahingestellt. Aber das bekümmert mich auch regelrecht, zu sehen, wie sich das auf die Architektur auch ausprägt.
    Also insbesondere, wenn man auch die Innen- und Außenpolitik der jetzigen Erdogan Regierung auch vor Augen nimmt. Das ist ja sozusagen ein Teil dessen, ein Teil der Gesamtpolitik sozusagen. Also die Architektur als solche zwar, einerseits, andererseits auch zum Beispiel die neuesten Forderungen, irgendwelche Inseln vor der Tür - wie Erdogan das verlautet hat - anzueignen. Mossul ist gerade irgendwie, also der Nordirak ist gerne ein Thema und so weiter. Also es geht nicht nur darum, die Grundsteine der Republik zu hinterfragen, sondern auch, darüber hinaus auch die Vereinbarung in Lausanne dann, nach der Republiksgründung.
    Streitbares Objekt: Neuer Präsidentenpalast
    Biermann: Herr Dağıstanlı, Sie haben ja gerade die aktuellen Entwicklungen angesprochen, das manifestiert sich ja vielleicht nicht so sehr in Ankara, aber es manifestiert sich doch sicherlich zum Beispiel im Präsidentenpalast, den Recep Tayyip Erdoğan hat bauen lassen. Ist das symptomatisch für das, was von staatlicher Seite gefördert wird an Baukultur aktuell?
    Dağıstanlı: Da bin ich ganz bei Ihnen. Also Sie können an dem Palast allein schon erkennen, wohin das führen sollte, schon bereits vor fünf Jahren, als es eigentlich gebaut worden ist. Also nicht nur die Tatsache, dass sozusagen der damalige Ministerpräsident sich vom Erbe der Republik löst und all diese Erinnerungsorte und auch Instanzen hinterfragt und neue Erinnerungsorte schaffen möchte durch den Präsidentenpalast, den es ja bereits gab in Çankaya. Das war ja eben dieses Gebäude von Clemens Holzmeister, den er sehr modern ausgeführt hat, der sogenannte Pembe Palast. Erdogan hat sich eine eigene Kultur erschaffen wollen durch den Palast, insofern ist ihm das auch gelungen, ehrlich gesagt. Und das ist kein gutes Zeichen dafür dahingehend, dass eben die Türkei im Wandel ist zu einer unbekannten Richtung, die man so nicht voraussagen kann.
    Es ist nur klar, dass er sich sozusagen eine eigene Kultur, eine eigene Erinnerungskultur erschafft durch Bauten, durch Architektur. Das betrifft eben neue Ministerialbauten, die eben osmanische Fassadenelemente imitieren. Wie ich bereits gesagt habe, es betrifft den neuen Präsidentenpalast, der ohne eine Baugenehmigung sozusagen errichtet worden ist damals. Und es wurde zwar ein sofortiger Baustopp zum Beispiel erlassen von den damaligen Gerichten. Darüber hat er sich zum Beispiel hinweggesetzt und war auch damit erfolgreich, was man sich in anderen Ländern nicht vorstellen könnte, dass ein Präsident sozusagen die die eigene Gesetzesobrigkeit hintergeht oder übergeht.
    Der Aufbau der Nationalversammlung
    Biermann: Wenn ich Ihren Architekturführer Ankara aufschlage, dann finde ich ein Bild des Plenarsaals der Nationalversammlung in Ankara an der Wand: Der Ausspruch Atatürks: "Die Souveränität liegt bedingungslos beim Volk". Ist es ein Zufall, dass es direkt in der Mitte steht oder ist das ein ganz klarer Hinweis von Ihnen, zu sagen: Hallo, das ist genau das, woran sich die Türkei erinnern muss?
    Dağıstanlı: Es war zumindest nicht bewusst so geplant, dass es in der Mitte sozusagen, dieses Foto situiert werden sollte.
    Biermann: Prominent.
    Dağıstanlı: Genau. Es richtet sich ja nach dem Aufbau, nach der Architekturgeschichte, die ja die erste und zweite nationale Architekturbewegung abhandelt und dann eben in die türkische Moderne, bis hin zur Postmoderne dann überschwenkt. Und es war, glaube ich, nur ein Zufall. Aber es ist ein schöner Zufall, jetzt wo Sie mich drauf aufmerksam machen, insofern kann ich hier fast schon behaupten, es war gewollt.
    "Es gibt keine gute, nationale Architektur"
    Biermann: Die Postmoderne darf natürlich auch in Ankara nicht fehlen. Was da natürlich auffällt: Da wird Ankara plötzlich austauschbar, oder? Weil diese Gebäude, wie ich finde, die Architekten aus aller Welt - ob sie nun ein Büro in Ankara haben oder nicht -, die könnten egal wo auf dem Globus stehen, seien es nun die Bürogebäude oder aber die Shopping Malls.
    Dağıstanlı: Selbstverständlich. Also es geht ja schon ab den 50er Jahren los, wo die Türkei eigentlich an einen Weg gelangt war, wo man eben sehen musste und geschaut hat, wie es weitergehen kann mit dem sogenannten Regionalismus. Inwieweit darf und kann die Architektur nationalistisch sein oder auch nicht. Und insofern kann ich da eigentlich nur ein schönes Zitat von Bruno Taut verweisen, der damals schon gesagt hat, dass es keine gute, nationale Architektur gibt aber jede gute Architektur ist national. Das ist für mich ein schöner Spruch, der schon bereits so alt ist, aber immer noch eine Geltung bewahrt. Nach den 50er Jahren war es tatsächlich so, dass die Bauten, die errichtet worden sind, eigentlich überall hätten stehen können. Also spätestens ab dem Internationalismus der 60er Jahre, 50er Jahre, 80er Jahre sowieso, mit den Glasfassaden und so weiter.
    Biermann: Hakan Dağıstanlı,Architekt und Autor. Gerade von ihm erschienen der "Architekturführer Ankara", im Verlag DOM Publishers. Herzlichen Dank für das Gespräch.
    Dağıstanlı: Ganz meinerseits. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.