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Architekt Hannes Meyer
Ein Erfinder der politischen Architektur

Der Architekt Hannes Meyer ist als Leiter des Dessauer Bauhauses kaum bekannt. Zu Unrecht, denn der Sozialist aus der Schweiz brachte seinen jungen Kollegen bei, Gebäude auch politisch zu entwerfen, und prägte damit eine ganze Generation von Architekten und Designern. Heute vor 125 Jahren wurde er in Basel geboren.

Von Jochen Stöckmann |
    Bernau (Brandenburg): Blick auf die ehemalige Gewerkschaftsschule im brandenburgischen Bernau (Barnim) am 01.06.2004. Der Gebäudekomplex soll Bestandteil des Weltkulturerbes werden. Bis Ende des Jahres werde ein entsprechender Antrag gestellt, sagte der Landeskonservator Detlef Karg der "Märkischen Oderzeitung". Der 1929 entstandene Gebäudekomplex solle als Ergänzung des Dessauer Bauhauses in die UNESCO-Liste aufgenommen werden. Der einst von den Architekten Hannes Meyer und Hannes Witwer entworfene gelbe Klinkerbau sei ein herausragendes Beispiel des späten Bauhausstils. Derzeit wird er restauriert. Noch in diesem Jahr hofft die Berliner Handwerkskammer erste Teile wieder in Betrieb nehmen zu können. Sie hatte das Gebäude vor drei Jahren übernommen.
    Blick auf die ehemalige Gewerkschaftsschule im brandenburgischen Bernau, entworfen von Hannes Meyer. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    "Die jungen Bauhäusler, die sich nur, sagen wir, um die Malerei, um das Musische bemühten, die konnten ja frei arbeiten. Hingegen fand ich gerade die politische Engagiertheit, das Engagement Hannes Meyers für uns sehr wichtig, dass wir doch auch eine politische Auffassung bekamen und uns damit auseinandersetzen mussten."
    Was der angehende Maler Fritz Winter am Bauhaus in Dessau so schätzte, die Orientierung am sozialen Gemeinwohl, das machte Hannes Meyer zum Programm. Der kaum bekannte Schweizer Architekt, geboren am 18. November 1889 in Basel, war 1928 Nachfolger von Walter Gropius geworden. Nachdem ihn 1930 dann Mies van der Rohe als Direktor der Kunstschule abgelöst hatte, blieb Meyers Wirken im Schatten dieser beiden berühmten Kollegen. Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – der überzeugte Sozialist für alle Bauhäusler, für Architekten und Designer ebenso wie für Bildende Künstler die schlichte und eingängige Parole ausgegeben hatte:
    "Volksbedarf statt Luxusbedarf"
    Meyer selbst machte die Radikalität dieser Forderung deutlich in seinem Rückblick auf die Anfänge des Bauhauses als legendärem Zentrum für Neues Bauen, Neues Sehen, Neues Gestalten:
    "Was fand ich bei meiner Berufung vor? Ein Bauhaus, dessen Leistungsfähigkeit von seinem Ruf um das Mehrfache übertroffen wurde und mit dem eine beispiellose Reklame getrieben wurde. Eine Hochschule für Gestaltung, in welcher aus jedem Teeglas ein problematisch-konstruktives Gebilde gemacht wurde. Man bewohnte die gefärbten Plastiken der Häuser. Auf deren Fußböden lagen als Teppiche die seelischen Komplexe junger Mädchen. Überall erdrosselte die Kunst das Leben."
    Sozialreformerische Ansätze in Wohnsiedlungen
    Gegen diese Art des Bauhaus-Stils setzte der neue Bauhausdirektor einen wissenschaftlich fundierten Unterricht, der zu systematischer Bedarfsermittlung, detaillierter Funktionsanalyse und schließlich der zweckmäßigen Konstruktion anleiten sollte. Dafür lud Meyer Gastdozenten ein, neben Soziologen wie Otto Neurath waren das auch Philosophen oder Physiker aus dem sogenannten Wiener Kreis des logischen Empirismus. Also keineswegs kommunistische Parteifunktionäre, wie ihm dann 1930 bei seiner Amtsenthebung vorgeworfen wurde. Seine politische Orientierung allerdings war eindeutig – auch wenn sie in der DDR erst nach Jahrzehnten anerkannt wurde: Rolf Kuhn, Direktor des erst 1986 mit Erlaubnis des SED-Regimes wieder eröffneten Bauhauses, charakterisierte seinen Vorgänger:
    "Dieser Hannes Meyer, mit progressivem, sozial orientiertem Gedankengut, kam ans Bauhaus in einer sehr bewegten Zeit – und er bewegte selber dabei viel. Und kam eben dann als ein ganz anderer Bauhausdirektor in das Licht der Zeit und der Zeitgeschichte, weil er in diesem Sinne ein auf sozialistische Entwicklung hin orientiertes Bauen beförderte."
    In diesem Sinne auch praktisch zu wirken, nicht nur zu planen, sondern auch zu bauen – das blieb für den Schweizer Architekten, der 1919 in seiner Heimat eine Wohnsiedlung realisiert hatte, ein Problem. So schrieb Meyer im Dezember 1927, als seine Bauhaus-Abteilung die Anfrage für den Neubau einer zentralen Gewerkschaftsschule in Bernau bei Berlin erhielt:
    "Wir haben nur Theorie getrieben und konnten zugucken, wie das Privatbüro Gropius stetsfort zu bauen hat. Wir stehen (sehr unter uns gesagt) vor Auseinandersetzungen, die an das ganze Problem Bauhaus rühren, denn nicht nur ich, sondern auch noch andere Mitarbeiter haben keine Lust mehr, in der bisherigen Weise weiter zu wursteln."
    1930 ging der entlassene Bauhausdirektor als Hochschullehrer in die Sowjetunion, die er 1936 aus Furcht vor den stalinistischen Säuberungen verließ. Im Exil in Mexiko wurde ihm die Leitung eines neu gegründeten Instituts für Städtebau übertragen. 1954 starb Hannes Meyer in der Nähe von Lugano. Ein vergessener Bauhaus-Direktor, der die schmählichen Umstände seine Entlassung nie verwunden hat.
    "Ausgerechnet während der Bauhausferien und fern von den mir nahestehenden Bauhäuslern. Vom Eiffelturm stößt der Bauhauskondor Gropius herab und pickt in meine direktoriale Leiche, und an der Adria streckt sich Kandinsky beruhigt in den Sand: Es ist vollbracht."