Archiv

Architekt Otto Bartning
Kirchen für eine verwüstete Gesellschaft

Erstmals ist das Lebenswerk des Architekten Otto Bartning in einer Ausstellung zu sehen. Die Berliner Akademie der Künste präsentiert ihn als radikalen Reformer des Wohnungsbaus, aber auch als einen Kirchenarchitekten, der den Sakralbau neu gedacht hat. Egal ob in der Weimarer Republik oder in der Bundesrepublik - seine Kirchen waren immer Gemeindehäuser.

Von Jochen Stöckmann |
    Blick auf die runde Auferstehungskirche in Essen (14.05.2008). Foto: Roland Weihrauch
    Den kreisrunden Grundriss realisierte Otto Bartning mit der Auferstehungskirche in Essen (Picture Alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Otto Bartnings Standardwerk "Vom neuen Kirchbau" erschien 1919, vor fast hundert Jahren. Da hatte er bereits mehr als ein Dutzend Kirchenbauten entworfen. Zugleich kämpfte Bartning für eine soziale Revolution, setzte sich im Berliner "Arbeitsrat für Kunst" für radikale Reformen im Wohnungsbau ein. Das war für ihn kein Widerspruch. Als evangelischer Christ war er überzeugt, es gehe in den Kirchen um gelebte Gemeinschaft von Gläubigen. Dann müssten sie auf den Prunk großartiger Gotteshäuser verzichten. Bartning schreibt über die Notgottesdienste nach dem Ersten Weltkrieg:
    "Das waren Notgottesdienste im Wirtshaussaale, in der Bauernstube, in der Kantine einer Fabrik, über dem Eiskeller einer Brauerei."
    "Das Spannungsvollste einer Architektur"
    Stilistisch ausgefeilt müsse Sakralarchitektur nicht sein, auch Allerwelts-Gebäude ließen sich in Sakralräume verwandeln, allein durch die darin kollektiv vollzogene Liturgie. Diese Erfahrung prägte Bartning, machte ihn zu dem evangelischen Kirchenarchitekten der Weimarer Republik. Die Architekturhistorikerin Sandra Wagner-Conzelmann:
    "Ihm geht es einfach prinzipiell nie um die Anwendung eines Stils oder um diese Einteilungen wie 'Moderne' oder 'Traditionalisten'. Das ist für ihn völlig unwichtig, ob es dieses oder jenes Etikett bekommt. Wichtig ist bei Kirchen ganz besonders, dass das Spannungsvollste einer Architektur genutzt werden sollte, indem dort die Prinzipalstücke aufgestellt werden."
    Altar, Kreuz und Kanzel stellt Bartning in räumliche Zusammenhänge, immer wieder aufs Neue. Stets im Bemühen darum, der jeweiligen Gemeinde oder auch neuen Entwicklungen der Liturgie gerecht zu werden. So entstehen ganz unterschiedliche Architekturen. Sandra Wagner-Conzelmann hierzu:
    "Natürlich verbindet man mit seinem Namen den Entwurf der Sternkirche als einen Kulminationspunkt der Reformgedanken auf ganz verschiedenen Ebenen. Jeder kennt wahrscheinlich auch die drei großen Kirchen der Weimarer Republik: Die Gustav-Adolf-Kirche, die sogenannte Fächerkirche hier in Berlin. Die Rundkirche, die Auferstehungskirche in Essen. Und die Stahlkirche, die ein Ausstellungsgebäude war, nur temporär, in Köln."
    Das Architekturmodell "Die Sternkirche" von Otto Bartning, wie es im Bremer Paula Modersohn-Becker-Museum während der Ausstellung "Bau einer neuen Welt: Architektonische Visionen des Expressionismus" zu sehen war. Foto: dpa / Ingo Wagner
    Das Architekturmodell "Die Sternkirche" - auch im kleinen Maßstab beeindruckt der Entwurf (Picture Alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Die expressionistische Sternkirche von 1922 blieb ein Entwurf, ein imposantes, in vielen Kunstausstellungen bewundertes Modell. Unter einem hölzernen Dachgewölbe wollte Bartning Predigt- und Altarraum durch unterschiedliche Höhenniveaus voneinander trennen. Den kreisrunden Grundriss realisierte er dann mit der Auferstehungskirche in Essen. Im Mittelpunkt steht eine Taufschale, darum herum sind in konzentrischen Kreisen Kanzel, Altar und das Gestühl für die Gemeinde angeordnet. In der Berliner Gustav-Adolf-Kirche dagegen finden die Gläubigen ihren Platz in breit auslaufenden Fächern, die auf den Altar im steil aufragenden Kirchturm ausgerichtet sind. Für die sogenannte Stahlkirche auf der Kölner Presse-Ausstellung griff der Architekt zum Grundriss der Parabel, auf deren Achse Kanzel und Altar ganz nah an die Gemeinde herangerückt stehen. Vor allem aber verwendete Bartning, für die gotisch anmutende Konstruktion mit hohen Glasfenstern, Stahlträger - nackt, ohne Verkleidung: ein ganz profaner Baustoff tritt in Konkurrenz zum gegenüberliegenden Steinmonument des Kölner Doms. Das signalisierte - 1928 - Aufbruchsstimmung, nicht nur ästhetisch. Im selben Jahr war der "Kunstdienst" der Evangelischen Kirche gegründet worden, auch dort engagierte sich Bartning.
    "Goldgräberstimmung"
    Doch nach Hitlers Machtübernahme ließ sich der "Kunstdienst" vom NS-Regime vereinnahmen. Eine Entwicklung, die sich schon bei der von Bartning vorbereiteten Weltausstellung 1933 in Chicago ankündigte. Die Unterlagen dazu hat Sandra Wagner-Conzelmann jetzt erst gefunden:
    "Das war so eine Goldgräberstimmung, diese Kiste zu öffnen. Da waren wir erstaunt, dass er so viel im 'Kunstdienst', im evangelischen 'Kunstdienst' mitgearbeitet hat. Und da gab es einen Schriftverkehr, da wird gefragt, warum ausgerechnet das Deutsche Reich sich auf dieser Weltausstellung über sakrale Kunst definiert. Und dann wird gesagt: Um eben Deutschlands Vorreiterposition in diesem Bereich nach außen zu tragen."
    Und so kam es, dass im Sommer 1933 in Chicago in einer deutschen "Halle der Religionen" neben Kirchen von Bartning, Dominikus Böhm oder Rudolf Schwarz auch Gemälde von Emil Nolde und Skulpturen von Ernst Barlach präsentiert wurden - unter der Hakenkreuzfahne. Zurück in Deutschland wurde Bartning zwar Mitglied der "Reichskulturkammer", fand aber im Kirchenbau eine Nische, weitgehend abseits der Nazi-Ideologie.
    Johanneskirche In Wuppertal-Elberfeld am 18.07.2014. Die evangelische Kirche wurde 1948/49 nach dem Notkirchenprogramm des Architekten Otto Bartning (1883-1953) erbaut. Foto: Imago / epd
    Die Johanneskirche in Wuppertal-Elberfeld - eine der vielen Notkirchen von Otto Bartning in der Nachkriegszeit (imago stock&people / epd)
    Befreit vom NS-Regime, konfrontiert mit Not und Elend einer, nicht nur vom Bombenkrieg, verwüsteten Gesellschaft, startete der Architekt seine ganz eigene Art des "Wiederaufbaus": Für das "Evangelische Hilfswerk" realisierte Bartning insgesamt 43 Notkirchen, keine steinernen Monumente mit markanten Türmen, sondern schlichte Gebäude aus vorgefertigten Holzbindern, "Gemeindehäuser" im elementarsten Sinne. Sandra Wagner-Conzelmann erklärt:
    "Sein Verdienst war, dass er schnell, unbürokratisch und kostengünstig Bauten errichtet hat, die nicht nur Kirchen waren, sondern auch Versammlungsstätte der Gemeinde. Und dass er auf diese Art und Weise tatsächlich den Flüchtlingsströmen, den Obdachlosen, den total Verzweifelten mit diesen Notkirchen eine Heimat angeboten hat."
    Zur "Heimat" sind Bartnings Häuser geworden, weil dieser Architekt nicht nur darauf schaute, "was", sondern auch "wie" gebaut wird: nicht vom Reißbrett oder aus dem Baukasten, sondern dem Geist des Ortes entsprechend. Deshalb forderte der Kirchenbauer 1945, wie Sandra Wagner-Conzelmann erläutert:
    "…dass alle Gemeinden in Selbsthilfe, in eigener Verantwortung Maurerarbeiten ausführen mussten. Diese Mauern waren bei allen Notkirchen aus Trümmersteinen. Es gab eine ganz hohe Identifikation der Gemeinden mit ihren Kirchen, weil sie selbst mitgearbeitet haben, vom Kind bis zum Greis."
    Die Ausstellung "Otto Bartning (1883-1959). Architekt einer sozialen Moderne" in der Berliner Akademie der Künste ist noch bis zum 18. Juni 2017 zu sehen.