Wrieto-San, wie ihn sein japanischer Schüler und späterer Chronist nennt, Wrieto-San ist nicht mehr der jüngste, aber er steckt voller Angriffslust und Energie. Die braucht er auch. Er ist zwar ein berühmter Mann, trotzdem stets knapp bei Kasse. Außerdem hat ihn gerade seine Frau verlassen, was ihn allerdings zu erleichtern scheint.
Chicago, im Herbst 1924: Wrieto-San tummelt sich auf einer erlesenen Matinee, wo sich die besten Chicagoer Kreise ein Stelldichein geben. Er lässt den Glanz seiner Prominenz schimmern: Er sucht nach neuen Auftraggebern und insgeheim wohl auch nach einer neuen Frau. Und da sitzt sie, nur wenige Stühle weiter. Sie hat ihn natürlich sofort erkannt. Er spricht sie an, die beiden kommen ins Gespräch und bald in den Dschungel der Leidenschaften. Olga Lazovich Milanoff Hinzenberg heißt sie mit vollem Namen - eine bildhübsche junge Frau von vornehmer serbischer Abstammung, etwa Mitte 20, und somit ungefähr 30 Jahre jünger als Wrieto-San. Er ist immer noch ein äußerst begabter Liebhaber, leidenschaftlich, bei Bedarf ein unwiderstehlicher Charmeur. Und nicht zuletzt die Tatsache, ein weltberühmtes Genie zu sein, macht ihn höchst anziehend für einen bestimmten Typ von Frauen.
Seine Genialität, sein Ruhm – so glaubt er – erlauben ihm, im Bedarfsfall die Sitten der Zeit und die Regeln seiner Gesellschaft zu missachten. Er ist kein Rebell, aber er nimmt sich, was er braucht. So genießt er nicht gerade eine hohe moralische Reputation, und Skandale pflastern seinen Weg. Und die Liebe zu Olgivana, so heißt die jüngste Angebetete im Liebesalltag, entfacht sogleich ein neues Skandalfeuerwerk. Der noch verheiratete Mann lebt offen mit seiner Geliebten zusammen und zeugt mit ihr ein uneheliches Kind. Die Gischt der Empörung fliegt hoch, das Geheul der Schlagzeilen dringt durch Mark und Bein.
Fasst man die Geschichte so zusammen, dann könnte es so scheinen: Ein bemerkenswerter Mann, dieser Künstler, dem die Stimme des Herzens mehr gilt als die Bestimmungen des Gesetzes. Doch dann hätte man ihn nicht verstanden. Die Spielregeln der Gesellschaft gelten in seinen Augen nur für den Durchschnittsbürger, den Massenmenschen, den Bodensatz. Er selbst pflegt sich teuer zu verkaufen:
"Ich bin wegen dieses Wagens hier." Er zeigte mit Stock auf den Zephyr, der in seiner ganzen aerodynamischen Schönheit dastand, mit seinem chromblitzenden Kühlergrill, der an die gebleckten Zähne eines Raubtiers erinnerte, den Schürzen, die das ausgeformte Chassis verlängerten, dem herrlich langgezogenen Innenraum. Es war ein grandioses Fahrzeug, elegant und brutal zugleich, und unter seiner Motorhaube verbarg sich der unvergleichliche 12-Zylinder-Motor, der die Kilometer nur so fressen und die Konkurrenz zu schimmernden Pünktchen im Rückspiegel reduzieren würde. Es war der Inbegriff automobiler Perfektion.
"Gut!" Der Verkäufer rieb sich voll Vorfreude auf seine Provision
die Hände, und dann erging er sich in einer so hemmungslosen, nicht enden wollenden Lobrede auf die Verlässlichkeit und die besonderen Eigenschaften des Wagens, dass Wrieto-San ihm schließlich gereizt ins Wort fiel.
"Könnte es sein, dass Sie mich nicht erkennen?" fragte er.
"Ja, äh" – der Verkäufer stockte –, "doch, natürlich."
Jetzt hörte ich meine eigene Stimme, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nichts zu sagen und wachsam zu sein. "Mr. Frank Lloyd Wright", sagte ich und musste mich zurückhalten, um mich nicht zu verbeugen.
Der Mann schlug sich vor die Stirn. "Mr. Wright", sagte er feierlich, als spräche er ein Gebet, "natürlich, natürlich. Es ist mir eine Ehre, Sir, eine große Ehre." Und dann schüttelte er Wrieto-San abermals die Hand. Und der wiederum blickte mit einer seiner patentierten Mienen (diese nannten wir Schüler gern die "Boa-constrictor-schluckt-die-Ratte"-Miene) zu mir und wandte sich dann wieder dem Verkäufer zu. "Ich möchte zwei davon", erklärte er. "Und ich möchte, dass sie hier gekappt werden" – sein Stock sauste durch die Luft und vollführte einen imaginären Schnitt von der Windschutzscheibe bis zum Heckfenster –, "damit Verdecke aufmontiert werden können." Er hielt inne. "Und natürlich müssen sie ziegelrot lackiert werden", fügte er dann hinzu und wandte sich zu mir um. "Sie haben das Farbmuster doch dabei, Tadashi?"
"Ja, Wrieto-San", sagte ich, und diesmal verbeugte ich mich wirklich und reichte ihm das Blatt mit dem roten Quadrat. Da das Geschäft damit abgewickelt schien, wandte sich Wrieto-San zum Gehen, doch noch ehe er fünf Schritte getan hatte, blieb er wieder stehen. "Ach so", sagte er, und seine Stimme klang so selbstbewusst wie die eines Senators im Wahlkampf. "Ich möchte sie noch diesen Monat haben. Und ich werde nicht dafür bezahlen. Das verstehen Sie doch?"
Wrieto-San ist also der japanische Name für Frank Lloyd Wright, den berühmten und großartigen Architekten, mit Sicherheit einer der bedeutendsten Baumeister des 20. Jahrhunderts. Frank Lloyd Wright wurde 1867 im US-Bundesstaat Wisconsin geboren und starb 1959 im Alter von 92 Jahren. Nun möchte man sogleich fragen: Brauchen wir denn noch ein Buch – und gar ein Roman – über diesen Mann? Gibt es nicht schon hunderte Studien über sein Werk und Dutzende Biographien? Außerdem eine Autobiographie und zahlreiche Texte von ihm selbst, abgesehen von Archiven und Stiftungen, die sich ausschließlich mit seinem Leben und Werk beschäftigen. Nebst etlichen Zeugnissen und Dokumenten über ihn.
Doch T.C. Boyle wäre nicht der kluge und raffinierte Erzähler, der er ist, wenn er seinen Helden nicht noch einmal in einem neuen Licht zeigen könnte, aus einer gewissermaßen verrückten Perspektive. Nicht umsonst heißt der Roman "Die Frauen", was wörtlich dem Titel des amerikanischen Originals entspricht: "The Women". Und von Wrights Frauen erzählt dieser Roman vor allem.
Es gab vier große Liebesgeschichten in seinem Leben, die über weite Strecken extrem dramatisch verliefen oder gar in der Tragödie endeten. Catherine Tobin war seine erste Ehefrau, mit der er über zwei Jahrzehnte lang verheiratet war, und die er wegen Mamah Borthwick Cheney verließ, die unter tragischen Umständen ermordet wurde, bevor er sie heiraten konnte. Es folgte Ehefrau Nr. 2, Maude Miriam Noel. Vom allerersten Beginn der Geschichte mit Olgivanna, der vierten und letzten Großamoure, haben wir gehört – und so ging sie weiter:
Sie sah zu Frank hinüber. Hielt seine Hand fest in der ihren. Er redete unentwegt, die Wörter sprudelten nur so aus ihm heraus, jede Kurve, jeder Blick auf eine verblasste rote Scheunenwand ein Grund zur Freude, seine Stimme so voll und melodiös, als sänge er. Sie beobachtete seine Augen, das Flattern seiner Zunge: Er sang, und sie war sein Publikum. Sie war fast überrascht, als Taliesin in Sicht kam, der zugefrorene See, der unter einer weißen Decke lag, das Haus, das sich flach an den Boden schmiegte, geduckt unter der Last des Schnees und dem Wald von Eiszapfen am Dachgesims. Es sah aus wie etwas, das die alten Kelten oder noch frühere Völker hätten gebaut haben können: mystisch, aus der Zeit gerissen, uralt wie die Erde, auf der es stand, und der Stein der Säulen, die es stützten. Was hatte sie noch gleich gesagt, als sie die gewundene Auffahrt hinauffuhren? Dass es wunderschön sei, magisch? Ach nein: dass es lebendige Kunst sei. So hatte sie es genannt: lebendige Kunst.
Und so landet schließlich auch Olgivanna in Taliesin. Etwa 300 Kilometer südlich von Chicago, unweit seines Geburtsorts, hatte der Architekt auf dem Hügel eines riesigen Grundstücks seine persönliche Kathedrale errichtet. Kein Haus, eher eine Mischung aus Burg und Farm und Manufaktur, ein autarkes Dorf mit Ställen, Kapelle, Ateliers, Unterkünften für Besucher, Mitarbeiter und Bedienstete, zahlreichen Nebengebäuden, einer Windmühle, Fluss und Teich. Im Zentrum: das hinreißende Wohnhaus. Das Ganze: ein Meisterwerk aus raffinierter Architektur und edelstem Geschmack. Wer T.C. Boyles Roman liest, wird garantiert im Internet nach Abbildungen von Taliesin suchen – und übrigens auch leicht finden. Wer je das Glück hatte, in einem von Frank Lloyd Wright erbauten Haus gewesen zu sein, wird allerdings auch wissen, dass jede Abbildung nur einen bescheidenen Eindruck vermittelt gegenüber dem realen räumlichen Erlebnis.
Dass Olgivanna jetzt auf Taliesin residiert, mit einer Tochter aus einer noch nicht geschiedenen Ehe und einer Tochter von Frank Lloyd Wright, davon bekommt die Presse Wind - und vor allem: Miriam. Miriam ist die zweite Ehefrau, Olgivannas Vorgängerin, und sie ist immer noch mit Wright verheiratet und somit von Rechts wegen Mitbesitzerin von Taliesin. Sie ist eine in die Jahre gekommene Südstaatenschönheit mit einem Hang zum französischen Esprit, oder was Amerikaner dafür halten. Ihre Begabung fürs Dramatische schlägt allerdings leicht ins Manische um, mit anderen Worten: eine apart durchgeknallte Furie, die eine beachtliche Menge Morphium benötigt, um die Hitze ihres Temperaments zu regulieren.
"Hör zu", sagte er, "Miriam, ich bitte dich – du bist die charmanteste, die brillanteste Frau der Welt, und ich möchte nur, dass du dich so anziehst, wie du es tun würdest, wenn wir ins Theater oder zum Abendessen in ein Restaurant an der Michigan Avenue gehen würden. Nicht in Tokio. Nicht in Yokohama. Sondern hier, in Amerika." Sie war unsicher geworden – vielleicht war das seidene Schultertuch tatsächlich zu informell, vielleicht hatte er recht, und der Lidschatten war wirklich ein bisschen zu knallig –, doch sie musste ihm trotzdem widersprechen. "Ich ziehe an, was ich will", sagte sie.
"Mr. Wright! Mr. Wright!"
"Ja, ich komme", rief er über die Schulter und wandte sich wieder
ihr zu. "Was ich will, Miriam, was ich mehr als alles andere
brauche, ist eine Zierde." Er hielt inne und starrte sie an,
versuchte sie mit seinem Blick zu besiegen, sie einzuschüchtern,
und diese Frechheit, diese Arroganz war unerträglich – als dürfte
er ihr Predigten halten, als würde sie auch nur auf ein einziges
Wort von ihm hören. "Eine Zierde, Miriam, keinen Anker."
Als die Kutsche, gefolgt von dem Wagen, eine halbe Stunde später
vorfuhr, stand sie an der Tür, mit Halsband und Perlenkette und
ihrem nachtblauen Cape über einem wadenlangen grauen
Seidenkleid sowie einem Florentinerhut, unter dem ihr perfektes
Gesicht wie gerahmt wirkte. Und als sie Hayashi-San in seinem
westlich geschnittenen Anzug mit Gamaschen, Schnurrbart und
pomadisiertem Haar sah, verbeugte sie sich so tief, wie der Hut es
zuließ, und flüsterte so zart sie konnte "Komban wa", wie Frank
es ihr beigebracht hatte.
Miriam tritt eine Kampagne los, die ihresgleichen sucht: Klageschriften, Drohbriefe, Verhaftungen, Pressekonferenzen – mit selbstzerstörerischer Hingabe hetzt sie Frank Lloyd Wright, seine junge Geliebte und ihre Kinder. Im Rausch ihres Hasses vollendet sich etwas Unheimliches: Denn fast exakt wiederholt sich somit jene Geschichte, die Miriam etliche Jahre zuvor selbst widerfahren war, als sie als Geliebte des noch verheirateten Hausherrn nach Taliesin zog. Und wie sich zeigen wird, war Miriams Vorgängerin Mamah verblüffend Ähnliches widerfahren.
Der Roman zäumt die Chronologie der Ereignisse von hinten auf. Das hat zu tun mit der Geschichte des Erzählers: Sato Tadashi - ein Japaner und langjähriger Mitarbeiter von Frank Lloyd Wright. Der berühmte Architekt pflegte nämlich seine stets leeren Kassen dadurch aufzubessern, indem er Stipendien ausschrieb. Junge hochbegabte Architekten, Zeichner oder Ingenieure erhielten so die Gelegenheit, gegen Kost und Logis dem Meister zur Hand zu gehen und mussten dafür noch ein monatliches Schulgeld bezahlen. Und so durften sie denn unter des Meisters – milde gesagt: – patriarchalischem Regiment nicht nur architektonische Entwürfe ausarbeiten, sondern auch Schneeschüppen, Unkraut jäten, Holz hacken, Kartoffeln schälen und gelegentlich den Feudalherrn chauffieren. Und sonntags wurde in geselliger Runde musiziert. Selbstverständlich waren in dieser Pfadfindergruppe sexuelle Beziehungen der Stipendiaten und Stipendiatinnen streng untersagt. Der Ruf des Hauses war durch das Liebesleben des Hausherrn genug in Mitleidenschaft gezogen worden. Da hatte wenigstens das Personal sich in reiner Keuschheit zu üben.
"Tadashi, es tut mir sehr leid, das sagen zu müssen" – er wandte
sich von mir ab, nahm den Entwurf des Briefes und tat so, als inspizierte er ihn –, "aber Sie sind entlassen. Bitte packen Sie Ihre Sachen." Und dann, um den Schlag etwas abzumildern: "Ich fürchte, mehr gibt es nicht zu sagen."
Es gibt Momente im Leben, da fühlt man sich hohl wie ein Schilfrohr, da wird das eigene Selbst mit einem Schlag ausgelöscht, und alles, was man je erreicht, erhofft und geliebt hat, ist auf einen Streich dahin. Entlassen? Aus Taliesin verstoßen? Ich verbeugte mich.
Verbeugte mich so tief, dass ich den Boden hätte berühren können. Und dann hörte ich mich mit einem erstickten Flüstern sagen: "Wrieto-San, als einer, der sich der hohen Ideale von Taliesin als nicht würdig erwiesen hat, füge ich mich Ihrem Urteil." Mein Atem ging gepresst und heftig. "Aber dürfte ich Ihnen vielleicht noch eine Frage zum Haus der Robies stellen, bevor ich gehe? Ich habe – und meine Landsleute übrigens auch, wir haben diesen Entwurf immer als die Krönung Ihrer Prärie-Architektur bewundert, und ich wollte fragen, wie Sie darauf gekommen sind, das
Problem, dieses Haus auf solch einem schmalen Grundstück unterzubringen, auf diese Weise zu lösen ... "
Ich weiß noch, dass Wrieto-San den Brief hinlegte und sich auf seinem Stuhl umdrehte, um mich anzustarren. Er brauchte einen Augenblick, musste umschalten, sein Denken neu justieren, und auf seinem Gesicht breitete sich langsam eine gewisse Vorfreude aus. "Tja, nun", setzte er dann selbstvergessen an, "wie Sie ganz richtig sagen, gab es da zunächst einmal das Problem des Grundstücks, seiner Beziehung zur Straße, verstehen Sie, und zu den Bauten ringsum." Und dann redete er weiter, fast ohne Luft zu holen, bis die Glocke zum Abendessen rief. Der Regen hatte nachgelassen. Draußen war es dunkel. Er stand langsam auf, reckte sich, als sei er gerade aus einem Mittagsschläfchen erwacht. "Nun ja, Sato-San", sagte er schließlich, "es ist ja wohl kein ernstlicher Schaden entstanden. Also, bleiben Sie. Aber keine weiteren" – er machte eine Handbewegung, die alles umfassen sollte, jedes erdenkliche Fehlverhalten, jeden Schnitzer und Patzer, jedes Abweichen vom Pfad der organischen Architektur –, "keine, keine ... na ja, Ihre Arbeit war ja bisher zufriedenstellend.
Und wenn ich mich nicht täusche, hat es zum Essen geläutet."
Die Geschichte aus der Perspektive des Sato Tadashi ist überaus erhellend, denn der Japaner erlebt am eigenen Leib, dass nicht nur Frauen dem Kult des Frank Lloyd Wright erliegen. Und ihm gleich gibt es ja noch ein Dutzend anderer Mitarbeiter, die oft über Jahrzehnte dem Meister fest ergeben dienen.
Kein Zweifel, Frank Lloyd Wright hatte was, er hatte sogar sehr viel davon. Er war ein Genie seines Fachs, er verstand es, die Leute mit seiner Energie anzustecken und zu begeistern, seine Auftritte wurden stets zu Ereignissen und er konnte von unwiderstehlichem Charme sein. Er war auch bis zur Lächerlichkeit erfüllt von sich: Eine kleine, feine, feudale Insel mitten in der Moderne.
Allerdings muss man hinzufügen: Von Moderne ist in diesem Roman wenig zu spüren. Und das liegt gewiss nicht am Verfasser, sondern hat mit den Verhältnissen jener Jahre zu tun. Der real existierende "american way of life" lebt sich anders, als fromme Broadway-Märchen es besingen: eine schaurige Mischung aus unverstelltem Rassismus, trostlosem Puritanismus, provinziellen Sitten und der flächendeckenden Abwesenheit von komplexeren Haltungen. Schwarz oder weiß, wrong or right. Der Roman erinnert auch daran, wie erstaunlich arm, materiell bescheiden das Leben in den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts für die meisten Menschen war.
Nach 560 bis zuletzt ungeheuer spannenden, bewegenden Seiten wissen wir immer noch nicht, was wir von Frank Lloyd Wright halten sollen. Ganz wie sein Chronist, Sato Tadashi, sind wir von ihm gleichermaßen fasziniert und abgestoßen. Mit keiner Zeile versucht T. C. Boyle, die Ambivalenz dieser Figur zu mildern oder wenigstens zu analysieren. Man könnte sogar sagen: Er macht jede Eindeutigkeit zunichte und hält das weite Feld der sogenannten Widersprüche unter Spannung. Doch sind es überhaupt Widersprüche? Und da genau liegt der "Erkenntnisgewinn": Nach und nach dämmert uns, dass Größe und Niedertracht, Geist und Dreistigkeit, Anmut und Plumpheit Teile eines Ganzen sind.
Doch das ist natürlich so eine Sache mit dem "Erkenntnisgewinn" in der Literatur. Trägt dieser Roman zu dem bekannten Wissen über Frank Lloyd Wright bei? Die Antwort lautet: gar nichts. Ein Roman spielt in einer anderen Liga, er erzählt. Und Erzählung erlaubt die bekannte Rhetorik des Biographischen zu unterlaufen: das Start-Ziel-Curriculum, die Linearität der Jahre, die Wachstumslogik und so weiter. Man könnte sagen: In Biographien wird ein bisschen wenig gelebt. Ein Roman wie dieser leistet es sich, die biographische Frontalperspektive zu unterlaufen. Das Zentrum wird beobachtet aus der Perspektive seines Hofstaates, der Frauen oder der Schüler.
Fragt sich sogar: Ist das überhaupt ein Buch über Frank Lloyd Wright? Über den exquisiten Baumeister, der so großartige Häuser zu bauen verstand und dabei so unbehaust blieb, so wie er seine Umgebung zielsicher stets heimatlos machte? Wie zum Beispiel Olgivanna, von deren leidenschaftlicher Eroberung wir anfangs gehört haben, und die am Ende Taliesin als eine Art dunkle Magd bewirtschaftet.
Man könnte auch auf einen der letzten Romane von T. C. Boyle zurückgreifen, der in der deutschen Ausgabe den unsäglichen Titel "Dr. Sex" trägt, im amerikanischen Original aber "The Inner Circle" heißt, also in etwa: "Der engere Kreis". Und dieses Buch weist verblüffende Ähnlichkeiten mit "Die Frauen" auf. Mit Dr. Sex ist der berühmte Sexualforscher Alfred Kinsey gemeint, der in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg das Sexualleben der Amerikaner systematisch erforschte und damit dem offiziellen Puritanismus vehement zu Leibe rückte. Auch Kinsey war in gewisser Weise ein Genie, jedenfalls ein Besessener, so rücksichtslos wie gewinnend, so generös wie berechnend. Und auch den legendären Sexualwissenschaftler erleben wir als Patriarchen im Kreise seiner Schüler und Mitarbeiter, über die er quasi totalitär herrschen konnte, weil sie sich ihm unterworfen hatten. Auch hier erzählt Boyle die Geschichte aus der Perspektive eines treuen Assistenten. Man darf einem Autor wie Boyle wohl unterstellen, dass er eine dramaturgische Struktur nicht aus Einfallsnot wiederholt, sondern mit Bedacht. Vielleicht spielt er gar eine Versuchsanordnung durch: das Gruppenbild. Womöglich kann man Menschen nämlich gar nicht als Individuen beschreiben, auch nicht solche genialen Macher oder Künstler wie Kinsey oder Frank Lloyd Wright, ohne zu beschreiben, wie sie sich durch ihre Umwelt hervorbringen und wie sie sich ihre Umwelt schaffen.
Die Saga der Frauen von Frank Lloyd Wright hat indes Sato Tadashi nicht alleine aufgezeichnet, er ist kein Mann der Feder und ihm fehlen als Japaner wohl auch die sprachlichen Nuancen, die den Erzähler auszeichnen. Seinen Bericht schreibt in Wahrheit ein gewisser Seamus O'Flaherty auf, "ein irischstämmiger Amerikaner", wie es im Buch heißt. Hinter diesem O'Flaherty, Ko-Autor und Übersetzer dürfen wir ohne weiteres den Romancier T. C. Boyle vermuten. Und jener Tom Coraghessan Boyle lebt in einer kleinen Stadt ganz in der Nähe von Santa Barbara an der Küste Kaliforniens in einem Haus, das erbaut wurde von Frank Lloyd Wright.
T. Coraghessan Boyle, Die Frauen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum und Dirk van Gunsteren. C. Hanser Verlag 2009. 560 S. 24,90 EUR
Chicago, im Herbst 1924: Wrieto-San tummelt sich auf einer erlesenen Matinee, wo sich die besten Chicagoer Kreise ein Stelldichein geben. Er lässt den Glanz seiner Prominenz schimmern: Er sucht nach neuen Auftraggebern und insgeheim wohl auch nach einer neuen Frau. Und da sitzt sie, nur wenige Stühle weiter. Sie hat ihn natürlich sofort erkannt. Er spricht sie an, die beiden kommen ins Gespräch und bald in den Dschungel der Leidenschaften. Olga Lazovich Milanoff Hinzenberg heißt sie mit vollem Namen - eine bildhübsche junge Frau von vornehmer serbischer Abstammung, etwa Mitte 20, und somit ungefähr 30 Jahre jünger als Wrieto-San. Er ist immer noch ein äußerst begabter Liebhaber, leidenschaftlich, bei Bedarf ein unwiderstehlicher Charmeur. Und nicht zuletzt die Tatsache, ein weltberühmtes Genie zu sein, macht ihn höchst anziehend für einen bestimmten Typ von Frauen.
Seine Genialität, sein Ruhm – so glaubt er – erlauben ihm, im Bedarfsfall die Sitten der Zeit und die Regeln seiner Gesellschaft zu missachten. Er ist kein Rebell, aber er nimmt sich, was er braucht. So genießt er nicht gerade eine hohe moralische Reputation, und Skandale pflastern seinen Weg. Und die Liebe zu Olgivana, so heißt die jüngste Angebetete im Liebesalltag, entfacht sogleich ein neues Skandalfeuerwerk. Der noch verheiratete Mann lebt offen mit seiner Geliebten zusammen und zeugt mit ihr ein uneheliches Kind. Die Gischt der Empörung fliegt hoch, das Geheul der Schlagzeilen dringt durch Mark und Bein.
Fasst man die Geschichte so zusammen, dann könnte es so scheinen: Ein bemerkenswerter Mann, dieser Künstler, dem die Stimme des Herzens mehr gilt als die Bestimmungen des Gesetzes. Doch dann hätte man ihn nicht verstanden. Die Spielregeln der Gesellschaft gelten in seinen Augen nur für den Durchschnittsbürger, den Massenmenschen, den Bodensatz. Er selbst pflegt sich teuer zu verkaufen:
"Ich bin wegen dieses Wagens hier." Er zeigte mit Stock auf den Zephyr, der in seiner ganzen aerodynamischen Schönheit dastand, mit seinem chromblitzenden Kühlergrill, der an die gebleckten Zähne eines Raubtiers erinnerte, den Schürzen, die das ausgeformte Chassis verlängerten, dem herrlich langgezogenen Innenraum. Es war ein grandioses Fahrzeug, elegant und brutal zugleich, und unter seiner Motorhaube verbarg sich der unvergleichliche 12-Zylinder-Motor, der die Kilometer nur so fressen und die Konkurrenz zu schimmernden Pünktchen im Rückspiegel reduzieren würde. Es war der Inbegriff automobiler Perfektion.
"Gut!" Der Verkäufer rieb sich voll Vorfreude auf seine Provision
die Hände, und dann erging er sich in einer so hemmungslosen, nicht enden wollenden Lobrede auf die Verlässlichkeit und die besonderen Eigenschaften des Wagens, dass Wrieto-San ihm schließlich gereizt ins Wort fiel.
"Könnte es sein, dass Sie mich nicht erkennen?" fragte er.
"Ja, äh" – der Verkäufer stockte –, "doch, natürlich."
Jetzt hörte ich meine eigene Stimme, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nichts zu sagen und wachsam zu sein. "Mr. Frank Lloyd Wright", sagte ich und musste mich zurückhalten, um mich nicht zu verbeugen.
Der Mann schlug sich vor die Stirn. "Mr. Wright", sagte er feierlich, als spräche er ein Gebet, "natürlich, natürlich. Es ist mir eine Ehre, Sir, eine große Ehre." Und dann schüttelte er Wrieto-San abermals die Hand. Und der wiederum blickte mit einer seiner patentierten Mienen (diese nannten wir Schüler gern die "Boa-constrictor-schluckt-die-Ratte"-Miene) zu mir und wandte sich dann wieder dem Verkäufer zu. "Ich möchte zwei davon", erklärte er. "Und ich möchte, dass sie hier gekappt werden" – sein Stock sauste durch die Luft und vollführte einen imaginären Schnitt von der Windschutzscheibe bis zum Heckfenster –, "damit Verdecke aufmontiert werden können." Er hielt inne. "Und natürlich müssen sie ziegelrot lackiert werden", fügte er dann hinzu und wandte sich zu mir um. "Sie haben das Farbmuster doch dabei, Tadashi?"
"Ja, Wrieto-San", sagte ich, und diesmal verbeugte ich mich wirklich und reichte ihm das Blatt mit dem roten Quadrat. Da das Geschäft damit abgewickelt schien, wandte sich Wrieto-San zum Gehen, doch noch ehe er fünf Schritte getan hatte, blieb er wieder stehen. "Ach so", sagte er, und seine Stimme klang so selbstbewusst wie die eines Senators im Wahlkampf. "Ich möchte sie noch diesen Monat haben. Und ich werde nicht dafür bezahlen. Das verstehen Sie doch?"
Wrieto-San ist also der japanische Name für Frank Lloyd Wright, den berühmten und großartigen Architekten, mit Sicherheit einer der bedeutendsten Baumeister des 20. Jahrhunderts. Frank Lloyd Wright wurde 1867 im US-Bundesstaat Wisconsin geboren und starb 1959 im Alter von 92 Jahren. Nun möchte man sogleich fragen: Brauchen wir denn noch ein Buch – und gar ein Roman – über diesen Mann? Gibt es nicht schon hunderte Studien über sein Werk und Dutzende Biographien? Außerdem eine Autobiographie und zahlreiche Texte von ihm selbst, abgesehen von Archiven und Stiftungen, die sich ausschließlich mit seinem Leben und Werk beschäftigen. Nebst etlichen Zeugnissen und Dokumenten über ihn.
Doch T.C. Boyle wäre nicht der kluge und raffinierte Erzähler, der er ist, wenn er seinen Helden nicht noch einmal in einem neuen Licht zeigen könnte, aus einer gewissermaßen verrückten Perspektive. Nicht umsonst heißt der Roman "Die Frauen", was wörtlich dem Titel des amerikanischen Originals entspricht: "The Women". Und von Wrights Frauen erzählt dieser Roman vor allem.
Es gab vier große Liebesgeschichten in seinem Leben, die über weite Strecken extrem dramatisch verliefen oder gar in der Tragödie endeten. Catherine Tobin war seine erste Ehefrau, mit der er über zwei Jahrzehnte lang verheiratet war, und die er wegen Mamah Borthwick Cheney verließ, die unter tragischen Umständen ermordet wurde, bevor er sie heiraten konnte. Es folgte Ehefrau Nr. 2, Maude Miriam Noel. Vom allerersten Beginn der Geschichte mit Olgivanna, der vierten und letzten Großamoure, haben wir gehört – und so ging sie weiter:
Sie sah zu Frank hinüber. Hielt seine Hand fest in der ihren. Er redete unentwegt, die Wörter sprudelten nur so aus ihm heraus, jede Kurve, jeder Blick auf eine verblasste rote Scheunenwand ein Grund zur Freude, seine Stimme so voll und melodiös, als sänge er. Sie beobachtete seine Augen, das Flattern seiner Zunge: Er sang, und sie war sein Publikum. Sie war fast überrascht, als Taliesin in Sicht kam, der zugefrorene See, der unter einer weißen Decke lag, das Haus, das sich flach an den Boden schmiegte, geduckt unter der Last des Schnees und dem Wald von Eiszapfen am Dachgesims. Es sah aus wie etwas, das die alten Kelten oder noch frühere Völker hätten gebaut haben können: mystisch, aus der Zeit gerissen, uralt wie die Erde, auf der es stand, und der Stein der Säulen, die es stützten. Was hatte sie noch gleich gesagt, als sie die gewundene Auffahrt hinauffuhren? Dass es wunderschön sei, magisch? Ach nein: dass es lebendige Kunst sei. So hatte sie es genannt: lebendige Kunst.
Und so landet schließlich auch Olgivanna in Taliesin. Etwa 300 Kilometer südlich von Chicago, unweit seines Geburtsorts, hatte der Architekt auf dem Hügel eines riesigen Grundstücks seine persönliche Kathedrale errichtet. Kein Haus, eher eine Mischung aus Burg und Farm und Manufaktur, ein autarkes Dorf mit Ställen, Kapelle, Ateliers, Unterkünften für Besucher, Mitarbeiter und Bedienstete, zahlreichen Nebengebäuden, einer Windmühle, Fluss und Teich. Im Zentrum: das hinreißende Wohnhaus. Das Ganze: ein Meisterwerk aus raffinierter Architektur und edelstem Geschmack. Wer T.C. Boyles Roman liest, wird garantiert im Internet nach Abbildungen von Taliesin suchen – und übrigens auch leicht finden. Wer je das Glück hatte, in einem von Frank Lloyd Wright erbauten Haus gewesen zu sein, wird allerdings auch wissen, dass jede Abbildung nur einen bescheidenen Eindruck vermittelt gegenüber dem realen räumlichen Erlebnis.
Dass Olgivanna jetzt auf Taliesin residiert, mit einer Tochter aus einer noch nicht geschiedenen Ehe und einer Tochter von Frank Lloyd Wright, davon bekommt die Presse Wind - und vor allem: Miriam. Miriam ist die zweite Ehefrau, Olgivannas Vorgängerin, und sie ist immer noch mit Wright verheiratet und somit von Rechts wegen Mitbesitzerin von Taliesin. Sie ist eine in die Jahre gekommene Südstaatenschönheit mit einem Hang zum französischen Esprit, oder was Amerikaner dafür halten. Ihre Begabung fürs Dramatische schlägt allerdings leicht ins Manische um, mit anderen Worten: eine apart durchgeknallte Furie, die eine beachtliche Menge Morphium benötigt, um die Hitze ihres Temperaments zu regulieren.
"Hör zu", sagte er, "Miriam, ich bitte dich – du bist die charmanteste, die brillanteste Frau der Welt, und ich möchte nur, dass du dich so anziehst, wie du es tun würdest, wenn wir ins Theater oder zum Abendessen in ein Restaurant an der Michigan Avenue gehen würden. Nicht in Tokio. Nicht in Yokohama. Sondern hier, in Amerika." Sie war unsicher geworden – vielleicht war das seidene Schultertuch tatsächlich zu informell, vielleicht hatte er recht, und der Lidschatten war wirklich ein bisschen zu knallig –, doch sie musste ihm trotzdem widersprechen. "Ich ziehe an, was ich will", sagte sie.
"Mr. Wright! Mr. Wright!"
"Ja, ich komme", rief er über die Schulter und wandte sich wieder
ihr zu. "Was ich will, Miriam, was ich mehr als alles andere
brauche, ist eine Zierde." Er hielt inne und starrte sie an,
versuchte sie mit seinem Blick zu besiegen, sie einzuschüchtern,
und diese Frechheit, diese Arroganz war unerträglich – als dürfte
er ihr Predigten halten, als würde sie auch nur auf ein einziges
Wort von ihm hören. "Eine Zierde, Miriam, keinen Anker."
Als die Kutsche, gefolgt von dem Wagen, eine halbe Stunde später
vorfuhr, stand sie an der Tür, mit Halsband und Perlenkette und
ihrem nachtblauen Cape über einem wadenlangen grauen
Seidenkleid sowie einem Florentinerhut, unter dem ihr perfektes
Gesicht wie gerahmt wirkte. Und als sie Hayashi-San in seinem
westlich geschnittenen Anzug mit Gamaschen, Schnurrbart und
pomadisiertem Haar sah, verbeugte sie sich so tief, wie der Hut es
zuließ, und flüsterte so zart sie konnte "Komban wa", wie Frank
es ihr beigebracht hatte.
Miriam tritt eine Kampagne los, die ihresgleichen sucht: Klageschriften, Drohbriefe, Verhaftungen, Pressekonferenzen – mit selbstzerstörerischer Hingabe hetzt sie Frank Lloyd Wright, seine junge Geliebte und ihre Kinder. Im Rausch ihres Hasses vollendet sich etwas Unheimliches: Denn fast exakt wiederholt sich somit jene Geschichte, die Miriam etliche Jahre zuvor selbst widerfahren war, als sie als Geliebte des noch verheirateten Hausherrn nach Taliesin zog. Und wie sich zeigen wird, war Miriams Vorgängerin Mamah verblüffend Ähnliches widerfahren.
Der Roman zäumt die Chronologie der Ereignisse von hinten auf. Das hat zu tun mit der Geschichte des Erzählers: Sato Tadashi - ein Japaner und langjähriger Mitarbeiter von Frank Lloyd Wright. Der berühmte Architekt pflegte nämlich seine stets leeren Kassen dadurch aufzubessern, indem er Stipendien ausschrieb. Junge hochbegabte Architekten, Zeichner oder Ingenieure erhielten so die Gelegenheit, gegen Kost und Logis dem Meister zur Hand zu gehen und mussten dafür noch ein monatliches Schulgeld bezahlen. Und so durften sie denn unter des Meisters – milde gesagt: – patriarchalischem Regiment nicht nur architektonische Entwürfe ausarbeiten, sondern auch Schneeschüppen, Unkraut jäten, Holz hacken, Kartoffeln schälen und gelegentlich den Feudalherrn chauffieren. Und sonntags wurde in geselliger Runde musiziert. Selbstverständlich waren in dieser Pfadfindergruppe sexuelle Beziehungen der Stipendiaten und Stipendiatinnen streng untersagt. Der Ruf des Hauses war durch das Liebesleben des Hausherrn genug in Mitleidenschaft gezogen worden. Da hatte wenigstens das Personal sich in reiner Keuschheit zu üben.
"Tadashi, es tut mir sehr leid, das sagen zu müssen" – er wandte
sich von mir ab, nahm den Entwurf des Briefes und tat so, als inspizierte er ihn –, "aber Sie sind entlassen. Bitte packen Sie Ihre Sachen." Und dann, um den Schlag etwas abzumildern: "Ich fürchte, mehr gibt es nicht zu sagen."
Es gibt Momente im Leben, da fühlt man sich hohl wie ein Schilfrohr, da wird das eigene Selbst mit einem Schlag ausgelöscht, und alles, was man je erreicht, erhofft und geliebt hat, ist auf einen Streich dahin. Entlassen? Aus Taliesin verstoßen? Ich verbeugte mich.
Verbeugte mich so tief, dass ich den Boden hätte berühren können. Und dann hörte ich mich mit einem erstickten Flüstern sagen: "Wrieto-San, als einer, der sich der hohen Ideale von Taliesin als nicht würdig erwiesen hat, füge ich mich Ihrem Urteil." Mein Atem ging gepresst und heftig. "Aber dürfte ich Ihnen vielleicht noch eine Frage zum Haus der Robies stellen, bevor ich gehe? Ich habe – und meine Landsleute übrigens auch, wir haben diesen Entwurf immer als die Krönung Ihrer Prärie-Architektur bewundert, und ich wollte fragen, wie Sie darauf gekommen sind, das
Problem, dieses Haus auf solch einem schmalen Grundstück unterzubringen, auf diese Weise zu lösen ... "
Ich weiß noch, dass Wrieto-San den Brief hinlegte und sich auf seinem Stuhl umdrehte, um mich anzustarren. Er brauchte einen Augenblick, musste umschalten, sein Denken neu justieren, und auf seinem Gesicht breitete sich langsam eine gewisse Vorfreude aus. "Tja, nun", setzte er dann selbstvergessen an, "wie Sie ganz richtig sagen, gab es da zunächst einmal das Problem des Grundstücks, seiner Beziehung zur Straße, verstehen Sie, und zu den Bauten ringsum." Und dann redete er weiter, fast ohne Luft zu holen, bis die Glocke zum Abendessen rief. Der Regen hatte nachgelassen. Draußen war es dunkel. Er stand langsam auf, reckte sich, als sei er gerade aus einem Mittagsschläfchen erwacht. "Nun ja, Sato-San", sagte er schließlich, "es ist ja wohl kein ernstlicher Schaden entstanden. Also, bleiben Sie. Aber keine weiteren" – er machte eine Handbewegung, die alles umfassen sollte, jedes erdenkliche Fehlverhalten, jeden Schnitzer und Patzer, jedes Abweichen vom Pfad der organischen Architektur –, "keine, keine ... na ja, Ihre Arbeit war ja bisher zufriedenstellend.
Und wenn ich mich nicht täusche, hat es zum Essen geläutet."
Die Geschichte aus der Perspektive des Sato Tadashi ist überaus erhellend, denn der Japaner erlebt am eigenen Leib, dass nicht nur Frauen dem Kult des Frank Lloyd Wright erliegen. Und ihm gleich gibt es ja noch ein Dutzend anderer Mitarbeiter, die oft über Jahrzehnte dem Meister fest ergeben dienen.
Kein Zweifel, Frank Lloyd Wright hatte was, er hatte sogar sehr viel davon. Er war ein Genie seines Fachs, er verstand es, die Leute mit seiner Energie anzustecken und zu begeistern, seine Auftritte wurden stets zu Ereignissen und er konnte von unwiderstehlichem Charme sein. Er war auch bis zur Lächerlichkeit erfüllt von sich: Eine kleine, feine, feudale Insel mitten in der Moderne.
Allerdings muss man hinzufügen: Von Moderne ist in diesem Roman wenig zu spüren. Und das liegt gewiss nicht am Verfasser, sondern hat mit den Verhältnissen jener Jahre zu tun. Der real existierende "american way of life" lebt sich anders, als fromme Broadway-Märchen es besingen: eine schaurige Mischung aus unverstelltem Rassismus, trostlosem Puritanismus, provinziellen Sitten und der flächendeckenden Abwesenheit von komplexeren Haltungen. Schwarz oder weiß, wrong or right. Der Roman erinnert auch daran, wie erstaunlich arm, materiell bescheiden das Leben in den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts für die meisten Menschen war.
Nach 560 bis zuletzt ungeheuer spannenden, bewegenden Seiten wissen wir immer noch nicht, was wir von Frank Lloyd Wright halten sollen. Ganz wie sein Chronist, Sato Tadashi, sind wir von ihm gleichermaßen fasziniert und abgestoßen. Mit keiner Zeile versucht T. C. Boyle, die Ambivalenz dieser Figur zu mildern oder wenigstens zu analysieren. Man könnte sogar sagen: Er macht jede Eindeutigkeit zunichte und hält das weite Feld der sogenannten Widersprüche unter Spannung. Doch sind es überhaupt Widersprüche? Und da genau liegt der "Erkenntnisgewinn": Nach und nach dämmert uns, dass Größe und Niedertracht, Geist und Dreistigkeit, Anmut und Plumpheit Teile eines Ganzen sind.
Doch das ist natürlich so eine Sache mit dem "Erkenntnisgewinn" in der Literatur. Trägt dieser Roman zu dem bekannten Wissen über Frank Lloyd Wright bei? Die Antwort lautet: gar nichts. Ein Roman spielt in einer anderen Liga, er erzählt. Und Erzählung erlaubt die bekannte Rhetorik des Biographischen zu unterlaufen: das Start-Ziel-Curriculum, die Linearität der Jahre, die Wachstumslogik und so weiter. Man könnte sagen: In Biographien wird ein bisschen wenig gelebt. Ein Roman wie dieser leistet es sich, die biographische Frontalperspektive zu unterlaufen. Das Zentrum wird beobachtet aus der Perspektive seines Hofstaates, der Frauen oder der Schüler.
Fragt sich sogar: Ist das überhaupt ein Buch über Frank Lloyd Wright? Über den exquisiten Baumeister, der so großartige Häuser zu bauen verstand und dabei so unbehaust blieb, so wie er seine Umgebung zielsicher stets heimatlos machte? Wie zum Beispiel Olgivanna, von deren leidenschaftlicher Eroberung wir anfangs gehört haben, und die am Ende Taliesin als eine Art dunkle Magd bewirtschaftet.
Man könnte auch auf einen der letzten Romane von T. C. Boyle zurückgreifen, der in der deutschen Ausgabe den unsäglichen Titel "Dr. Sex" trägt, im amerikanischen Original aber "The Inner Circle" heißt, also in etwa: "Der engere Kreis". Und dieses Buch weist verblüffende Ähnlichkeiten mit "Die Frauen" auf. Mit Dr. Sex ist der berühmte Sexualforscher Alfred Kinsey gemeint, der in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg das Sexualleben der Amerikaner systematisch erforschte und damit dem offiziellen Puritanismus vehement zu Leibe rückte. Auch Kinsey war in gewisser Weise ein Genie, jedenfalls ein Besessener, so rücksichtslos wie gewinnend, so generös wie berechnend. Und auch den legendären Sexualwissenschaftler erleben wir als Patriarchen im Kreise seiner Schüler und Mitarbeiter, über die er quasi totalitär herrschen konnte, weil sie sich ihm unterworfen hatten. Auch hier erzählt Boyle die Geschichte aus der Perspektive eines treuen Assistenten. Man darf einem Autor wie Boyle wohl unterstellen, dass er eine dramaturgische Struktur nicht aus Einfallsnot wiederholt, sondern mit Bedacht. Vielleicht spielt er gar eine Versuchsanordnung durch: das Gruppenbild. Womöglich kann man Menschen nämlich gar nicht als Individuen beschreiben, auch nicht solche genialen Macher oder Künstler wie Kinsey oder Frank Lloyd Wright, ohne zu beschreiben, wie sie sich durch ihre Umwelt hervorbringen und wie sie sich ihre Umwelt schaffen.
Die Saga der Frauen von Frank Lloyd Wright hat indes Sato Tadashi nicht alleine aufgezeichnet, er ist kein Mann der Feder und ihm fehlen als Japaner wohl auch die sprachlichen Nuancen, die den Erzähler auszeichnen. Seinen Bericht schreibt in Wahrheit ein gewisser Seamus O'Flaherty auf, "ein irischstämmiger Amerikaner", wie es im Buch heißt. Hinter diesem O'Flaherty, Ko-Autor und Übersetzer dürfen wir ohne weiteres den Romancier T. C. Boyle vermuten. Und jener Tom Coraghessan Boyle lebt in einer kleinen Stadt ganz in der Nähe von Santa Barbara an der Küste Kaliforniens in einem Haus, das erbaut wurde von Frank Lloyd Wright.
T. Coraghessan Boyle, Die Frauen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum und Dirk van Gunsteren. C. Hanser Verlag 2009. 560 S. 24,90 EUR