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Architektur
"Zukünftige Uffizien von Berlin"

Bei der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses habe man sich möglichst am historischen Schloss orientiert, sagte Manfred Rettig, Vorstand und Sprecher der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum. Portale und Fensterachsen habe man an dieselben Stellen platziert. Die Passage im Foyer werde "wie eine Straße erlebbar".

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Manfred Rettig |
    Blick in das Foyer des Humboldtforums
    Blick in das Foyer des Humboldt-Forums (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Architekt: Franco Stella mit FS HUF PG)
    Stefan Koldehoff: Gerade war Richtfest. Die Kubatur und das Raumprogramm des Berliner-Stadtschloss-Humboldt-Forums an der Museumsinsel stehen also unverrückbar fest. Bis zum Einzug der außereuropäischen Sammlungen ist aber noch etwas Zeit – Zeit auch, um über diese Räume und über die planerischen Ideen von Architekt Franco Stella zu sprechen. Das habe ich im Rahmen unserer gestern begonnenen Sommerreihe, in der wir in loser Folge über das Humboldt-Forum und seine Geschichte und Geschichten berichten wollen, getan mit Manfred Rettig: Städteplaner, Architekt, seinerzeit Chefstratege des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin und jetzt Vorstand und Sprecher der Stiftung Berliner Schloss-Humboldtforum, der Bauherrin also und künftigen Eigentümerin. Herr Rettig, nicht zu verwechseln mit dem Verein, der das Geld für die Fassadengestaltung sammelt.
    Manfred Rettig: Ja, das ist richtig. Wir sammeln ja auch Geld für die Fassade, beziehungsweise bei uns kommt das Geld an, was der Verein sammelt, denn wir sind eine gemeinnützige Stiftung, und unser Stiftungszweck ist erforderlich gewesen, auch um überhaupt Spenden einnehmen zu können. Und wir verwenden diese Spenden nachher dann für die historische Fassade.
    Es wird ein Dialogort sein
    Koldehoff: Und in Ihrer Verantwortung liegt und lag es damit, wie beschlossen, auf der einen Seite äußerlich das Schloss zu rekonstruieren, auf der anderen Seite dafür zu sorgen, dass innen ein modernes, ja, was eigentlich, Museum, Forum, Diskussions-, Bildungs-, Bürgerhaus entsteht. Wie definieren Sie, was da kommt?
    Rettig: Ja, es wird ein Dialogort sein. Ich lege eigentlich großen Wert darauf, es nicht nur immer nur Museum zu nennen, es ist ja viel, viel mehr als ein Museum. Es wird sicherlich einer der spannendsten Orte in Deutschland werden, ein Ort, wo eben nicht nur museal etwas dargestellt wird aus der Geschichte der Kulturen, sondern wo wir auch den Platz haben, über die Kulturen zu sprechen, in den Dialog zu treten mit den Kulturen, sei es über Veranstaltungen, Großveranstaltungen – wir haben Konferenzbereiche in diesem Gebäude, sei es über Wechselausstellungen aus den verschiedenen Kulturen, die gemeinsam entwickelt werden aus den Kulturen heraus, aber sei es eben auch alleine, diesen Ort insgesamt wahrzunehmen und zu sehen, was an so einer Stelle entsteht und was an so einer Stelle eben den Dialog der Kulturen insgesamt ermöglicht.
    Insofern, es ist etwas sicherlich auch für den Durchgangstouristen, aber es ist auch ein Ort zum Verweilen. Ich freue mich schon darauf, wenn das Gebäude fertig ist, denn es ist so spannend. Es wird nicht ein Haus sein, wo man mal einmal reingegangen ist und dann hat man's gesehen, sondern es wird ein Haus sein, was man immer wieder neu erlebt.
    Koldehoff: Diese große Idee, die Sie da beschrieben haben, Herr Rettig, die muss ja unter anderem durch Sie ganz konkret umgesetzt werden. Das bedeutet, Ihnen stellen sich Fragen wie: Wo kommen die Türen hin, wo müssen die Lichtschalter hin, was ist mit den Klimaanlagen, wie schaffen wir Übergänge, wie schaffen wir Blickachsen? Haben Sie schon mal den Tag verflucht, an dem beschlossen wurde, das Ganze in einer barocken Fassade und in der Kubator des historischen Stadtschlosses zu machen, wäre es nicht viel einfacher gewesen, ein modernes Haus für diese Zwecke zu errichten?
    Rettig: Ja, der Versuch ist ja unternommen worden. Man hat in den 1990er-Jahren einen weltoffenen Wettbewerb gehabt über dieses gesamte Gebiet und das gesamte Areal, wobei man aber den Schwerpunkt gesetzt hatte, wie gehen wir mit der Fläche um, wo früher mal der Palast der Republik stand zu DDR-Zeiten, wo 1950 das Schloss gesprengt wurde, die Reste des Schlosses, wie geht man mit diesem Ort um. Und da hat es keine Antwort drauf gegeben. Es ist kein Entwurf von fast tausend Entwürfen nachhaltig diskutiert worden in zeitgenössischer, also in moderner Architekturform.

    Insofern ist dieses Schloss für mich auch, das wir da jetzt aufbauen ... Es ist ja nicht das Schloss, es ist ein kompletter Neubau, den wir da bauen, wir machen eine Rekonstruktion, das ist innen komplett neu gestaltet, das heißt also, es ist ein Schloss, was unter vielen Schlössern, die an dieser Stelle schon mal waren. Das Grundstück war ja immer ein Prozess, es ist nie zu Ende gekommen und es ist immer wieder weiterentwickelt worden. Einer der zentralen Planer in der Tat war Andreas Schlüter, der die barocke Fassade entworfen hatte für dieses Schloss. Und die rekonstruieren wir, in Teilbereichen auch nur – wir haben eine Ostfassade, die komplett zeitgenössisch von Architekten Franco Stella ist, wir haben die gesamten Innenbereiche, die komplett neu sind.

    Diesen Transformationsprozess, im Städtebaulichen wie auch im Architektonischen, den werden wir auch begründen, denn im Humboldt-Forum werden wir gleich im Eingangsbereich des Kuppelportals eine Dauerausstellung haben über die Geschichte des Ortes, mit dem Zugang zu einem archäologischen Keller, wo man die Originalfundamente des Schlosses sehen wird. Also insofern ist das Gesamte als Prozess zu verstehen. Ich bin gebürtiger Münsteraner, und wer diese Stadt kennt in Nordrhein-Westfalen, weiß, dass sie nach dem Krieg komplett als städtebauliches Ensemble wieder errichtet wurde. Ich kann mit Rekonstruktionen sehr gut leben.
    Stella hat ganz neue Stadträume entschlossen
    Koldehoff: Dieser Entwurf von Franco Stella, den Sie gerade schon erwähnt haben, derjenige, der sich schließlich durchgesetzt hat, wodurch hat der dann überzeugt, was war das Bestechende an der Idee, die er vorgetragen hat?
    Rettig: Franco Stella hat mit seinem Entwurf "Schloss" eigentlich ganz neue Stadträume erschlossen, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man sich diesen Entwurf genau anschaut – und das kann man vor allen Dingen auch nachher sehen, wenn man durch dieses Gebäude durchgeht. Ich erlebe immer wieder, dass die Menschen, die alles nur von Plänen kennen, nur von Fotoaufnahmen, wenn sie dann im Gebäude drin sind, ein ganz anderes Empfinden bekommen. Warum?
    Es entstehen ganz neue Stadträume in Berlin. Auf der einen Seite sind es wieder nachempfundene historische Stadträume – zum Lustgarten zum Beispiel, zur Schlossfreiheit hin, aber auch zum Schlossplatz hin. Dann wiederum aber nach außen zur Spree entstehen Spree-Terrassen, also eine ganz neue Struktur, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Aber das Wesentliche, warum Franco Stella auch diesen Wettbewerb mit gewonnen hat, ist eigentlich die wunderbare Passage vom Lustgarten rüber zum Schlossplatz, diese Passage, die Franco Stella immer so schön die "zukünftigen Uffizien von Berlin" nennt, die Tag und Nacht geöffnet sein wird, die eine Verbindung hat zum Schlüterhof, diesem wunderbaren Barockhof, den wir wieder erlebbar machen, der ebenfalls komplett geöffnet ist und Tag und Nacht durchwandert werden kann.

    Und das Ganze steht in Verbindung mit der großen Eingangshalle, die im Prinzip dann auch einen überdachten Hof oder Stadtraumcharakter bekommen wird, also insofern eine ganz neue städtebauliche Situation, und das macht seinen Entwurf so spannend.
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung des Bereichs Amazonien, Ethnologisches Museum
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung des Bereichs Amazonien, Ethnologisches Museum (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, Ausstellungsgestaltung: Ralph Appelbaum Associates / malsyteufel)
    Passage ist Tag und Nacht erlebbar
    Koldehoff: Also keine großen, massiven Holztore, die nachts verschlossen werden – da springen Ihnen nicht die Museumsdirektoren auf den Tisch und sagen, dann sind unsere Bestände nicht mehr sicher?
    Rettig: Ich sprach von den öffentlichen Räumen, das heißt also, nicht die oberen Etagen sind damit gemeint, sondern es ist wirklich im Erdgeschoss. Wir werden die Passage quasi wie eine Straße erlebbar haben, ohne Autos, wo die Fußgänger durchflanieren können, wir werden den Schlüterhof haben, ich denke an die Museumshöfe zum Beispiel in Wien. Also wir werden diese Höfe auch urban haben, das heißt, es wird eine Außengastronomie in diesen Höfen stattfinden, sodass wirklich hier ein Stadtraum entsteht. Die Bereiche darüber sind natürlich zu den Öffnungszeiten geöffnet. Wir werden eine Nordsüd- wie auch Ostwestquerung des Gebäudes ermöglichen, wobei die Ostwestquerung in der Tat abhängig ist von der Tageszeit, weil wir dort unter anderem durch ein Portal durchlaufen, wo wir unseren Skulpturensaal haben werden, wo wir die Originalfiguren ausstellen werden, die Schlüter noch geschaffen hat. Das wird man nachts natürlich abschließen, aber ansonsten haben Sie diesen gesamten Bereich sehr offen.
    Koldehoff: Es wurde immer wieder betont die zentrale Bedeutung der Agora. Das war im antiken Griechenland der zentrale Versammlungsort der Polis, der Bürgergemeinschaft, Ort der Ausbildung einer gemeinsamen Identität. Ist mit dieser Architektur also auch so was wie eine politische oder wenigstens soziologische Hoffnung verbunden?
    Rettig: Ja, natürlich. Also dieser Begriff Agora wird ja heute eigentlich nicht mehr verwandt, das ist ja auch Unsinn. Wir nennen es ja auch Humboldt-Forum, und was ist Forum anders als eine Agora, also das gesamte Gebäude muss so aufgefasst werden. Es ist also nicht, sagen wir mal, nur der Ort, wo man dann unten sozusagen den Eingangsbereich hat, sondern es ist das gesamte Haus. Das gesamte Haus soll miteinander und ineinander korrespondieren, darum ja auch eine einheitliche Intendanz, die hier geschaffen wird, was ich für richtig halte. Das Haus wird insgesamt bespielt sein und wird insgesamt ein Dialogort der Kulturen werden.
    Neubau mit einigen Originalmaterialien des Schlosses
    Koldehoff: Eines der letzten großen Gebäude, das ähnlich rekonstruiert wurde, ist die Frauenkirche in Dresden. Wenn man da steht und das Gebäude anguckt und auch die Bürgerhäuser, die ringsrum ebenfalls versucht wurden historisierend zu rekonstruieren, dann fehlt da was, nämlich die Patina. Man merkt irgendwie, dass da nachgebaut worden ist, dass da Geschichte fehlt, dass den Gebäuden Erfahrung, zeitgeschichtliche Erfahrung fehlt. Wird das in Berlin irgendwann kommen und wird das immer ein rekonstruierter Fremdkörper im Stadtgefüge bleiben?
    Rettig: Ich habe diese Frage mal dem obersten Denkmalpfleger hier in Berlin gestellt und habe gefragt: Wann stellen Sie das Gebäude unter Denkmalschutz? Es ist im Moment ein kompletter Neubau, und Patina ist natürlich der Faktor Zeit, der da reinspielt. Wir werden an einigen wenigen Stellen noch Originalmaterial des historischen Schlosses haben, das wird man gerade zu Beginn besonders erleben, weil diese Farbunterschiede im Naturstein dann sichtbar sein werden. Nein, es wird die Zeit geben. Es ist ein zeitgenössisches Gebäude im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Generation hat entschieden, eine Rekonstruktion vorzunehmen, und diese Rekonstruktion mit einem Neubau zu verbinden. Und wir haben Wert darauf gelegt, dass die Rekonstruktion so original wie möglich ist. Darum haben wir international, bevor wir anfingen zu bauen, Experten zusammengetrommelt und haben gesagt, was ist eine echte Rekonstruktion.
    Zu einer echten Rekonstruktion gehört, möglichst am Original orientiert zu sein, und zwar nicht nur, was die figürlichen Darstellungen angeht, sondern auch der Ort. Das heißt also, wir haben die Portale, wir haben die Fensterachsen und so weiter genau an den Stellen, wo auch historisch im Schloss diese Stellen waren.
    Koldehoff: So wirds also aussehen. Manfred Rettig war das, Vorstand und Sprecher der Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.