Runow: Soziale Verantwortung ist ein wiederkehrendes Thema in der Architektur, dem sich in diesem Jahr auch die Architektur-Biennale in Venedig wieder stellen möchte. Nach einer sehr diskursiven, manche sagen auch selbstreflexiven Ausgabe vor 2 Jahren hat sich der neue künstlerische Leiter Alejandro Aravena auf die Fahnen geschrieben, die Veranstaltung wieder für ein breiteres Publikum zu öffnen. Und die drängenden Probleme der Zeit anzugehen. Er, der aktuelle Pritzker-Preis-Träger, der ja selber schon tausende Wohnungen in Favelas realisiert hat. Dieser Wunsch nach etwas mehr Relevanz fand offenbar auch Ausdruck in dem etwas verwunderlichen Titel: "Reporting from the Front". Und wie es da im Augenblick aussieht, an der Front – in Venedig, das kann uns jetzt Marietta Schwarz berichten. Sie ist nämlich dort und hat sich vor der offiziellen Eröffnung morgen schon einmal für uns umgeschaut. Ja Frau Schwarz, noch alles ruhig an der Front oder brennt schon die Luft?
Schwarz: Brennt die Luft? Vielleicht muss man ja auch zunächst mal fragen, welche Front damit eigentlich gemeint ist mit diesem Motto, das Aravena angesprochen hat. Also er selbst hat dann gleich ein paar Anregungen gegeben, also Themen sind für ihn Ungleichheit, Segregation, Umweltverschmutzung, Verkehr, Naturkatastrophen, Abfall. Und dann hat er selbst, zum Eingang des Arsenale gleich mal ein Beispiel gegeben, wie man was machen kann. Er hat also Gipsbetonplatten und Aluträger aus der letzten Kunstbiennale vom vergangenen Jahr wiederverwertet, also ein quasi erster Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit oder Recycling. Und ich glaube, dieses Motto "Reporting from the front" ist eigentlich auch vielleicht nicht mehr als eine Aufforderung an die Architekten sich mal mit dem zu beschäftigen was wirklich gesellschaftlich relevant ist und nicht nur was einen Bauherrn betrifft, so verstehe ich dieses Motto eigentlich. Brennen tut es noch nicht.
"Eine Lust am Prozesshaften"
Runow: Das klingt alles in allem sehr vernünftig, hat man auch dringend so erwartet, aber birgt natürlich auch die Gefahr, so ein bisschen eine bierernste Angelegenheit zu werden, oder?
Schwarz: Jein. Also die Biennale besteht ja aus mehreren Teilen. Bei den Länderpavillons kann man schon schmunzeln. Im Arsenale, das ist der von Aravena kuratierte Teil, das ist ja so ein langer, 300 Meter langer Schlauch, war es tatsächlich eher eine ernste Angelegenheit. 88 Büros hat er eingeladen, um ihren Beitrag dort auszustellen und das ist ein weites Feld, das da abgedeckt wird. Das reicht von konkreten Bauprojekten über technische Spielereien, wie super komplizierte selbsttragenden Kuppelkonstruktionen aus Natursteinplatten. Dann gibt es da zwischendurch auch so theoretische Ansätze: Gruppen, die sich mit temporären Stadtstrukturen beschäftigen, also dann vergleichen, was ist die Gemeinsamkeit eines Flüchtlingscamps mit dem "Glastonbury Festival". Klingt absurd, war aber ziemlich spannend, muss ich sagen.
Runow: Welche große Linien oder wiederkehrende Themen sind Ihnen denn begegnet bei ihrem Rundgang?
Schwarz: Also neben dieser Faszination für das Temporäre, für das Ephemere auf jeden Fall auch eine Lust am Prozesshaften. Es gibt da zum Beispiel ein riesiges blaues Städtemodell aus Styrodur mit vielen Baukränen des Kölner Büros "BeL", wir hatten die auch schon mal im Corso-Gespräch. Dieses Büro schlägt vor billige Siedlerhäuser zu bauen. Das sind dann so halbfertig gebaute Mehrfamilienhäuser, die man dann in diesem Zustand an die Bewohner abgibt, die dann ihren eigenen Wohnraum fertigbauen sollen. Und das mal auf riesige Stadtstrukturen übertragen, war schon irgendwie so eine Anregung: Leute, es muss nicht alles immer fertig sein, wir können auch einfach mal diesen Prozess begleiten und das kann auch ein Reiz für die Stadt sein.
"Ich würde fast sagen, es ist ein Anwärter für den Goldenen Löwen"
Runow: Über das Motto des Pavillons "Making Heimat" haben wir hier bei Corso schon im Vorfeld ziemlich ausführlich gesprochen. Thema ist ja die "Ankunftsstadt", also die Frage, wie müssen Städte beschaffen sein, damit sich Migranten erfolgreich in eine Gesellschaft integrieren können. Jetzt ist das Ganze dort vor Ort umgesetzt. Überzeugend?
Schwarz: Total. Mit das Beste, was ich auf der Biennale gesehen habe. Auch deshalb, weil die Kuratoren eine ganz klare simple Antwort gefunden haben auf ihr Motto "Making Heimat", auf dieses Motto "Arrival city", "Ankunftsstadt", denn die haben diesen deutschen Pavillon einfach aufgebrochen. Also der deutsche Pavillon hat ja auch diese Geschichte, dass er aus den 30ger-Jahren stammt und dass ihm die Last des Nationalsozialismus immer so anhängt. Und da haben sich ja schon dutzende Kuratoren dran abgearbeitet und dass man jetzt das geschafft hat, dieses Korsett einfach zu sprengen und die Mauern einzureißen, das ist schon toll und das ist eine sehr klare Botschaft. Das Ganze ist dann sehr deutsch, sehr sorgfältig umgesetzt, also die Öffnungen sind reingeschnitten, es gibt tolle Blickbezüge, auch auf die Lagune. Ich würde fast sagen, es ist ein Anwärter für den Goldenen Löwen.
Runow: Das sind große Worte. Welche anderen Entdeckungen waren denn noch dabei, um jetzt mal nicht ganz beim Eigenlob stehenzubleiben?
Schwarz: Sehr gut gefallen hat mir ein Länderpavillon, den es eigentlich gar nicht geben darf, weil es dieses Land nicht gibt. Und zwar ist das der Pavillon der westlichen Sahara zusätzlich in Form eines stilisierten Zeltes in den Gardini aufgestellt. Es gibt eigentlich darin nur einige Fotos und ein paar Bildschirme zu sehen und traditionelle, handgewebte Teppiche auf denen dann Infografiken zu sehen sind. Dann gibt es auch so Pavillons wie den australischen Pavillon. Die haben dann einfach mal eben einen Swimming Pool in ihren Pavillon reingebaut. Dieser Swimming Pool, der wird dann begründet damit, dass das Schwimmbad in Australien eine ganz wichtige Rolle spielt, als Ort wo sich das Private und das Öffentliche vermischt. Da kann man jetzt darüber streiten, ob das trägt, aber als Ort ist das natürlich ganz toll für erschöpfte Biennale-Besucher, die dann einfach mal ihre wunden Füße ins Wasser strecken können und durch das Fenster auf einen Kanal schauen, wo gerade eine Gondel vorbeifährt. Das ist schon toll.
"Eine Architekturbiennale bleibt immer auch ein bisschen verkopft"
Runow: Gut, also ein paar Eindrücke haben wir jetzt schon bekommen. Alles in allem werden die eigenen Ansprüche, die sie eingangs erwähnt hatten, eingelöst? Wir das eine bereichernde Veranstaltung nach allem was sich bis jetzt sagen lässt?
Schwarz: Eine Architekturbiennale bleibt immer auch ein bisschen verkopft, das ist einfach etwas anderes als eine Kunstbiennale. Die Latte, muss ich sagen, hängt nach der letzten Biennale von Rem Koolhaas ziemlich hoch und die wurde auch jetzt bislang von Aravena noch nicht gerissen. Aravena hat, denke ich, schon das richtige Motto gesetzt und das wird auch eingelöst. Manche haben ihm oder den teilnehmenden Architekten ja auch schon vorgeworfen, das sei so ein romantischer Ansatz, dass man sich dann doch wieder in kleine, regionale, lokale Projekte verkrümelt, aber die Frage ist ja auch, sozusagen: Kann der Architekt die Welt retten? Und das kann er natürlich nicht und wir lernen bei dieser Biennale schon wo und wie Architekten weltweit aktiv werden und da sind auf jeden Fall Beispiele dabei, die inspirierend sind und auch vielleicht auf das eigene Umfeld anzuwenden.
Runow: Marietta Schwarz von der Architekturbiennale in Venedig, die morgen beginnt. Wir bitten die Telefonqualität zu entschuldigen. Es war kein Durchkommen heute möglich im Studio in Venedig. Danke.
Schwarz: Bitteschön.