Maak konstatiert einen dramatischen und noch nicht vorgekommenen Punkt in der Geschichte der europäischen Städte: Seit dem Mittelalter sei die Stadt ein Möglichkeitsraum gewesen, offen für alle, die in den kleinen Dörfern keine Perspektiven mehr sahen. "Dieses Versprechen droht die Stadt nun zu verlieren: Indem sie sich in den Zentren so segmentiert und aufstellt, dass fast keiner mehr, der dahin kommt, eine Chance hat dort zu leben und zu arbeiten."
Diese Entwicklung schreibt Maak der "radikalen, am kurzfristigen Marktgewinn orientierten Bau- und Stadtpolitik" der Vergangenheit zu. In den großen Städten seien städtische Liegenschaften ohne Not für Schleuderpreise verkauft worden, an private Investoren, die dann ihre Idee von der Stadt realisiert hätten, so Maak. Diese Flächen fehlten den Gemeinden nun, trotz guter Absichten sei es deshalb schwer für den Staat, wieder die Oberhand zu bekommen, um Stadt zu gestalten.
"Porschetown und Aldiville"
Zudem falle die Rhetorik der Politik, etwa Inklusion und junge Familien zu fördern, dramatisch mit der tatsächlichen Entwicklung auseinander, kritisiert Maak. Dass etwa Aldi Wohnungen für Menschen mit geringeren Einkommen über Aldi-Märkten baut, werde von Kommunen begeistert aufgenommen. Diese Entwicklung führe jedoch zu einer Segregation, die eigentlich niemand wolle, so Maak:
"Die Peripherie wird dann zu Aldiville, wo diejenigen hinziehen müssen, die sich ein Stadterlebnis im Zentrum nicht mehr leisten können. Dann stehen sich Porschetown und Aldiville gegenüber, mit allen sozialen Folgen, die das haben wird."
Selbst in Städten wie Paris seien noblere Viertel nie nur für höhere Einkommen reserviert gewesen. Die Durchmischung von Wohnhäusern und Stadtvierteln hätten in Europa lange Zeit sozialen Frieden garantiert. "Diesen Vertrag sind wir gerade dabei aufzukündigen."
Die zentrale Unterbringung von Neuankömmlingen und Flüchtlingen in riesigen Komplexen am Stadtrand hält Maak ebenfalls für einen großen Fehler. Ein Rezept aus den 1970er-Jahren, das massenhaft Armut generiere:
"Man baut in die ohnehin schon sozial benachteiligten Gegenden ein Gebäude für 400 Flüchtlinge - und verschärft dadurch sogar noch Segregation und Aggression. Wenn man aber die Städte nicht politisch in den Griff bekommt, dann werden wir immer größere soziale Konflikte erleben. Urbanistische Politik ist momentan auf einem gefährlichen Holzweg."
Städtebau hängt an der Zukunft der Arbeit
Ein großes Problem sei, dass die verschiedenen Ebenen in der Städtebaupolitik nicht zusammenarbeiten würden, sagt Maak. Etwa die Verkehrsforschung, die sich mit automatisierten Fahrzeugen befasse. Die größte Herausforderung sei es jedoch, Architektur und Städtebau mit dem ökonomischen Diskurs über Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit verbinden:
"Arbeit war immer die zentrale Triebfeder von Stadtplanung. Wer Stadtplanung betreibt und über Architektur und Zukunft der Städte nachdenkt, der muss auch darüber nachdenken: Was wird mit Arbeit in Zukunft passieren, wie wird sie organisiert? Welche Arbeit wird es überhaupt noch geben? Und: Was heißt das dann für die Stadt? Werden die Leute noch pendeln müssen, in die Bürotürme, in Fabriken? Oder wird Arbeit so automatisiert und robotisiert, dass sie ganz anders organisiert wird? Man kann nicht darüber nachdenken, wie eine Stadt als soziales Konstrukt in Zukunft überleben kann, ohne zu fragen: Was machen die Leute da eigentlich den ganzen Tag?"
Diese Fragestellungen werden von der Politik nach Maaks Ansicht bewusst ignoriert. Es gebe, so Maak, auch ein Interesse daran, keine Unruhe in der Bevölkerung zu wecken.
Das Land stärken - zum Nutzen der Stadt
Maak sieht vorerst keine Anzeichen dafür, dass in deutschen Städten bald Zustände wie in indischen und chinesischen Megacities herrschen könnten. Dennoch könnte sich der deutsche Städtebau von dort etwas abgucken: In China etwa habe die Regierung, angesichts der enormen Luftverschmutzung in den Städten, ein Programm mit kleinen manufakturartigen Betrieben auf dem Land auf den Weg gebracht und dort zugleich Strukturen verstärkt. Im Zuge dessen seien mehr Menschen wieder aufs Land übersiedelt, wo sie gute Lebensbedingungen vorfänden.
Arbeit und Wirtschaft wieder mehr auf ländliche Regionen zu verlagern, dies wäre für Maak auch ein mögliches Modell für die deutsche Politik:
"Man muss den Leuten auch eine Chance geben, aufs Land zu gehen. Es gibt hinreichende Strukturen, leerstehende Dörfer, die man umwandeln könnte, wenn es denn einen Anlass dafür gebe, in diesen Gegenden zu leben. Wir dürfen das Land nicht immer nur als Problemfall betrachten, wo die Übriggebliebenen und AfD-Wähler wohnen. Sondern als etwas, das aufgrund der ökonomischen Politik der letzten 30 Jahre vernachlässigt wurde. Und das es verdient, wiederbesiedelt zu werden - auch zum Nutzen der Stadt. Dafür Strategien zu entwickeln, das ist eine wichtige politische Aufgabe von Politik, Architekten und Urbanisten."
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