Stefan Koldehoff: … Erst einmal soll es um ein Archiv gehen, das offenbar in Gefahr ist. Ein Gedächtnis der bürgerlichen Zivilgesellschaft: das "Archiv für alternatives Schrifttum" – AFAS – in Duisburg, 1985 von einem Trägerverein gegründet, um bundesweit Dokumente der so genannten "Neuen Sozialen Bewegungen" zu sammeln, zu bewahren, zu dokumentieren und auch zu publizieren: also Friedensbewegung und Frauenbewegung, Anti-Apartheid-Initiativen und Solidarische Kirche, Bürgerbewegungen und und und: Ein Archiv für den emanzipatorischen, zivilgesellschaftlichen Geist in Deutschland. Förderung hat das AFAS von der Landesregierung NRW bekommen. Damit soll nach dem Willen der Regierungsparteien CDU und FDP nun aber Schluss sein: Am kommenden Mittwoch will der Landtag entsprechend beschließen. Und klar: Es gibt zahlreiche Proteste dagegen – unter anderem vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare. Frank Bischoff, den Präsidenten des Landesarchivs NRW habe ich am Nachmittag gefragt, ob das Ende der Zuschüsse denn auch das Ende des Archivs bedeuten würde.
Frank Bischoff: Na ja, man muss die Situation dieses Archivs in den Blick nehmen. "Privater Trägerverein" hört sich erst mal so an, als wäre da etwas in der Hinterhand, aber de facto haben die Leute natürlich keine Möglichkeiten, die archivische Arbeit, die bei einem Archiv, das mittlerweile ja einen Umfang mit der Bibliothek von rund zwei laufenden Kilometern angenommen hat, das konsequent und fachmännisch weiter zu betreiben. Dazu bedarf es Personal, dazu bedarf es natürlich auch eine räumliche Ausstattung. Das AFAS ist, wie Sie wissen, gerade im Frühjahr dieses Jahres umgezogen in eine Liegenschaft, die wirklich archivfachlich erstmals geeignet ist, und das muss natürlich alles finanziert werden. Und das sind dann schon Mittel, die sich auch nicht mehr wirklich im fünfstelligen Bereich abspielen.
Archiv mit 35-jähriger Geschichte
Koldehoff: Bei Ihnen als staatlichem Archiv ist relativ klar geregelt, was denn dort landet. Da gibt es Ablieferpflichten, beispielsweise für Behörden, auch für Regierungen. Das ist bei einem mehr oder weniger privaten Archiv natürlich anders. Wo liegt die Bedeutung des AFAS?
Bischoff: Na ja, die Bedeutung des AFAS liegt natürlich darin, dass das AFAS Materialien einsammelt, Überlieferungen einsammelt, die sonst nicht in ein Archiv gerieten. Wenn wir zum Beispiel von staatlichen Behörden, die uns gegenüber abgabepflichtig laut Archivgesetz sind, unterlagen übernehmen, dann gibt es da eine Anbietungspflicht: wir sammeln das. Wir sammeln aber tatsächlich in erster Linie, nicht ausschließlich, aber in erster Linie bei staatlichen Behörden. Wir, das Landesarchiv zum Beispiel, sind für Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen zuständig.
Tatsächlich gibt es aber in Privatinitiativen, bei alternativen Bewegungen, bei sozialen Bewegungen natürlich auch viel Engagement und da entstehen auch Unterlagen, aber die sammeln wir nicht, sondern dafür ist eigentlich das AFAS eingerichtet worden. Dies nimmt sich dieser Überlieferung an und hat da – und das darf man nicht unterschätzen – vor allen Dingen Netzwerke, die es ihm ermöglicht, diese Personengruppen anzusprechen und die dazu zu bewegen, ihm auch Archivgut zu geben. Man muss immer ein bisschen berücksichtigen, dass es sich da auch teilweise um Gruppierungen handelt, die mit einer gewissen Staatsferne auch agieren. Wenn es alternative Bewegungen sind, dann sind das unter Umständen auch Gruppierungen, die jetzt zu einem staatlichen Archiv nicht unbedingt das Vertrauen haben, das man sich wünschen würde. Dem AFAS ist es in seiner fast 35-jährigen Geschichte gelungen, dort Netzwerke aufzubauen und diese Überlieferungen, die gewissermaßen auch als Gegenüberlieferungen gelten können, zu sichern. Denken Sie gerade daran, was am Hambacher Forst sich abspielt. Wir würden tatsächlich dort natürlich die Überlieferungen von Polizei, Staatsanwaltschaften und so weiter sichern. Das sind ganz wichtige Sachen, die gerade dort passieren. Aber an die Bewegung selbst kommen die staatlichen oder die städtischen Archive nicht wirklich richtig dran. Das ist dem AFAS in den letzten Jahrzehnten gelungen.
Bereicherung des nordrhein-westfälischen Archivwesens
Koldehoff: Dann sind wir damit natürlich, Herr Bischoff, jetzt bei der zentralen Frage. Warum wird einer solchen Einrichtung dann die Existenzgrundlage entzogen?
Bischoff: Das müssten Sie natürlich auf der politischen Ebene adressieren. Da wäre ich der falsche Ansprechpartner.
Koldehoff: Gut, dann frage ich Sie anders. Ist es gut, dass da möglicherweise eine wirtschaftliche Grundlage entzogen wird?
Bischoff: Ich kann nur sagen, das AFAS stellt eine echte Bereicherung des nordrhein-westfälischen Archivwesens dar, und ich würde mir wünschen, dass das AFAS seine Aufgabe fortsetzen kann.
Koldehoff: Nun sind nur noch wenige Tage, bis der Landtag entscheiden soll. Sehen Sie eine Chance, dass sich da noch was drehen könnte?
Bischoff: Ich persönlich – jetzt rede ich von mir persönlich – hoffe, dass sich da noch etwas dreht. Aber auch das müsste man dann eigentlich mit den politischen Entscheidungsträgern besprechen, und da bin ich dann wiederum als Teil der Verwaltung, der Landesverwaltung nicht der Berufene.
Koldehoff: Es gibt einen offenen Brief von vielen, vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen, der schon sehr deutlich sagt: "Wir möchten nicht, dass das so geschieht." Das heißt doch, dass es eine große Anerkennung für diese Arbeit gibt, oder?
Bischoff: Eindeutig! Das AFAS ist das größte freie Archiv in Deutschland, was sich um solche alternativen Bewegungen bemüht, und da gibt es eindeutig eine sehr große Zustimmung für die Arbeit des AFAS und auch für die Bedeutung, die das AFAS für die Überlieferungsbildung innerhalb Nordrhein-Westfalens, aber auch darüber hinaus hat.
Überlieferung für die Zukunft
Koldehoff: Und wenn es jetzt in der Politik kein Einsehen mehr gibt, haben Sie denn dann zwei, drei, fünf laufende Regalkilometer im Keller noch irgendwo frei?
Bischoff: Vielleicht darf ich mal auf einen Punkt hinweisen, Herr Koldehoff, der leicht unterzugehen droht. Es ist nicht nur mein Interesse, dass das AFAS die Bestände, die es jetzt hat, betreut und der Benutzung zugänglich macht, wie es das tut, sondern dass das AFAS seine Arbeit fortsetzen kann. Und an der Stelle sehe ich öffentliche Archive nicht in der Lage, in diesen Bewegungsbereich vorzudringen, um dort die Überlieferung für die Zukunft zu bilden. Ich habe eben das Beispiel Braunkohle, Hambacher Forst gebracht. Es wird immer wieder andere Beispiele dieser Art geben und das Wichtige wäre, dass man für diese vielen sozialen Bewegungen, ökologischen Bewegungen, alternativen Bewegungen auch für die Zukunft Überlieferung bilden kann. Das ist eine Rolle, die das AFAS gut ausfüllt.
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